Mit Folter nachgeholfen

Bingenheim (arc). Die Geschichte um den Judengalgen lockte nicht ganz so viele Zuhörer in die evangelische Kirche wie der Vortrag zu den neuen Erkenntnissen um die »Hexe von Bingenheim« im vergangenen Jahr. Dabei hatte der Judengalgen durchaus mit den Hexenverfolgungen im Herrschaftsgebiet des Landgrafen Wilhelm-Christoph von Hessen-Homburg zu tun.
Mit Beginn seiner Regentschaft am 30. Mai 1648 kam es auch zu Hexenverfolgungen in seiner Residenz Bingenheim.
Zwar waren Juden kaum Opfer der Hexenverfolgungen, wie Dr. Jochen Degkwitz vom Heimat- und Geschichtsverein berichtete, doch das letzte der bis zu 60 Opfer in Bingenheim war der Jude Seligmann. Er war der letzte von ursprünglich vier festgesetzten Juden, und er war der einzige von ihnen, der am Judengalgen zwischen Echzell und Berstadt auf dem Scheiterhaufen endete.
Den Beschuldigten Hirtz Judt und Eli Judt gelang die Flucht aus dem Rathaus oder dem Gefängnis im Bingenheimer Hexenturm. Wahrscheinlich waren die Wachen bestochen worden, und die Gefangenen erhielten Hilfe von Familie und Freunden. Deshalb ließ der Landgraf nach allen Kontakten und Verbindungen schicken, um sie zu verhören.
Alte Protokolle analysiert
Einem von beiden soll die Flucht »ins Ausland« geglückt sein, was damals nicht besonders schwer war, erklärte Degkwitz. Immerhin gehörte schon Staden zum Herrschaftsgebiet der Ysenburger und war damit Ausland; der Bingenheimer Landgraf konnte sie dort nicht mehr ergreifen lassen.
Dem Beschuldigten Itzig Judt aus Staden gelang die Flucht nicht. Er, Seligman und Eli Judt hatten die Kirchenglocke von Blofeld gestohlen und nach Frankfurt verkauft. Allerdings war Blofeld eine menschenleere Wüstung, in der die Kirche 15 Jahre lang leer stand. Die Einwohner hatten das Dorf im Elend des Dreißigjährigen Krieges verlassen. Zu dieser Zeit wurde die Glocke gestohlen. Die Kirche wurde später abgerissen und mit der Neubesiedlung des Dorfes wieder errichtet.
Degkwitz vermittelte während seines knapp zweistündigen Vortrags viele Details und großes Hintergrundwissen. Wenig bekannt war, dass man nicht willkürlich mit seinen Gefangenen verfahren durfte und dass es für die Befragung und auch die Folter ein strenges Regularium gab. Deshalb holte sich Landgraf Wilhelm-Christoph zuerst die Erlaubnis des Reichskammergerichts in Speyer, ob er die Folter anwenden durfte. Diese war nicht selten, denn Indizienverfahren gab es noch nicht. Auch wenn alle Beweise oder vermeintlichen Beweise gegen den Verdächtigen sprachen, musste er gestehen. Dazu wurde dann mit der Folter nachgeholfen. Die Beschuldigten wurden etwa »mit der Beinschraube angegriffen«, wie es in den alten Protokollen noch zu lesen ist.
Eben diese alten Protokolle haben Degkwitz und Pfarrer Reiner Isheim in Archiven ausfindig gemacht und analysiert, sodass nun alle Namen der Opfer der Hexenverfolgung bekannt sind und auch viele Lebensgeschichten. Wie die des Itzig Judt, der tot in seiner Zelle gefunden wurde. Im Winter war er im unbeheizten Hexenturm gefangen, deshalb könnte er erfroren sein. Doch hatte er eine Schnur um den Hals, sodass man vermutete, er habe sich erdrosselt.
Die Position der Schnur sowie die Art, wie Itzig angekettet war, schienen dies aber unmöglich zu machen, es musste also der Teufel gewesen sein, der ihn getötet habe. Degkwitz vermutet, dass Itzig von seiner Familie vergiftet wurde. Denn die Inhaftierten mussten von ihren Familien verköstigt werden, die das Essen in die Zelle brachten. In Anbetracht der ihm bevorstehenden Tortur hatte Itzig sich wahrscheinlich Gift bringen lassen.
Kopfüber hängte man seinen Leichnam an den frisch aufgebauten Judengalgen. Kopfüber aufhängen war eine Hinrichtungsart, die damals für Juden vorgesehen war. Der Leichnam blieb lange Zeit am Galgen und hat bei den Menschen wohl einen so bleibenden Eindruck hinterlassen, dass das Flurstück noch heute »Am Judengalgen« heißt.
Zwei Jahre später gestand Seligmann nach mehr als einem Jahr Haft, ein Zauberer zu sein, nur um dieses Geständnis später zu widerrufen. In der darauffolgenden Nacht wurde er vermutlich gefoltert, um am nächsten Morgen erneut zu gestehen. Binnen drei Tagen wurde neben dem Judengalgen ein Scheiterhaufen errichtet, auf dem er als letztes Opfer der Hexenverfolgungen in Bingenheim am 17. Mai 1660 verbrannt wurde.