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Mit Herz und Schaufel den Flutopfern beistehen

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myl_AhrtalAndreaSchmidtM_4c_1 © pv

Es wird ein besonderer Urlaub werden. Andrea Schmidt packt ihren Schlafsack und eine Iso-Matte in ihren Twingo. Es geht von Ulfa ins Ahrtal. Drei Wochen hilft sie bei den Dachzeltnomaden.

Herbst 2021 liest Andrea Schmidt aus Ulfa in dem Flyer von den Dachzeltnomaden. Es ist eine bunte Community, die sich mit ihren Campern, Wohnwagen oder Bullis normalerweise in Deutschland irgendwo zu Events verabreden.

Sieben Dachzeltnomaden kommen Ende Juli in die Eifel und bleiben, um im Flutgebiet Katastrophenhilfe zu leisten. Sie richten zunächst in einem Gemeindehaus eine Basis ein, neuerdings sind sie auf einem alten Sportplatz in Rupperath. Aus den sieben wird eine große Hilfsorganisation. Sie leisten bis dato über 113 000 Einsatzstunden in 53 Orten.

Die 51-Jährige will helfen und zwar direkt, ohne zu befürchten, dass von ihrer Spende zu viel für die Verwaltung abgezwackt wird. Im Dezember fährt Andrea Schmidt das erste Mal in die Eifel und schließt sich den Dachzeltnomaden an.

Geschockt vom ersten Eindruck

Im Ahrteil sind zu diesem Zeitpunkt schon etliche Aufräumarbeiten im Gange. Und trotzdem schockt sie der erste Anblick: »Mir kamen die Tränen.« Es ist Vorweihnachtszeit. Zerstörte Häuser, die Verwüstung ist überall immens, manche Orte wirken wie Geisterdörfer. Und doch steht in jedem noch so unbewohnbarem Gebäude ein leuchtender Weihnachtsbaum. »Die Leute haben das gebraucht, es war wie ein Hoffnungsschimmer für sie.« Hoffnung geben, das ist auch ihr Motor.

Sie schläft in einem Etagenbett auf der Bühne des Gemeindehauses. Für sie kein Problem, ist sie Gemeinschaftsunterkünfte doch von ihren Pilgertouren gewohnt. »Ich habe mich dort gleich sehr wohl gefühlt. Wir wurden herzlich aufgenommen.« Die Helfer kommen und gehen, manche bleiben ein bis zwei Tage, andere vier Wochen. Manche sind einmal da, andere zehn oder 15 mal.

Die Ulfaerin beschreibt einen typischen Tagesablauf. Vor dem gemeinsamen Frühstück geht es zu einem Corona-Test. Danach erhält jeder eine Schutzausrüstung, Stahlkappenschuhe, Arbeitshosen, Jacken, Schutzbrillen, Handschuhe und schließlich Werkzeug. Nach einer Einweisung werden die Personen eingeteilt und auf die Baustellen gefahren, wo nochmals eine Besprechung stattfindet. Was ist konkret zu tun?

Bei dem einen wird Putz abgestemmt, Estrich herausgekarrt. Oft sitzt die Feuchtigkeit unter einer Trittschalldämmung, Fachwerkgefache sind durchtränkt, Häuser werden Stück für Stück zurückgebaut, und das Material sortiert, damit es fachgerecht entsorgt oder eventuell nochmal benutzt werden kann. Gärten werden wieder errichtet, Garagen abgerissen. »Einige Leute stehen immer noch vor einem Trümmerhaufen und wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen. Wenn dann zehn, zwölf Leute auf die Baustelle kommen und Hand in Hand arbeiten, geht es voran. Die Leute sind unglaublich dankbar. Alleine die Gespräche tun ihnen gut«, sagt sie.

Während ihres zweiten Aufenthalts bei den Dachzeltnomaden im Frühjahr hilft die gelernte Krankenschwester im Küchenteam, wo für circa 150 Leute gekocht und das Essen in die Dörfer gefahren wird. Heute werden nur noch die Camp-Mitglieder bekocht. »Man muss nicht vom Fach sein. Es ist für jeden eine Arbeit da.« Alle sind per Du. »Die Menschen erzählen die unterschiedlichsten Geschichten. Die aus der Flutnacht sind schlimm.«

Einen Eindruck davon erhält sie bei ihrem ersten Einsatz in einem Fachwerkhaus. Die Besitzer berichten von der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Dass sie erst den Keller ausgeräumt hatten, weil sie dachten, dass dies reichen würde. Plötzlich hatten sie ein Klackern draußen gehört. Es waren Flaschen und Müll, die das Wasser vor sich hergeschoben hatte. Innerhalb weniger Stunden stieg das Wasser der Ahr und ihrer Nebenarme vielerorts auf einen Pegelstand von sieben bis acht Metern. Die Bewohner sind beide Ende 60, hatten das Haus erst vor wenigen Jahren neu saniert. »Wir standen zusammen und haben gemeinsam geheult.«

Die Außenansicht täuscht sehr oft

Nun ist sie gespannt, wie es aussieht, wenn es alles grün ist. Sie weiß, die Außenansicht täuscht oft über das wirkliche Ausmaß im Innern hinweg. »Öltanks sind kaputt, Heizöl ist ausgelaufen, Kläranlagen sind zerstört. Das verseuchte Wasser sitzt da drin. Es bildet sich Schimmel.«

Es kann sein, dass die Helferteams täglich an einem anderen Ort sind. Am Abend sitzen alle in einem großen Kreis zusammen, lassen den Tag Revue passieren, berichten von ihren Eindrücken. Betroffene und Spender kommen, werden eingeladen zu bleiben. »Es war zu Beginn erst einmal etwas befremdlich. Hier die Katastrophe, dort sind Menschen, die so gut drauf sind. Aber es ist unheimlich wichtig, Spaß und Freude an der Arbeit zu haben«, sagt die 51-Jährige.

Ihnen die Hilfe schenken dürfen

Man dürfe sich nicht hinsetzen und denken, die armen Menschen, was haben die erlebt. Das würde einen herunterziehen. »Ich denke, ich darf hier sein und ihnen meine Arbeit schenken.«

Viele Betroffene seien mit ihrer Kraft und Psyche am Boden. »Es gibt keine Statistik, die besagt, wie viele Menschen sich aus Verzweiflung und Hilflosigkeit das Leben genommen haben«, ist sich Schmidt sicher. Leider wüssten noch immer einige Leute nicht, dass es die Dachzeltnomaden gibt. Und es gibt solche, die aus falscher Scham die Hilfe nicht in Anspruch nehmen.

Die Dachzeltnomaden haben ein gut funktionierendes Netzwerk. Spender konnten unter anderem direkt übers Internet Werkzeug bestellen und zu den Dachzeltnomaden liefern lassen. Ein Bohrhammer fehlt? Kein Problem. Ein Schutttrichter wäre eine Hilfe? Nach zwei Tagen ist er da. So gibt es mittlerweile ein kleines Lager mit Material für die Helfer. Die fehlen allerdings. Es werden dringend noch helfende Hände gesucht.

Am Tag vier ihres Urlaubs hilft Andrea Schmidt mit neun anderen bei Christina in Mechernich. Hier wird der Keller ausgeschachtet, Putz und Beton werden abgeklopft. Die Ulfaerin karrt den Schutt mit der Schubkarre weg. »Die Flutkatastrophe ist jetzt zehn Monate her und die Menschen benötigen nach wie vor unsere Hilfe! Die Leute im Ahrtal dürfen nicht vergessen werden.«

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