Nicht alles ist so, wie es manchmal scheint

Auf ihrem Weg mit dem Rad ins südliche Afrika haben Marius Brill aus Ortenberg und sein Begleiter Benedikt Hehn Marokko erreicht. Sie berichten von ihrer Ankunft in einem kleinen Dorf.
Der junge Ortenberger Marius Brill und sein Begleiter Benedikt Hehn brachen im Sommer vergangenen Jahres mit dem Fahrrad aus Mittelhessen auf, um das südliche Afrika zu erreichen. Mittlerweile sind sie in Marokko angekommen und schildern ihre Erlebnisse in einem kleinen Dorf:
»Wie schön ist das denn?« Wir rollen auf eine Lichtung zwischen Pinien. Junges, weiches Gras scheint durch die Nadeln auf dem Waldboden. Es ist windstill und angenehm warm. Die abendliche Routine beginnt. Als ich in meiner Hängematte liege, erscheint ein Mann. Hier ist man wohl nie allein. Er ist gut gekleidet und wirkt freundlich. Laut spricht er in sein Handy. Wenig später rollt ein alter Golf mit drei Männern heran. Im Gegensatz zum ersten tragen sie ihre Djaballahs, die traditionelle Kleidung der Männer. Der Mann auf dem Beifahrersitz steigt aus und tritt mir entgegen. Er ist klein, dünn, rasiert. Ernst schaut er. Als sei es nötig, etwas zu klären. »Salam!« Gleich beginnt er, arabisch zu reden, schnell. »Hablas español (Sprichst Du Spanisch, Anm. d. Red.)? English?« frage ich. Nein, nur arabisch. Bene kommt hinzu. Mit dem Google-Übersetzer erfragen wir den Grund der Aufregung. Der Fahrer kommt nun auch. Er ist groß, schwer und trägt einen wuchtigen grauen Schnurrbart.
Kein guter Übernachtungsplatz
Als wir den Männern bedeuten, dass wir hier schlafen wollen, winken sie heftig ab. Das gleichzeitige Sprechen und der marokkanische Akzent sind zu viel für den Übersetzer. Auf dem Bildschirm erscheinen nur drei Fragmente: Gefährlich, keine Waffen, Kopf verlieren. Dazu eine Geste an der Schläfe, die jemanden als verrückt bezeichnet. Hier gibt’s Verrückte oder sind wir verrückt? Was auch immer mit dem Ort nicht stimmt, die Unterhaltung sät Unbehagen. Wir müssen weitersuchen.
Mit wenigen Handgriffen ist alles verstaut; Enttäuschung kommt auf. Die Straße führt den Hügel hinab. Am Hang ein Dorf. Unter grauen, dünnen Rauchsäulen liegt es in einer baumfreien Scharte zwischen zwei Erhebungen. Es heißt Douart Amejjoute. Das Minarett der Moschee sticht zuerst hinter den Bäumen hervor. Hinter dem letzten Haus bleiben wir stehen. Bene steigt vom Rad und verschwindet in den Bäumen. Ein Schlafplatz? Nach wenigen Augenblicken Ernüchterung. Zu steil, zu beschwerlich der Pfad.
Etwas verlassen sehe ich mich um, da bemerke ich hinter uns eine alte Frau mit Stock. Sie ist klein, lächelt vertraut. Nahbar scheint sie, gütig. Und sie spricht gut französisch, im Gegenteil zu uns. Aber sie versteht uns, wir ihre Antwort aber nicht. Doch sie möchte helfen. Wie gerne würde ich sie verstehen. Es nähert sich wieder ein Mann. Wir erkennen ihn, als er näherkommt. Der Beifahrer. Sein Gehabe lässt die Frau weitergehen. Der ernste Blick ist verständnislos geworden. Ein Unsympath! Wir sollen ihm folgen. Hinter seinem Haus am Dorfrand bleiben wir stehen. »Passport, Police.« Auf seinem Handy zeigt er eine Nummer. Was passiert hier? Wir rufen an und ein Polizist hebt ab. Unsere Pässe fotografieren und an diese Nummer senden, verlangt er. Bene sträubt sich, sein Blick zeigt es. Doch wir tun, was der Polizist sagt. Er ist freundlich, alles ist gut. Mit kalter Miene und trockener Geste weist uns der Grimmige einen Platz zum Schlafen an - die Ecke seines Hauses. Keine Widerrede, dann verschwindet er. Also noch mal aufbauen, dieses Mal das Zelt. Es windet.
Mit dem letzten Hering erscheinen zwei Kinder aus dem Dorf, ein neugieriger Junge und sein etwas größerer Freund. Von nun an schauen sie uns zu, als sähen sie ein Schauspiel. Wir haben länger nicht gekocht, weil der Kocher nicht brannte. Es war unser erstes Mal mit Benzin und wir waren nicht geübt darin. Er brennt wieder nicht. Eine klägliche Vorstellung. Unsere Zuschauer bewegen sich neben mich, ändern ihre Perspektive, flüstern. Bene säubert den Kocher, durchsticht noch mal die Düse. Nichts. Keine Flamme, kein Hitze. Und wieder ein Flüstern der beiden. Sie recken sich, um besser sehen zu können. Ein letzter Blick und sie huschen um die Ecke davon. Ich bemerke ihr Verschwinden, während ich überdrüssig und müde aufsehe. Die haben sich lustig gemacht. Ich weiß es.
Glückliche Fügung
»Haben die denn noch immer nicht genug?« Hinter Benes Rücken treten die beiden Kinder langsam wieder in den Schein unserer Kopflampen. Der kleinere zuerst. Als ich ihnen wirklich meine Aufmerksamkeit widme, merke ich, warum sie sich nur langsam nähern. Der kleine trägt etwas Schweres. Ich sehe ihn näherkommen und fühle mich ertappt. Ich schäme mich fast. Mit breitem Grinsen stellt er die Gasflasche zwischen uns, schlägt zufrieden die Hände ineinander. Auf der Flasche ein Aufsatz zum Kochen.


