Kleines Glück »met boarwese Foiß«

Die Sonne meint es gut. Das Quecksilber nähert sich der 30-Grad-Marke. Alle möglichen Radfahrer sind auf dem Vulkanradweg unterwegs. Mutti und Vati cruisen durch die Landschaft, Mountainbiker legen sich keuchend ins Zeug, hie und da sieht man ein Rad mit Anhänger, in dem Kind oder Hund oder Kind und Hund sitzen. Leise schnurren die Motoren.
Und ja, es gibt sie tatsächlich noch, Radfahrer, die ohne »E« vorbeizischen. Wie das Paar, das beinahe die Oase verpasst hätte, die in Lißberg neben dem Radweg zur Pause einlädt. Allemal bei diesem Wetter. »Stopp« ruft die junge Frau ihrem Partner hinterher, als sie im letzten Moment das Wassertretbecken erspäht. Doch der ist schon weitergerauscht. Sie aber hält an, steigt ab, schiebt ihr Rad zum Becken, lehnt es an den Zaun und zieht Schuhe und Strümpfe aus. Als der Mann zurückkehrt, watet sie schon durchs Wasser. »Man muss die Feste feiern, wie sie fallen«, sagt sie gut gelaunt.
Drei Biker entspannen nach dem Wassertreten noch eine Weile auf der Wellenholzliege, ehe sie sich auf ihre Räder schwingen und weiterfahren.
Ein Kommen und Gehen herrscht an der Anlage mit Tret- und Armbecken, die Lißberger Senioren vor bald 20 Jahren direkt am Vulkanradweg errichtet haben und die den Namen Kneipp nicht führen darf, weil ihr dafür das Zertifikat fehlt. Sei’s drum. Die Frau und der Mann, die zu Fuß und mit Handtüchern gekommen sind, kneippen trotzdem. Wie Störche schreiten sie durchs Becken und heben die Füße bei jedem Schritt aus dem Wasser. So, wie Sebastian Kneipp es gelehrt hat.
Andere tun es ihnen gleich. Zum Beispiel die zwei Frauen, die aus einem kleinen Auto steigen, um eine Auszeit einzulegen. Sie ziehen die Badeschlappen aus, krempeln die Hosenbeine hoch, und bevor sie die zwei Stufen des Edelstahlbeckens hinuntergehen, zieht die eine schnell noch ihre Perücke vom Kopf und wirft das Kunsthaar neben die Schlappen ins Gras: »Die brauch ich jetzt nicht.«
Goethes Faust kommt einem in den Sinn. Der ruft beim Osterspaziergang, beflügelt von der Natur, aus: »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein«. Keine Zwänge, keine Erwartungen. Wenigstens ein paar Minuten, eine halbe Stunde im Hier und Jetzt sein.
Von einem Tisch etwas abseits dringen Gelächter und Gesprächsfetzen herüber. Drei Wanderer, schon ein wenig jenseits der besten Mannesjahre, haben sich dort niedergelassen und schwadronieren. Nebenbei sind sie voll des Lobes für das Lißberger Kleinod, das so tipptopp in Schuss ist. Jeder würde das unterschreiben, der sich hier tummelt. »Klasse« sei das Gefühl, »met boarwese Foiß« über den Grasteppich zu laufen, findet jemand. Es braucht nicht viel für ein kleines Glück an einem Sommertag. JUDITH SEIPEL
