»Kirche lebt von Begegnungen«

Während der Synode des evangelischen Dekanats Büdinger Land am heutigen Freitag soll die Vakanz an der Spitze des Dekanats beendet werden. Die Kandidatin für das Amt der Dekanin, Pfarrerin Birgit Hamrich, stellte sich vorab unseren Fragen.
Was motiviert Sie zur Leitung eines Flächendekanats mit 76 Kirchengemeinden und etwa 57 000 evangelischen Gemeindegliedern?
Die Fläche und die Zahl der Kirchengemeinden flößen natürlich erst einmal Respekt ein. Die Begegnungen mit den Menschen vor Ort haben mir aber Mut gemacht, mich für die Stelle der Dekanin zu bewerben. In vielen Gesprächen mit Ehren- und Hauptamtlichen in der Kirche habe ich so viel Begeisterung, Engagement und Leidenschaft für Kirche gespürt, dass ich mich zur Kandidatur entschlossen habe. Ich möchte im evangelischen Dekanat Büdinger Land gerne mein Erfahrungen - auch in Leitungsämtern - einbringen.
Sind Sie im ländlichen Raum und in volkskirchlichen Strukturen groß geworden?
Ich bin in einem Pfarrhaus der evangelischen Kirche Rumäniens in volkskirchlichen Strukturen aufgewachsen. Dort habe ich Glaube und Kirche als prägenden Teil der Identität erlebt. Meine Prägung als Pfarrerin habe ich in den vergangenen 20 Jahren in zwei Landgemeinden im Taunus und am Zentrum Oekumene in Frankfurt erfahren.
Was waren Ihre Schwerpunkte während des Theologiestudiums? Welche wissenschaftliche Persönlichkeit, welche Richtung hat Sie beeindruckt?
Alte Sprachen, Welt der Bibel - ihre Entstehung, ihre Wirkungsgeschichte fasziniert mich vom Studium bis heute. Die Theologie nach Auschwitz und die Frage nach Gott an Orten tiefster Gottverlassenheit haben mich sehr bewegt. Bei aktuellen Bildern und Nachrichten dieser Wochen aus der Ukraine erhalten solche Fragen eine existenzielle Bedeutung. Wie kann von Gott in der Krise, angesichts von unsagbarem Leid und Zerstörung, gesprochen werden? Karfreitag und Ostern habe ich in diesem Jahr in einer besonderen Intensität erlebt. Als Predigerin habe ich wichtige Impulse von Prof. Martin Nicol (Erlangen) durch seine Dramaturgische Homiletik (Predigtlehre) bekommen. Ein weiterer Schwerpunkt ist Christliche Publizistik. Ein Aufbausemester an der FAU Erlangen bei Professorin Johanna Haberer habe ich mit dem Anliegen absolviert, das Evangelium auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren.
Wo waren Sie im Vikariat?
Während des Vikariats kam ich aus volkskirchlichen Strukturen in die extreme Diaspora in Bistritz im Norden Rumäniens. Dort lernte ich Vielfalt kennen: Citykirchenarbeit mit diakonischen, kulturellen und überkonfessionellen Schwerpunkten, aber auch sehr ländlich geprägte homogene Kirchengemeinden mit stark verbundenen Gemeindegliedern. Dann kamen die Aufgaben in den zwei Taunusgemeinden und im Dekanat Idstein und ab 2016 im Zentrum Oekumene in Frankfurt.
Was sind Ihre Herzensthemen?
Ich feiere sehr gerne Gottesdienste, bei denen viele mitwirken und in denen Gottes aufrichtende Botschaft erklingt. Als Gemeindepfarrerin habe ich es als großen Vertrauensbeweis empfunden, Menschen in den Übergangsphasen ihres Lebens zu begleiten. Als zukünftige Dekanin möchte ich den haupt- und ehrenamtlich Tätigen durch Begleitung und regelmäßigen Austausch fördernde Strukturen ermöglichen. Kirchen und kirchliche Häuser sollen einladende Orte sein, an denen man sich willkommen fühlt. Im Büdinger Land habe ich etliche solcher Orte kennengelernt. Gemeinwesenorientiertes Wirken der Kirche hat dort einen hohen Stellenwert. Als Leitung des Dekanats möchte ich die unterschiedlichen Menschen im Blick haben und für sie eine verbindliche Ansprechpartnerin sein.
Strukturprobleme des ländlichen Raumes, Gemeindeglieder mit langen Arbeitswegen, die kaum für Ehrenämter zu gewinnen sind - welche Strategien muss Kirche da entwickeln?
Kirche lebt von Begegnungen. Die Chance, dass die Pfarrerin ihre Gemeindeglieder persönlich kennt, ist im ländlichen Raum größer. Das kollektive Gedächtnis einer Dorfgemeinschaft reserviert der Pfarrperson noch selbstverständlich einen Platz. Dass »die Kirche im Dorf bleibt«, wird eine der großen Aufgaben in den nächsten Jahren sein.
Strukturprobleme der Kirchen, immer knapper werdende Personaldecke, weniger Mitglieder, weniger Finanzkraft - wird die Pfarrstellenbemessung bis Ende 2023 noch schmerzliche Einschnitte bringen?
Prognosen und Statistiken können in der Tat entmutigend wirken. Der Transformationsprozess der Landeskirche wird vielerorts als Einsparprozess und nicht als Chance wahrgenommen. Bei einer Tagung sagte mir eine Pfarrerin: »Diese Kooperationsräume sind meine Hoffnung.« Es gibt Mut machende Kooperationen im Büdinger Land. Pfarrteams sind gemeinsam mit Kirchenmusikerinnen, Gemeindepädagogen und Verwaltungsfachkräften für einen Raum zuständig und teilen sich gemeinsam mit Ehrenamtlichen die Aufgaben. Es liegt in der Verantwortung der sogenannten Mittleren Ebene, gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu finden.
Welche Ideen haben Sie für den weiteren Kontakt mit der Diözese East Kerala in Südindien?
Die Partnerschaft mit East Kerala finde ich großartig, sie stärkt das Bewusstsein, Teil einer weltweiten Kirche zu sein. In den vergangenen zwei Jahren haben sich diese Beziehungen durch digitale Begegnungen intensiviert. In jüngster Vergangenheit ist das Bewusstsein für den ökologischen Aspekt der Begegnungen in den Vordergrund gerückt. Diese Partnerschaften unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu gestalten, erfordert den Dialog mit der Partnerkirche.
Was sind Ihre privaten Interessen?
Mit meinem Mann habe ich vor etlichen Jahren das Wandern entdeckt. Regentage verbringe ich gerne lesend, ich lasse mich von zeitgenössischer Literatur inspirieren. Seit zehn Jahren gebe ich mit zwei Kolleginnen einen ökumenischen Frauenkirchenkalender heraus, der mittlerweile Teil eines europäischen Frauennetzwerkes geworden ist. Wenn ich an die vielen Radwege durch Vogelsberg und Wetterau denke, dann überlege ich vielleicht in den nächsten Wochen, ein E-Bike zu kaufen. Es könnte auch für Gemeindebesuche in der Nähe genutzt werden.
ZUR PERSON: Pfarrerin Birgit Hamrich, Jahrgang 1972, wuchs in der evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien auf. Ihr Theologiestudium absolvierte sie in Hermannstadt/Sibiu und Erlangen. In ihrem Vikariat, wieder in Rumänien, betreute sie von der Stadtgemeinde Bistritz aus verstreute Gemeinden bis an die ukrainische Grenze mit ihrem Ehemann Hans Hamrich, der ebenfalls Pfarrer ist. Vor 20 Jahren kam sie in die EKHN, arbeitete mit halber Stelle in Panrod und Hennethal/Taunus. In der anderen, ans Dekanat gebundenen Stellenhälfte hatte Birgit Hamrich als Schwerpunkte die Gründung eines Standorts der Ehrenamtsakademie, Dekanatsfrauenarbeit, die Tätigkeit als Johanniterpfarrerin sowie die Ausbildung von Prädikanten und Lektoren. Später übernahm sie erst das Amt der stellvertretenden, dann der kommissarischen Dekanin. 2016 wechselte sie an das Zentrum Oekumene in Frankfurt, wo sie bis jetzt für die kirchlichen Partnerschaften innerhalb Europas und den USA sowie für die Aktion »Hoffnung für Osteuropa« zuständig ist, die auch die Tschernobyl-Hilfe Schotten unterstützt hat. VON ELFRIEDE MARESCH