Literarische Handwerkskunst beim Lektorats-Workshop

Feilen, schleifen, nachbohren und polieren. Klingt wie ein Heimwerkerkurs, meint aber den Lektorats-Workshop des Jugendliteraturpreises der Ovag. 22 Gewinner trafen sich mit Schreib-Profis.
Im beschaulichen Bad Kissingen, wo Sisi kurte, wo die letzte deutsche Postkutsche verkehrt, der Nudelbach in die Fränkische Saale mündet und die Bayernpartei »Autonomie für Franken« fordert, betreibt die Ovag ein Erholungsheim für ihre Belegschaft. Mit Erholung hatte der Lektorats-Workshop des Jugendliteraturpreises wenig zu tun, dafür viel mit konzentrierter Arbeit am Text, bei der Köpfe rauchten.
Apropos: Die traditionelle Raucherpause, ein nikotingestütztes Brainstorming, das weit über die Grenzen der Literatur hinausging, gibt es schon lange nicht mehr. Sie heißt jetzt Biopause, die jungen Leute versorgen sich dann mit Obst, Nüssen und glutenfreien Powerriegeln. Vielleicht erklärt dies - küchenpsychologisch gesprochen -, warum die Qualität der Geschichten gegenüber den Vorjahren gestiegen ist. Es gab mehr als nur 24 Texte, die preiswürdig waren. Umso ärgerlicher, dass zwei Jugendliche kurzfristig absagten und keine Nachnomminierungen möglich waren.
Das verlängerte Wochenende begann mit der großen Lese-Runde. Alle Texte wurde angelesen und diskutiert. Viele Themen wurden berührt. Was macht einen guten Plot aus? Wie treibt man die Handlung voran? Wie zeichnet man Figuren. Und immer wieder aktuell: Wo kommt jetzt noch mal ein Komma hin und wo nicht?
Es sind berührende Geschichten entstanden. Ein Familienvater gräbt aus unerfindlichen Gründen ein Loch im Garten. Ein Missbrauchsopfer rächt sich. Eine junge Frau verliert nur scheinbar ihr Gedächtnis. Ein Jugendlicher sucht den Höhenrausch. Ein Sudentendeutscher erinnert sich an die Schrecken der Vertreibung. Eine Veganerin bekommt Roulade serviert. Große und kleine Begebenheiten, die das menschliche Leben mit all seinen Merkwürdigkeiten durchspielen.
Satz für Satz, Wort für Wort
Die Lektoren gaben Tipps, wiesen auf Unebenheiten und Wiederholungen hin, rieten zum Straffen, Kürzen. »Satz für Satz, Zeile für Zeile, Wort für Wort wird am Text gearbeitet«, gab Ovag-Pressesprecher Andreas Matlé, Erfinder und Spiritus Rector des Literaturpreises, als Losung aus. Zumal es, wie die Schriftstellerin Franziska Gerstenberg sagte, »beglückend« sei, sich so lange nicht zufriedenzugeben, bis ein Satz stimmt.
Lektoren seien »Sparringspartner« und die ersten kritischen Leser einer Geschichte, sagte Dr. Marten Brand, Lektor beim Hamburger Edel Verlag; er war kurzfristig für die erkrankte Schriftstellerin Uschi Flake eingesprungen. Für kernige Sprüche sorgte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der sich verblüft über die Qualität des Textes eines 15-Jährigen zeigte: »Mit 15 stand ich vor lauter Blödheit offenmäulig in der Gegend rum.« Was einen Fortschritt bedeutete, denn es gab auch eine Teilnehmerin im Alter von 14. Und mit 14, so Zaimoglu, »war ich noch hirntod.« Die Riege der Lektoren wurde komplettiert durch den Autor dieser Zeilen. Für die Organisation des Workshops war wieder Bea König verantwortlich.
Sprechtraining vom HR-Profi
An den beiden letzten Tagen folgte die Arbeit in Kleingruppen. Jetzt wurde jedes Wort auf die berühmte Waagschale gelegt, wobei - und gerade dies zeichnet den Jugendliteraturpreis der Ovag aus - Lektoren und Autorinnen auf Augenhöhe agieren, die Texte gemeinsam bearbeiten.
Dem nicht genug, war wieder Martin Maria Schwarz vom HR für das Sprechtraining der jungen Leute angereist. Die gehen nämlich, sobald im Frühjahr das Buch »Gesammelte Werke« vorliegt, auf Lesetour durch Schulen. Welches Schlüsselwort in einem Satz wird betont? Wo und wie macht man Pausen? »Ein Text ist für Sprecher wie eine Partitur. Das bietet Freiräume«, sagte Schwarz und zeigte, wie man im Sprechen einen Satz »entschlüsselt«.
»Es ist Wahnsinn, dass das Schreiben hier so gefördert wird«, sagte eine Teilnehmerin bei der Schlussrunde. »Ich reise beseelt von diesem Wochenende ab.« Ovag-Vorstand Joachim Arnold, der sich am Wochenende zur Gruppe gesellte, freute sich, solche Worte zu hören. »Wir von der Ovag stellen den Rahmen, das funktioniert aber nur dank des Herzblutes, das die Macher da reinstecken«, lobte er seine Presseabteilung und empfahl fürs nächste Jahr, einen Spaziergang einzubauen, um den Kopf frei zu bekommen.
Ausflugsziele gibt es rund um Bad Kissingen genug, eines bietet sich geradezu an. Denn am Ende des Workshops funkelten und strahlten die Kurzgeschichten wie der geheimnisvolle Karfunkelstein, den der Minnesänger Otto von Botenlauben im 13. Jahrhundert auf seiner Burg hoch über »Kizzicha«, dem heutigen Bad Kissingen, besang.
Anmeldung für 21. Auflage des Wettbewerbs
Rund 200 Jugendliche aus den Landkreisen Wetterau, Gießen und Vogelsberg beteiligten sich in diesem Jahr am 20. Ovag-Jugend-Literaturpreis, schrieben Krimis, Märchen, Fantasy oder sozialkritische Geschichten, die nach dem Lektorat als Buch erscheinen, mit dem die Autorinnen und Autoren auf Lesetour gehen. Es winken außerdem Geldpreise. Für die 21. Auflage des Wettbewerbs können sich Jugendliche zwischen 14 und 23 Jahren aus den drei Landkreisen bewerben. Die Texte (maximale Länge acht DIN-A4-Seiten, circa 50 Zeilen à 60 Anschläge) können bis zum 15. Juli 2024 eingesendet werden an die E-Mail-Adresse matle@ovag.de.