Mittagstisch für Senioren in Nidda: »Besser gemeinsam als einsam«

Weil Hildegard Schneider an einem tristen Tag im Jahr 2006 das Essen nicht schmecken wollte, wird ihr und ihrem Team vom Mittagstisch für Senioren in Nidda eine besondere Ehrung zuteil.
Jahrelang war der Tisch der Familienmutter Hildegard Schneider bei den Mahlzeiten voll besetzt. Doch dann wurden die Kinder selbstständig und zogen aus, außerdem starb ihr Mann. An einem tristen Tag im Jahr 2006 wollte der Ruheständlerin das Essen nicht schmecken. Sie saß alleine am Tisch und vermisste ihren Mann, da halfen auch die guten Kontakte zu den erwachsenen Kindern nur bedingt. Aus dieser niedergeschlagenen Stimmung heraus kam der Witwe eine Idee: »Viele Senioren sind in der gleichen Lage. Warum essen wir nicht gemeinsam?« Das war die Initialzündung für das Erfolgsprojekt Seniorenmittagstisch in Nidda, das seit 16 Jahren läuft und sich selbst trägt.
Während der Wetteraukreis am 28. September der Lebensgemeinschaft Bingenheim als inklusivem Lebens- und Lernort den mit 2000 Euro dotierten Wetterauer Sozialpreis verleiht, geht die Belobigung an diesem Tag an den von Hildegard Schneider initiierten Seniorenmittagstisch. Damit ist ein Preisgeld von 500 Euro verbunden (diese Zeitung berichtete). Erste Kreisbeigeordnete Stephanie Becker-Bösch (SPD) wird die Auszeichnungen übergeben. Es freue sie, Menschen zu ehren, die sich mit Einfallsreichtum und ehrenamtlichem Einsatz sowie mit Herz und Hand für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, betont die Politikerin im Vorfeld.
Einmal im Monat ein Tapetenwechsel
2007 bekam Hildegard Schneider die Unterstützung der Stadt, der barrierefreie und helle Saal des Karl-Dietz-Hauses konnte für den Mittagstisch genutzt werden. Die Initiatorin fand in ihrem Bekanntenkreis Frauen, die ehrenamtlich für die freundliche Bedienung der Gäste und auch die Tischdekoration sorgten. Manche davon sind nach 16 Jahren immer noch dabei. Schneider erreichte zudem mit der Hilfe des vielseitig ehrenamtlich engagierten Karlheinz Naumann, dass es für Menschen, die nicht mobil sind oder in den Stadtteilen leben, einen zuverlässigen Fahrdienst gibt. Schneider: »Naumann ist ein Glücksfall für uns.«
Manchen Senioren falle die erste Teilnahme schwer. Aber schnell sei zu hören: »Es tut gut, mal wieder ›unter die Leut zu kommen« oder »Hier erfährt man doch, was los ist in der Stadt.« Erinnerungen werden ausgetauscht, Kontakte vertiefen sich. Ist jemand krank, erkundigen sich die anderen, sie rufen an und zeigen Anteilnahme.
In einem Jahr schlug Schneider der Gruppe vor, auf das vorweihnachtliche Gänse-Essen zu verzichten und für einen sozialen Zweck zu spenden. Das fand Zustimmung: »Ja, aber das Geld soll in Nidda bleiben.« So teilte Schneider die Summe in Gutscheine der örtlichen Metzgereien auf, die an Tafel-Familien mit mehreren Kindern ausgegeben wurden.
Während der Zeit der Corona-Kontaktsperren unternahmen Hildegard Schneider und ihr Team große Anstrengungen, um den Mittagstisch nicht einschlafen zu lassen. Senioren konnten täglich bis 10 Uhr das Essen bestellen, das ihnen dann in Einzelportionen gebracht und an der Tür abgegeben wurde. »Sie sind der erste Mensch, mit dem ich heute ein paar Worte wechseln kann, meine Tochter ist erst am Wochenende wieder hier«, bekam der Fahrdienst manchmal zu hören - eine traurige Aussage, die das Mittagstisch-Motto »Besser gemeinsam als einsam« bestätigte.
Überrascht wurde die Gruppe anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Projekts. Daniela Rack-Döll (Fachbereich Soziales der Stadt Nidda) kümmerte sich mit Frauen aus der von ihr gegründeten Migrantinnen-Gruppe um den Service. Denn alle, auch die Helferinnen und der Fahrer, sollten an diesem Tag Gäste sein und sich bedienen lassen. Das Jubiläumsessen endete zur Freude der Gruppe mit einem Auftritt der NCV-Garde.
Einmal im Monat ist das Sozialmobil jetzt mit den Senioren gegen Abend unterwegs. Dann wird auswärts gegessen - dort, wo es in der Großgemeinde gemütlich und barrierefrei ist. So verbrachten die Senioren, verstärkt durch eine 15-köpfige Gruppe aus Ulfa, unlängst einen perfekten Sommerabend im Garten des Stornfelser Berghotels. Sie genossen sowohl die Landschaft als auch das leckere Essen. »Mal ein Tapetenwechsel - das sorgt für gute Stimmung«, meinte eine pfiffige Seniorin.
Nachfolgerin steht parat
Die 86-jährige Hildegard Schneider will nach und nach Verantwortung abgeben und hat in Veronika Kiel aus dem Helferinnenteam eine Nachfolgerin gefunden, die schrittweise die Organisation im gewohnten Umfang übernimmt. »Aber ich bleibe im Team - vom Mittagstisch kann ich mich nicht losreißen«, meint Schneider.
Von Montag bis Freitag treffen sich in Nidda ältere Menschen gegen 12 Uhr zum gemeinsamen Mittagstisch in der städtischen Seniorenwohnanlage Karl-Dietz-Haus. Senioren aus den Stadtteilen oder Menschen, die nicht mehr mobil sind, werden von Ehrenamtlichen zu Hause abgeholt, mit dem städtischen Sozialmobil zum Mittagstisch gefahren und später wieder nach Hause gebracht. Mit dem Essen aus der Bürgerhaus-Gaststätte ist eine regionale und seniorengerechte Ernährung zu einem Preis gesichert, der auch für Ältere mit kleinen Renten erschwinglich ist. Alle können flexibel entscheiden, ob sie die ganze Woche kommen oder nur an einigen Tagen die Mahlzeit in Anspruch nehmen, und sprechen das bis 10 Uhr am Tag mit der Sozialstation ab (Telefon 0 60 43/40 06 17). VON ELFRIEDE MARESCH
