Konzept der offenen Türen

Offenheit, Transparenz und Klarheit soll das Gebäude im Westen von Friedberg ausstrahlen. Vor 20 Jahren wurde die Klinik für Psychiatrie eröffnet. Bis heute ist das Konzept durchgehend offener Türen außergewöhnlich.
Neuer Höchststand bei Fehltagen durch psychische Erkrankungen«: Schlagzeilen wie diese führen einer breiten Öffentlichkeit zunehmend die Häufigkeit von Depressionen, Angst- oder Verhaltensstörungen und deren Bedeutung für die Gesamtgesellschaft vor Augen. Viel Aufklärung war nötig, um in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen einzuleiten. Viel dazu beigetragen haben dürften die Empfehlungen der Psychiatrie-Enquetekommission von 1993 mit ihrer Forderung, flächendeckend eine gemeindenahe Psychiatrie zu realisieren.
Zehn Jahre später, am 17. März 2003, nahm die neue Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Friedberg erstmals Patienten auf. Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens blicken wir zurück auf die Anfänge und Fortschritte bei der Umsetzung eines gemeindenahen Psychiatriekonzepts.
Neben der Politik (das Bürgerhospital Friedberg, dem die Klinik für Psychiatrie organisatorisch als Abteilung angegliedert ist, war seinerzeit Kreiskrankenhaus des Wetteraukreises) war vor allen Dingen der damalige Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes, Dr. Klaus Becker, maßgeblich an der Initiative zum Bau einer psychiatrischen Klinik in Friedberg beteiligt. Unter Leitung von Dr. Michael Knoll und Pflegewirt Hans Jerratsch bildete sich Ende 2000 eine Arbeitsgruppe, die die einmalige Gelegenheit nutzte, ein Psychiatriekonzept in einen Raumkörper zu übertragen.
Das Konzept ist eher untypisch
Dank der engen Zusammenarbeit von Architekten und Arbeitsgruppe gelang es, eine spezielle Architektur zu gestalten, die durch Offenheit, Transparenz und Klarheit besticht. Inhaltlich hatte die Arbeitsgruppe sich auf in der Abteilungspsychiatrie eher untypische innovative Konzepte geeinigt: Sie initiierte eine Vollversorgungspsychiatrie mit durchgehend offenen Türen und vier Stationen mit jeweils störungsspezifischen Angeboten für die Patienten.
»Durch die Öffnung der Türen und die Milieugestaltung entstand eine Atmosphäre, die sich grundlegend von vielen anderen Psychiatrien unterscheidet und die jährlich von vielen auswärtigen Besuchern und Hospitanten erlebt wird, die ähnliche Intentionen, Psychiatrie zu gestalten, an ihren Orten umsetzen wollen«, betont Chefarzt Dr. Michael Putzke. Indem sie der Beziehungs- und Milieugestaltung einen hohen Stellenwert zumesse, sei diese Art, Psychiatrie zu betreiben, innovativ und die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Friedberg »ein Leuchtturmprojekt mit Ausstrahlung weit über die Wetterau hinaus«.
Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu Anpassungen an die Versorgungsanforderungen im Kreis. 2012 wurde die Tagesklinik in Nidda-Bad Salzhausen, 2017 die in Bad Vilbel eröffnet, um auch an diesen Standorten eine ambulante und teilstationäre Versorgung zu gewährleisten. Ein großer Schritt in der Entwicklung innovativer Konzepte wurde 2016 getan mit der Anerkennung der Klinik für Psychiatrie als Modellprojekt durch alle Krankenkassen. »Bundesweit sind nur 15 Kliniken in dieser Form daran beteiligt, sich noch mehr aus den bestehenden starren Strukturen zu lösen und sich hin zu einer für Patienten bedürfnisgerechten Einrichtung zu entwickeln. Dies kann unter anderem darin bestehen, schwer kranke Menschen in ihrer häuslichen Umgebung aufzusuchen und dort die Behandlungen mit den Patienten zusammen zu gestalten«, erläutert Putzke.
Corona veränderte auch die Arbeit in der Klinik für Psychiatrie. Die Zunahme des psychischen Stresses in der Bevölkerung spiegelte sich in der Patientenaufnahme wider, auch mussten ambulante und teilstationäre Angebote drastisch reduziert werden.
Im Jahr ihres 20-jährigen Bestehens befindet sich die Klinik nach den Worten ihres Chefarztes »wieder in einer Phase des Umbruchs, in der wir unsere Art der Behandlung auf den Prüfstand stellen, in der wir überlegen, wie mit dem sich weiter zuspitzenden Fachkräftemangel eine qualitativ sehr gute Versorgung gewährleistet werden kann«.