1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis

„Man muss die Jungen machen lassen“

Kommentare

BINDSACHSEN - Es wuselt im Dorfgemeinschaftshaus. Immer wieder geht die Tür auf, bis schließlich etwa 20 Frauen in Trachten, mit Körben und allerlei Mitbringsel rund um einen Tisch stehen und sich unterhalten. Es sind die Landfrauen aus Bindsachsen. Die Jüngste ist vier, die Älteste 83 Jahre, dazwischen viel Jungvolk. Am kommenden Sonntag, 3. September, wird das 50-jährige Bestehen mit einem Backhausfest um die Linde im Ortskern gefeiert.

Ab 11 Uhr gibt es dort frischen Kuchen vom Blech, Schweinshaxen und Gegrilltes. Ab 13 Uhr tritt die Gruppe „Kreuz und Quer“ auf.

Anna Ganz ist Gründungsmitglied und war die erste Vorsitzende. Die ganze Entwicklung fing nicht erst mit der Gründung des Landfrauenvereins im Jahre 1967 an, erzählt sie. Vor dieser Zeit gab es einen großen Kreisverein.

Anfang der 60er, erinnert sich die 83-Jährige, gingen viele Frauen im Winter auf die Landwirtschaftsschule nach Büdingen. Die Lehrer und Beraterinnen setzten sich für bessere Arbeitsbedingungen der ländlichen Bewohnerinnen ein. Ein Beratungswagen der Landwirtschaftskammer fuhr durch die Dörfer und präsentierte arbeitserleichternde Haushaltsgeräte, wie zum Beispiel den Dampfentsafter für Gelee. Keine hatte eine Waschmaschine zuhause stehen. Neben ihrem Elternhaus, der ehemaligen Gaststätte Schimpf in der Lindenstraße 84, ist später eine gemeinschaftliche Waschanlage und eine Gemeinschaftsgefrieranlage betrieben worden. „Die jungen Leute können sich das gar nicht mehr vorstellen.“ Viele der Büdinger Lehrerinnen waren bei den Landfrauen aktiv. Es gab auch eine Landjugendgruppe. Das habe sich dann so weiterentwickelt.

Nachdem die Landwirtschaftsschule aufgelöst wurde, sollten sich die Landfrauen selbstständig organisieren. 17 Frauen waren bei der Gründung in Bindsachsen. Und es waren nicht nur Bäuerinnen, angesprochen wurden alle aus dem Dorf.

Die Landfrauen machten einmal monatlich einen Ausflug mit dem Bus nach Büdingen. Meist wurde im Gasthaus Stern einem Vortrag gelauscht, danach eingekauft. Sie bastelten, besuchten das Theater, organisierten Werkbesichtigungen oder Fortbildungen und die Seniorenfeier und schließlich auch eine Fremdensitzung. Auch ein Chor entstand, den Karl Günther dirigierte. Später kam eine Gymnastikgruppe dazu.

1980 erhielten die Frauen die erste Vereinstracht. In dieser liefen sie 1983 beim Hessentag in Lauterbach mit. Das Motto lautete „Feierabend unter der Linde“. Das kam so gut an, dass sie sich abends im Fernsehen wiederfanden und von zahlreichen Leuten angesprochen wurden. Anna Ganz zeigt ein eingerahmtes Foto. Darauf ist ein großer Hochzeitszug zu sehen. Allerdings haben die Teilnehmer keine Trachten an, sondern zeigen sich in historischen Monturen. Die Frauen mit angeklebten Bärten, andere tragen elegante Hüte.

Und heute? Mit Begeisterung lehnen die Frauen im Dorfgemeinschaftshaus über den alten Fotografien. Anna Ganz erklärt, die anderen staunen und lachen. Die 83-Jährige klebte nie an ihrem Posten, kann sowohl auf Ehrungen als auch auf Beulchesessen gut und gerne verzichten. „Man muss die Jungen machen lassen. Und die machen es toll“, sagt die vielleicht untypischste und aufgeschlossenste Landfrau in der Wetterau.

Zu ihrer Zeit war Gymnastik gefragt, heute sind es Yoga und Pilates-Stunden. Es müssten Themen sein, die die jungen Leute ansprechen, sagt sie. Dann ginge das.

„Früher hat man uns als blöde Bauern abgetan. Heute kann kein Bauer mehr blöd sein, sonst könnte er nicht mehr existieren“, bricht die fünfmalige Oma eine Lanze für die Landwirte. Aber: Das Thema Landwirtschaft ist im Verein nicht mehr aktuell. Die Rolle der Landfrauen hat eine andere Aktualität erlangt. Gemeinschaft zu pflegen und das Dorfleben mitzugestalten. Das steht nun an erster Stelle.

Wie definiert sich eine Landfrau heutzutage? Vorsitzende Carmen Kalbfleisch überlegt ein wenig. Es ist keine besondere Mission, sondern Fakt, dass die Landfrauen neben der Feuerwehr, den Fußballern und Vogelschützern eine wichtige Stütze des Dorfs sind. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings . . . wenig ist das nicht.

Auch interessant

Kommentare