Neue Viren im Anmarsch

Lange Zeit war es still um Corona. Aktuell sorgen jedoch Mutationen für einen erneuten Anstieg der Infektionen. Mit Blick auf den Herbst warnen Experten zudem vor der Grippe und dem RSV-Virus. Auch Prof. Susanne Herold rät daher zur Impfauffrischung. Grund für Panik sieht die Gießener Infektiologin jedoch nicht.
Seit etwa drei Jahren veröffentlicht das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) jeden Tag die aktuelle Zahl der Patienten, die sich mit Corona infiziert haben. In der Hochphase der Pandemie sprangen diese Zahlen zeitweise in den dreistelligen Bereich. Seither hat sich viel getan. Von Inzidenzen spricht heute keiner mehr, die WHO hat die Pandemie offiziell für beendet erklärt, am UKGM lag die Zahl der Infizierten zuletzt häufig bei unter drei. Doch das ändert sich aktuell. Am Mittwoch versorgte das UKGM zwölf Corona-Patienten. Allerdings werden diese Menschen nicht wegen Corona behandelt. Vielmehr wurden die Infektionen bei der Behandlung anderer Krankheiten beziehungsweise Verletzungen festgestellt. Darauf weist Susanne Herold hin, Professorin für Infektionskrankheiten der Lunge sowie Leiterin der Klinik für Innere Medizin, Infektiologie und Krankenhaushygiene am UKGM. »Aber auch wenn wir die Inzidenz wegen fehlender Screenings nicht messen können, ist klar, dass die Infektionen zum Herbst weiter ansteigen werden.«
Mit dieser Einschätzung ist Herold nicht alleine. Viele Corona-Experten rechnen aktuell mit einer Zunahme der Ansteckungen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt zumindest auf der Nordhalbkugel davor. Grund dafür sind laut Herold vor allem neue Mutationen wie etwa BA.2.86 oder Eris. »Das sind Abkömmlinge von den Omikron-Varianten. In der Schwere der Erkrankungen unterscheiden sie sich aber nicht sehr stark.« Was die neuen Mutationen ebenfalls eint, ist ihr Immunfluchtverhalten. »Sie entziehen sich ein Stück weit der durch Antikörper vermittelten Immunität, die wir gegen andere Varianten aufgebaut haben«, sagt Herold. Das sei auch der Grund, warum es für manche Menschen ratsam sei, sich noch einmal die angepassten Impfstoffe verabreichen zu lassen. »Das gilt besonders für Risikogruppen«, sagt die Infektiologin und schließt sich damit der Empfehlung der Stiko an (siehe Kasten). Auch Mitarbeitern von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern rät Herold zur Impfung. »Ich werde meine auch auffrischen, schließlich will ich meine Patienten nicht gefährden.«
Doch auch wenn die neuen Varianten gegen vorherige Infektionen und Impfungen quasi »immun« sind, hat die in der Gesellschaft aufgebaute Immunität große Vorteile, wie Herold betont. »Unser Immunsystem kann inzwischen deutlich besser mit dem Virus umgehen.« Das führe dazu, dass schwere Verläufe immer seltener auftreten. Bei den neuen Varianten sei daher meist mit einem milden Verkauf zu rechnen. »Mild kann aber auch bedeuten, dass man zwei Wochen im Bett liegen muss.« Die in der Gesellschaft aufgebaute Immunität mache sich aber noch auf einem anderen Gebiet bemerkbar. »Je schwerer man an Covid erkrankt, desto wahrscheinlicher ist es, im Nachgang Long-Covid-Phänomene zu entwickeln.« Da eine Impfung zwar nicht immer eine Infektion verhindern könne, meist aber schwere Krankheitsverläufe, senke eine Impfung also auch das Risiko von langfristigen Beschwerden.
In der kalten Jahreszeit haben Viren ideale Bedingungen, sich zu verbreiten. Experten rechnen in diesem Jahr mit gleich drei Erkrankungswellen. Neben Corona und Influenza auch mit Infektionen des RSV-Virus. Letzteres ist vor allem bei Kindern bekannt, es kann aber auch Erwachsene treffen und gerade bei Risikopatienten schwere Verläufe verursachen, sagt Herold. »Zum Glück ist dieses Jahr ein Impfstoff zugelassen worden, allerdings nur für Erwachsene.« Die Medizinerin rät daher Menschen mit Vorerkrankungen sowie Senioren alle drei Impfungen vorzunehmen, also Corona, Influenza und RSV.
Jetzt auch Impfung gegen RSV-Virus
Corona war lange aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Die neuen Entwicklungen dürften daher auch bei vielen Gießenern für rollende Augen sorgen. Grund zur Panik besteht jedoch nicht, wie Herold betont. »Wegen der weit verbreiteten Immunität werden wir wohl nicht so steile Wellen erleben wie in den Vorsaisons.«
Auch der Mundschutz wird in den Augen der Expertin kein Comeback auf den deutschen Straßen feiern. »Masken können in Einzelfällen notwendig sein, zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen oder in Betrieben, in denen es zu Ausbrüchen gekommen ist«, sagt Herold und fügt an: » Ich denke aber nicht, dass wir wieder eine generelle Maskenpflicht im gesamtem öffentlichen Leben erleben werden.«