Mehr Angriffe auf Einsatzkräfte

Angriffe auf Polizei- und Rettungskräfte sind kein Phänomen der Großstädte. Auch im ländlichen Raum kommt es immer wieder zu Attacken auf jene, die eigentlich nur helfen wollen. Im Vogelsbergkreis kam es 2021 alleine zu 38 Angriffen gegen Polizei-beamte. Die Anzahl hat sich innerhalb weniger Jahre mehr als verdoppelt.
Die Angriffe in der Silvesternacht auf Polizei und Rettungskräfte haben zu einer bundesweiten Debatte rund um Gewalt gegen Einsatzkräfte geführt. Auch im Vogelsbergkreis ist der Ton deutlich rauer geworden, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder solche Vorfälle. Glücklicherweise jedoch auf einem niedrigen Niveau.
Die Silvesternacht verlief im Vogelsbergkreis weitestgehend friedlich, meldete das Polizeipräsidium Osthessen. »Die Polizei wurde vorrangig zu Ruhestörungen und kleineren Streitigkeiten gerufen«, so Dominik Möller vom Polizeipräsidium Osthessen. Doch das Problem der Gewalt gegen Einsatzkräfte ist auch hier gegenwärtig: Das Polizeipräsidium verzeichnete 38 Übergriffe gegen Einsatzkräfte im Vogelsbergkreis im Jahr 2021. Zumeist handelte es sich dabei um verbale Attacken, jedoch kam es auch zu körperlichen Angriffen. Ein trauriger Höchststand: Im Jahr 2016 verzeichnete die Polizei noch 16 Angriffe auf Vollzugsbeamte. »Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten haben in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen«, berichtet Möller.
Egal, ob in den Städten oder Dörfern: Der Großteil der Übergriffe erfolgt in alltäglichen Kontrollsituationen. »Der unkontrollierte Umgang mit Alkohol und Drogen ist in vielen Fällen Auslöser für Fehlverhalten«, so Möller. »Hinzu kommt sehr häufig ein Solidarisierungseffekt bei weiteren Personen, der sich in der Behinderung des Polizeieinsatzes, in Beschimpfungen oder gar in körperlichen Übergriffen ausdrückt.«
Unter solchen Attacken leidet auch die Arbeit des Rettungsdienstes, teilt der DRK Rettungsdienst Mittelhessen (RDMH) mit, der weite Teile des Vogelsbergkreises abdeckt. 2022 habe es mehrere Vorfälle gegeben, bei denen Mitarbeiter verbal oder körperlich angegriffen wurden, obwohl diese nur Helfen wollten. Betroffene können solche Vorfälle über ein internes System melden, dieses registrierte 2022 vier Übergriffe: Zwei körperliche und ein rein verbaler Angriff sowie eine versuchte körperliche Attacke.
Das sei kein neues Phänomen und sorge für eine starke Belastung der Betroffenen, erklärt Sabine Grebe vom RDMH: »Das sind sehr belastende Situationen für die Mitarbeiter, die vor allem Unverständnis hervorrufen.« Zumal oftmals die Hintergründe solcher Übergriffe nicht nachvollziehbar seien: »In vielen Fällen stehen die Menschen unter Alkohol-, Drogen- oder Medikamenteneinfluss. Der Schockzustand nach Unfallsituationen und der Stress, der daraus resultiert, sind sicher ebenfalls Faktoren«, sagt Grebe. Doch damit ließen sich längst nicht alle Übergriffe erklären.
Wie schwer die Situation für die Rettungskräfte ist, sieht man auch daran, dass eine psychosoziale Notbetreuung für die Betroffenen angeboten wird. Diese beschäftigt sich mit den psychischen Belastungen, denen Einsatzkräfte in Notfallsituationen ausgesetzt sind. Dafür werden sogenannte »Peers« eingesetzt, die aus der Mitarbeiterschaft stammen. Diese verfügen über langjährige Diensterfahrung und haben eine spezielle Ausbildung für diese Aufgabe durchlaufen. »Ziel ist es, nach belastenden Ereignissen eine Unterstützung anzubieten und so deren Folgen zu reduzieren«, sagt Grebe.
Auch die Einsatzkräfte der Feuerwehren dürfen sich oftmals dumme Kommentare von sogenannten Bordsteinkommandanten anhören oder bei abgesperrten Straßen Diskussionen mit Verkehrsteilnehmern führen. Das kann ebenfalls zu Eskalationen führen. Dem Kreis ist, neben den vier Angriffen auf Mitarbeiter des RDMH ein fünfter Fall bekannt, bei dem ein Mitglied der Feuerwehr am Einsatzort angegangen wurde.
Im Kreis sieht man wie bei der Polizei eine steigende Tendenz von Angriffen, wenn auch noch auf niedrigem Niveau, erklärt Kreispressesprecher Christian Lips. Allerdings dürfte die Dunkelziffer hier deutlich höher liegen, da viele verbale Übergriffe zu keiner offiziellen Anzeige führen würden. Sowohl seitens des Rettungsdienstes als auch der Polizei wurden deshalb Schritte unternommen, um solchen Übergriffen vorzubeugen: »Bereits seit Jahren werden zudem regelmäßig Deeskalationstrainings innerhalb der Pflichtfortbildungen absolviert. Diese sind auch Teil der Notfallsanitäterausbildung«, erklärt Grebe. Dabei gehe es darum, das Rettungsdienstpersonal für Gefahrensituationen zu sensibilisieren und in Kommunikation zu schulen.
Ansonsten gelte, dass Einsatzkräfte sich defensiv verhalten und bei Übergriffen die Polizei schnellstmöglich hinzuziehen sollten. Die Polizei investiert seit Jahren in mehr Ausrüstung und Ausbildung: Body-Cams sollen dem Schutz der Beamten dienen und gleichzeitig Beweismaterial liefern. Daneben werden Polizisten im Hinblick auf mögliche Gefahren- und Konfliktsituationen fortwährend sensibilisiert und geschult.