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Mehr als zwei Bällchen Erdbeereis

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Von: Myriam Lenz

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Ob ich mir nicht einmal ein ordentliches Auto zulegen wolle, fragte mich kürzlich meine Tochter. Ordnung ist relativ. Mit meinem Kleinwagen bin ich ansonsten vollkommen zufrieden. Das Auto ist urlaubskompatibel, es ist sparsam, es passen vier Leute plus Hund hinein, ich habe zwei Baustellen damit beliefert und meine Mutter mit Koffer und Rollator befördert.

Ich kann auf der Autobahn mit Rückenwind locker 160 Stundenkilometer fahren, wobei einmal eine Bekannte trocken bemerkte "zum Totfahren reichen auch 120". Recht hat sie.*Investitionen in Spaghettieis und Konzerte sind für mich schlüssiger als in eine Karosse. Das bedeutet für mich Lebensqualität. Doch durch Corona ist dieser Genuss deutlich eingeschränkt. Wir mussten einen großen Teil unserer Freiheit einbüßen. Aus gutem Grund. *Gestern fuhr ich mit meinem Flitzer durch Büdingen und hörte einen Radiospot. "Wir mussten in der vergangenen Zeit auf so vieles verzichten", sagte die freundliche Männerstimme. Ich nickte zustimmend. Das Treffen mit Freunden, die Besuche bei der Mutter, einfach gute Freunde zu umarmen, von dem gebuchten Urlaub ganz zu schweigen, denke ich. Dann wieder die Männerstimme sinngemäß: Leisten Sie sich jetzt einen jungen Gebrauchten bei BMW. *Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Eine teure Karosse als Trost, als neues Lebenselixier und gegen die Einsamkeit. Wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, fahre ich mit meinem BMW jeden Abend fünfmal durch die Büdinger Altstadt, Ellbogen raus, Radio lautgestellt und Corona und seine Folgen sind vergessen. *Hatte ich vielleicht den Schluss des Radiospots verpasst und der Sprecher hatte ein "PS" in das Mikro gehaucht: "Alle Pflegekräfte und Erzieherinnen, alle einsamen Senioren und die Arbeitnehmer, die um ihren Job bangen, diejenige, die mit weniger Geld zurechtkommen müssen und sich fragen, wie sie ihre Kredite abbezahlen können, die Erzieher, die auch am Wochenende mit besorgten Eltern telefonieren, diejenigen mit Existenzängsten, die Eltern kleiner Kinder, die keine Möglichkeit des Homeoffice haben und einfach nur verzweifeln, oder die Firmeninhaber, die im Moment nicht wissen, wie es weiter geht und viele mehr... bekommen das Auto geschenkt." Bestimmt habe ich das überhört. Das wäre nett, sozial und auf keinen Fall geschmacklos. Denn es geht um mehr als zwei Bällchen Erdbeereis. *Die Einhaltung der Abstandsregeln hat - so scheint es erst einmal - das Corona-Virus in seine Schranken verwiesen. Gegen die Vorsichtsmaßnahmen gingen etwa 20 Anhänger der NPD aus dem Umkreis und auch aus Wetzlar am vergangenen Wochenende in Büdingen auf die Straße. *Diejenigen, denen das erst bei der recht einsamen Kundgebung auffiel, woher der Wind wehte, gingen auf Distanz. Abstand zu Verschwörungstheoretikern, selbst ernannten Wissenschaftlern und rechtsextremen Parteien zu halten, ist meiner Meinung nach eine empfehlenswerte Maßnahme. Sinnvoll sind da sogar mehr als 1,5 Meter.

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