Marlene Dietrich - Ikone mit Herz und Haltung

Eine ganz persönliche Seite der großen Filmdiva Marlene Dietrich präsentierte Schauspielerin Claudia Michelsen mit ihrer Lesung zum Saisonauftakt der Reihe »Nidda erlesen«.
Nidda (red). Mit einem außergewöhnlichen Literaturabend startete die Reihe »Nidda erlesen« in eine neue Saison. TV-Star Claudia Michelsen fasziniert mit einem atmosphärisch dichten und nuancenreichen Programm rund um das Leben einer der größten deutschen Schauspiel-Ikonen: Marlene Dietrich.
Schon nach den ersten Passagen wird klar, dass Michelsen nicht nur über ein weitgespanntes Rollenspektrum verfügt (unter anderem Polizeiruf 110 und Kudamm-Saga), sondern auch über eine einfühlsame und modulationsreiche Stimme. Sie vereint präzise Artikulation, exakte Betonung und emotionale Gestaltung, woraus ein unwiderstehlicher Erzählsog entsteht.
Ein eher schüchternes Kind
Nahezu chronologisch führt Michelsen durch das Leben der Dietrich, das zunächst völlig unprätentiös als zwar musisch begabtes, dennoch eher schüchternes Kind begann. In ihrer französischen Lehrerin Mademoiselle Breguand findet sie aber nicht nur einen Anker, sondern auch eine Förderin. Als diese plötzlich nicht mehr zum Kollegium gehört, spürt die junge Marlene die Vorboten des Ersten Weltkriegs. Ihre geliebte Lehrerin und das durch sie schon ins Herz geschlossene Land Frankreich sind plötzlich Feinde. Eine Tatsache, die sie nicht akzeptieren will. Die Szene, in der das Mädchen am Tag der Bastilleerstürmung französischen Kriegsgefangenen weiße Rosen durch den Stacheldraht reicht, ist der erste von vielen bewegenden Momenten an diesem Abend.
Ein Abend, an dem man die oft als kapriziös bezeichnete Diva auch von einer einfühlsamen und verletzlichen Seite kennenlernt. Als junge Schauspielerin war sie keinesfalls überzeugt von ihren Qualitäten. So beschreibt ihr späterer Mentor und Freund, Regisseur Joseph von Sternberg ihre Zurückhaltung beim Vorstellungsgespräch: »Sie machte nicht einmal den schüchternsten Versuch aufzufallen.«
Andererseits verfügt sie über diese »eindrucksvolle Gelassenheit« und das »ideale Aussehen« für die Rolle, die er zu besetzen hat: die Lola. Dass »Der blaue Engel« ein Welterfolg werden würde, erwartet niemand, schon gar nicht die junge Dietrich, die kurz darauf nach Hollywood geht. Dort dreht sie unter von Sternbergs Regie »Marokko«, den Film, der sie als neue Stilikone definiert - Hosenanzug tragend, lasziv rauchend und eine Frau küssend. Umso beeindruckender ist, dass sich die inzwischen Mutter gewordene Schauspielerin weigert, in Hollywood als kinderlos vermarktet zu werden, nur weil es besser zu ihrem Image passt. »Die Dietrich gibt es nur mit Kind«, lautet ihre strickte Ansage.
Dietrichs Liebesbeziehungen
Geschickt eingewebt wurden auch Dietrichs Liebesbeziehungen, wobei sich Michelsen auf die nachhaltigsten beschränkt. Im Fokus steht lediglich die Ehe mit dem Vater ihrer Tochter, Rudolf Sieber, von dem sie auch nach der Trennung nie geschieden wurde. Zudem die tiefe Verbundenheit zu Regisseur von Sternberg, die Freundschaft zu Dichter Remarque, vor allem aber die Beziehung zu ihrer großen Liebe, dem französischen Schauspieler Jean Gabin, den sie als den »vollkommenen Mann« bezeichnete. Eine Beziehung, der sie auch nach dem endgültigen Scheitern noch bis zum Ende ihres Lebens nachtrauert.
Im zweiten Teil des Abends beleuchtet Michelsen die Zeit während des Zweiten Weltkriegs, in der sich Marlene Dietrich strickt gegen eine Instrumentalisierung durch die Nazis wehrt. Sie unterstützt amerikanische Truppen an der Front mit Unterhaltungsauftritten, wofür sie offen angefeindet wird. Auf die Frage, warum sie das tue, meint sie nur, dass man als guter Mensch doch automatisch Feind eines verbrecherischen Regimes sein müsse.
Zum Ende des Abends wird es einmal mehr ergreifend, wenn Maria Riva die letzten Soloauftritte ihrer Mutter beschreibt. Nach vielen Jahren ausgedehnter Welttourneen verlassen Marlene Dietrich die Kräfte und es kommt immer häufiger zu Stürzen auf der Bühne. Mitte der 70er zieht sie sich nach einem Oberschenkelhalsbruch von der Bühne zurück. Sie schreibt ihre Autobiografie, aus deren Ende Michelsen auch das Finale gestaltet. Es wird deutlich, dass der Diva am Ende nicht viel blieb, fast alle Wegbegleiter sind verstorben und so klingen ihre letzten Worte auch nach Einsamkeit: »Wenn ich gehe, schaut zwei Tage lang die ganze Welt auf mein Leben. Danach bin ich vergessen«.
»Damit sollte sie sich gewaltig irren«, beschließt Michelsen einen großartigen Literaturabend, für den man sie mit langem und intensivem Applaus belohnt.