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Langes Warten, weite Strecken

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Geduld ist vonnöten, um einen Termin beim Facharzt zu erhalten. Wer es ins Wartezimmer geschafft hat, kann sich glücklich schätzen. © pv

Ein Jahr für den Termin beim Augenarzt, zwischen sechs und neun Monate für einen freien Platz beim Psychotherapeuten. Beim VdK-Kreisverband Büdingen beschweren sich immer häufiger Mitglieder.

Die Beschwerden in der Geschäftsstelle des VdK-Kreisverbands Büdingen in Nidda häufen sich. Dabei geht es nicht um dessen Arbeit vor Ort. Immer mehr Mitglieder wenden sich hilfesuchend an den Sozialverband, weil sie nur sehr schwer oder erst sehr spät Arzttermine bekommen.

K reisvorsitzender Willi Rullmann und seine Kolleginnen können den Ruf der VdK-Landesvertretung Hessen-Thüringen nach mehr Kassenzulassungen für Psychotherapeuten und eine gerechte Verteilung von Arztsitzen innerhalb der Städte und auf dem Land nur bestätigen.

Termine gibt es - aber wo?

In Deutschland gibt es 80 000 niedergelassene Fachärzte. Trotz des seit 2019 geltenden Terminservice- und Versorgungsgesetzes gibt es wenige zeitnahe Termine beim Orthopäden, Internisten oder Augenarzt. »Vor allem in ländlichen Regionen sind wochenlange Wartezeiten und eine Anfahrt von vielen Kilometern bis zur nächsten Facharztpraxis keine Seltenheit«, schreibt die Landesvertretung.

Kreisvorsitzender Willi Rullmann gibt die Rückmeldungen aus der Geschäftsstelle in Nidda wieder: Die Suche nach einem Psychiater oder Psychotherapeuten gestalte sich sehr schwierig. In der Physiotherapie sehe es nicht anders aus. Rullmann nennt ein Beispiel seiner Kollegin. Deren Tochter hatte sich während eines Skiausflugs in Österreich mit der Schule einen Bruch im Schulterbereich zugezogen. Die Jugendliche brauchte dringend einen Termin bei einem Physiotherapeuten. Die Mutter hatte zehn Praxen abtelefoniert. Die Wartezeit bei den Krankengymnasten betrug zwischen vier und sechs Wochen. »Wie ergeht es vor allem älteren Patienten nach einem Beckenbruch oder Verletzungen am Knie, wenn sie Wochen auf eine Therapie warten müssen?«, stellt Rullmann die rhetorische Frage.

Die nächste Schwierigkeit ergebe sich dann, wenn zwar innerhalb der vorgegebenen vier Wochen ein Arzttermin zustande kommt, der aber nicht im Kreisgebiet, sondern in Frankfurt oder Wiesbaden ist. Für einen Termin beim Augenarzt müssten Patientinnen und Patienten in der Wetterau mit einem Jahr Wartezeit rechnen. Es würden auch im Altkreis Büdingen niedergelassene Ärzte fehlen. In Friedberg sehe es nicht anders aus.

Besonders schwierig gestaltet sich die Situation für Patienten mit psychischen Erkrankungen, erklärt der VdK Hessen-Thüringen und untermauert dies mit Zahlen: Jährlich sind etwa 27,8 Prozent aller Erwachsenen oder 18 Millionen Menschen in Deutschland von psychischen Erkrankungen betroffen. Zwar bekämen viele innerhalb von vier Wochen einen Termin für das Erstgespräch. Aber dann könne es zwischen sechs und neun Monaten dauern, bis ein Platz für eine Psychotherapie frei werde und die eigentliche Behandlung beginnen könne. »Wer an Depressionen und Ängsten leidet, hat meist nicht die Kraft, alle Praxen in der Umgebung abzutelefonieren und um einen Therapieplatz zu bitten«, sagt der Vorsitzende des Landesverbandes Hessen-Thüringen, Paul Weimann. »Außerdem besteht die Gefahr, dass sich während der langen Wartezeit die Symptome verschlimmern und Störungen sich festsetzen, was für den Betroffenen und sein Umfeld eine Zumutung darstellt und auch die Heilung erschwert.«

E rwerbsunfähigkeit aufgrund seelischer Krankheit sei mittlerweile die häufigste Ursache für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Daher seien mehr Kassenzulassungen für Psychotherapeuten notwendig. »Es fehlt nicht an qualifizierten Therapeuten, aber an Praxen mit Kassensitz«, unterstreicht Weimann. Dieser Kassensitz ist die Voraussetzung dafür, dass die Behandlung über die gesetzliche Krankenversicherung abgerechnet werden kann.

Generell kritisiert der VdK die ungleiche Verteilung von Arztsitzen sowohl innerhalb der Städte als auch auf dem Land. »In Gegenden mit vielen wohlhabenden Bürgerinnen und Bürgern treffen wir eine hohe Arztdichte an. Dort sind viele Patienten privatversichert; sie zu behandeln, ist für Ärzte lukrativ. In strukturschwachen Regionen hingegen herrscht Ärztemangel. Dort ist es finanziell nicht so attraktiv, sich als Mediziner niederzulassen«, erläutert Weimann. Er betont: »Patientenwohl hat immer Vorrang vor Profitinteresse. Wie gut jemand medizinisch betreut wird, darf nicht von seinem Wohnort oder Einkommen abhängen.« Der VdK spricht im Übrigen keine Empfehlung für Ärzte aus.

Die erhöhte Anzahl der Beschwerden ist laut Willi Rullmann auch auf die steigenden Mitgliederzahlen von mittlerweile über 9300 im Altkreis Büdingen zurückzuführen. Viele von ihnen hätten medizinische Probleme und von ihren Ärzten die Empfehlung erhalten, sich doch an den VdK zu wenden.

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