Möglichkeiten voll ausgereizt

Hirzenhain (em). »Kiwon Lee hat gezeigt, welcher Klangreichtum in dieser Orgel steckt.« Hans Brehm, Musikpädagoge und Ruheständler, der selbst in der evangelischen Kirchengemeinde Eichelsdorf/Ober-Schmitten die Orgel spielt, war begeistert von diesem Abendkonzert. Er teilte seine Bewunderung mit etlichen Besuchern. Bewusst hatte Lee, Dekanatskantor der Region Schotten, Kompositionen gewählt, wo er die Möglichkeiten der größten Orgel des evangelischen Dekanats Büdinger Land voll ausspielen konnte.
Die profilierte Kirchenmusikerin Karin Sachers hatte lange bei dieser Konzertreihe Akzente gesetzt. Sie spielt noch in Gemeindegottesdiensten, möchte aber abends nicht mehr fahren. Erfreulicherweise gestalten die Dekanatskantoren diese Reihe unter der Organisation von Katrin Anja Krauße weiter. Sie bieten so die Gelegenheit, das große Instrument neben der Begleitung des Gemeindegesangs als Konzertorgel mit einer Fülle von Nuancen zu erleben.
Als erstes erklang »Toccata, Fugue et Hymne« des belgischen Organisten Flor Peeters (1903-1986). Peeters gilt bei seinen 130 Orgelwerken als von der Gregorianik inspiriert, und angesichts der machtvollen polyphonen Tonflut der Toccata war das für die Hirzenhainer Zuhörer sehr nachvollziehbar.
Zungenregister und Flötenstimmen
Zugleich war Peeters beeinflusst von einem anderen Großen auf der Orgel, dem französischen Komponisten und Orgelbauer Aristide Cavaillé-Col aus dem 19. Jahrhundert. Diesem sind nicht nur wichtige bautechnische Weiterentwicklungen zu verdanken, sondern auch eine spätromantisch geprägte Tonsprache, die andere zeitgenössische Komponisten inspirierte und zu einer Hochblüte französischer Orgelmusik beitrug. Lee orientierte sich an dieser Prägung, wählte Zungenregister, spielte mit sattem orchestralem Klang, insbesondere bei der Hymne. Aber auch mit Wandlungsfähigkeit: Verhaltene Passagen, mit Flötenstimmen registriert, tauchten in der Fuge auf.
Gibt es »nationale« Orgelmusik? Vielleicht sollte man eher von unterschiedlichen Prägungen sprechen. Die neuromantische Spielweise in Deutschland sei heller, ein wenig härter, kräftiger, weniger opulent gewesen als in Frankreich, meinte Lee im Nachgespräch.
Er hatte als kontrastierendes Beispiel die Orgelsonate g-moll des Leipziger Musikdozenten und Thomaskantors Carl Piutti in vier Sätzen gewählt. Dabei war das Allegro moderato des Eingangs von kräftiger Polyphonie und Lee setzte in seinem Spiel bewusst auf wechselnde Stimmungen. Zart und anmutig schloss das mit Flötenregistern gespielte Allegro pesante, liedhaft das mit Streicherregistern vorgetragene Andantino grazioso an, ehe das Finale mit der Satzbezeichnung Maestoso energico mit rasanten Läufen und raschen Intervallen einen kräftigen Schlussakzent setzte.
Und wieder ein Epochensprung zurück nach Frankreich: Louis-Nicolas Clérambault (1676-1749) war Organist und Komponist, insbesondere von Kantaten im Sinn von Miniopern mit instrumentaler Begleitung. Die Lust an unterschiedlichen gestalterischen Elementen ist auch seiner »Suite du deuxième ton« in sieben Sätzen anzumerken: schwungvolles Stimmenspiel beim »Plein jeu«, die Kontraste dunklerer und hellerer Farben beim »Duo« und »Trio«, tänzerische Bewegtheit beim »Basse de Cromorne«, weiche Melodik bei den mit Flötenregistern gespielten Sätzen »Flutes« und »Récit de Nazard«, um schließlich mit der »Caprise sur les grands jeux« kräftig und vielstimmig zu enden.
Lebhafter Beifall
Ein wenig Tragik schwang beim letzten Stück, den »Litanies« für Orgel von Jehan Alain, mit. Der 1911 geborene Orgelbauer und Organist war schon während des Studiums ein produktiver, auch mit Preisen ausgezeichneter Komponist, Student bei Alexandre Guilmant und Louis Vierne. Er fiel bereits 1940 im Zweiten Weltkrieg. Seiner Schwester Marie-Claire, auch einer bekannten Organistin, ist es zu verdanken, dass seine Werke nicht in Vergessenheit gerieten. Einflüsse von Claude Debussy und Olivier Messien, aber auch von fernöstlicher Musik finden sich darin. Lee spielte die »Litanies« mit reichem orchestralem Klang und setzte Zungenregister ein. Lebhafter Beifall dankte für dieses eindrucksvolle Konzert.