Langes Warten auf die Toten

Wenn die Todesursache nicht eindeutig ist, werden Leichen obduziert. In Gießen ist dafür die Rechtsmedizin des UKGM verantwortlich. Dabei kommt es aktuell aber immer häufiger zu Verzögerungen. Für die Angehörigen ist das nur schwer auszuhalten, da sie teils Wochen auf eine Abschiednahme warten müssen - wenn das überhaupt noch möglich ist.
Der junge Mann war Mitte 30, als er plötzlich verstarb. Die verständigten Ärzte konnten die Todesursache nicht auf Anhieb feststellen, weshalb sie die Polizei benachrichtigten, die den Leichnam beschlagnahmte und zur Obduktion in die Rechtsmedizin brachte. »Das kommt häufig vor«, sagt Bestatter Patrick Stromberg, »Leichen werden nicht nur nach Mord und Totschlag obduziert.« Stromberg hat demnach häufiger mit Obduktionen zu tun. Aktuell gibt es dabei aber Probleme, betont er. »Wir müssen teilweise bis zu vier Wochen warten, bis wir die Leichen erhalten. Für die Angehörigen ist das ein großes Problem.«
Großes Leid bei den Angehörigen
Für viele Angehörige ist die Abschiednahme ein essenzieller Schritt. Sie können den Verstorbenen noch einmal ansehen, ihn berühren und dadurch leichter Frieden finden. Dieser Prozess ist momentan manchmal aber nicht möglich, sagt Stromberg. »Nach drei bis vier Wochen sind die Leichen teilweise in einem Zustand, dass man sie nicht mehr zeigen kann.« Das könne auch die Kühlung in der Rechtsmedizin nicht verhindern.
Die Verzögerung führt laut Stromberg dazu, dass sich die Beerdigungen weit nach hinten verschieben. Auch das sei für die Hinterbliebenen eine Belastung. Zudem beklagt Stromberg ein weiteres Problem: Papiere und Unterlagen, seien nicht da, wo sie hingehörten, seien aber plötzlich doch wieder auffindbar. »Wäre eine Rechtsmedizin ein privates Unternehmen«, schimpft der Bestatter, »könnte man den Laden bald schließen.«
In Gießen ist die Uniklinik für Obduktionen zuständig. 2022 haben die Mitarbeiter der Rechtsmedizin 360 Leichen untersucht, 330 weitere waren es in der Außenstelle in Kassel. »Nahezu alle Obduktionen in der Gießener Rechtsmedizin erfolgen im Auftrag der Staatsanwaltschaften, das sind die Staatsanwaltschaften Gießen (zuständig auch für die Wetterau), Marburg und Limburg mit den Außenstellen Wetzlar und Fulda«, teilt Pressesprecher Frank Steibli mit.
Er räumt ein, dass es in der Rechtsmedizin aktuell Wartezeiten von drei bis vier Wochen gibt und ein »erheblicher Rückstau bei der Durchführung von Obduktionen« entstanden ist. Das liege aber nicht etwa an einer gestiegenen Fallzahl. »Hintergrund der relativ langen Wartezeiten ist, dass sich unter anderem auch unsere Präparatoren am mehrwöchigen Streik der Gewerkschaft Verdi beteiligt hatten, sodass nicht obduziert werden konnte«, erklärt Steibli. Der Obduktionsbetrieb in der Außenstelle Kassel habe komplett gewährleistet werden können, nicht jedoch der in Gießen - mit Ausnahme sehr dringlicher Fälle in Absprache mit den Ermittlungsbehörden.
Steibli bittet die Angehörigen daher um Geduld und Verständnis. Das Team der Rechtsmedizin baue den Rückstand schnellstmöglich ab, unter anderem auch an Feiertagen.
Für viele Angehörige kommt das zu spät. Bei Stromberg steht das Telefon nicht mehr still. Nach dem Ableben des Angehörigen und der Beschlagnahmung des Toten durch die Behörden sei der Leichnam für sie unerreichbar, ein Abschiednehmen nicht möglich.
Belastend seien dabei auch die vielen Mitmenschen, die immer wieder fragen würden, wann die Beerdigung denn endlich stattfinde.
»Das ist schrecklich«, sagt Stromberg. »Für die Angehörigen wird der ohnehin schmerzhafte Prozess dadurch noch qualvoller.«