Handwerk ächzt unter Bürokratie

Wenn man in den mittelständischen Handwerksbetrieben in Nidda das Thema »Handwerk und Bürokratie« anspricht, erntet man häufig ein Lächeln - irgendwo zwischen gequält, genervt und ergeben.
Die Geschäftsgründer beim Niddaer Dachdeckerbetrieb Aßmus und bei Steinmetz Merz in Geiß-Nidda sowie ihre Mitarbeiter sind sich einig: Die Bürokratie droht die Freude am Handwerk zu ersticken.
Berge von Formularen, auch wenn sie nicht mehr ausgedruckt, sondern digital ausgefüllt werden, prägen sowohl den Alltag derer, die auf dem Bau arbeiten, als auch derer, die im Büro arbeiten. Letztgenannte halten ihren Chefs den Rücken für die wichtigsten Aufgaben frei: das Erstellen von Angeboten, die Gefahrenbewertung, den Arbeitsschutz, die Umsetzung der vielen neuen gesetzlichen Auflagen in Sachen Umwelt, Energie, Klima und Entsorgung.
Etwas entspannter sieht man die Lage bei der Niddaer Mantel GmbH (Elektro, Heizung, Sanitär und Haushaltsgeräte). »Es ist klar, dass das Handwerk sich gewandelt hat - und das ist gut und notwendig so«, stellt Geschäftsführer Micha Findling fest. »Wir arbeiten verstärkt digital. Und: Wir sind letztlich das Werkzeug der Energiewende, die sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat. Zudem gehört die Beratung bezüglich Auflagen und Fördermöglichkeiten zu unserem heutigen Kundenservice. Von daher müssen wir selbst in diesen Dingen stets auf dem aktuellen Stand bleiben.«
»Buchhaltung, Korrespondenz und der Kontakt zu Lohnbüro und Steuerberater läuft über unser Büro«, sagt Steinmetz und Bildhauer Martin Merz in Geiß-Nidda, der für diese Aufgaben vor geraumer Weile eine Teilzeit-Mitarbeiterin eingestellt hat. »Insgesamt muss ich trotz aller Unterstützung durch mein Team sagen: Als Handwerker und Unternehmer kann man mit dem Aufwand an gesetzlichen Anforderungen, von der Ausschreibung bis zur Dokumentation, von der Gefahrenbewertung und dem Arbeitsschutz bis zur fachgerechten Entsorgung kaum mehr Schritt halten.« Die Lohnabrechnung liege beim Steuerberater, ohne den sowieso nichts mehr gehe, unterstreicht Merz.
Schwierigkeiten gebe es im Bereich Lohn, weil im Handwerk nach Stunden bezahlt werde, die Krankenkassen die Meldungen der abgeleisteten Arbeitszeiten aber bereits vor Monatsende einforderten, sodass die Endaufstellungen niemals mit den vorab gemeldeten Zahlen übereinstimmten und regelmäßig aufwendig korrigiert werden müssten.
Ein Umstand, den auch Dachdeckermeister Holger Aßmus betont. Als Familienbetrieb existiert sein Unternehmen seit fast 170 Jahren. »Wenn jemand zu mir kommt, weil ein heftiger Sturm das Dach seines Hauses abgehoben hat - was würde der normale Handwerker dann tun? So schnell wie möglich an die Arbeit gehen, Abhilfe schaffen, den Hausbesitzer vor größerem Schaden bewahren und die Bausubstanz retten.« Von derartigem gesunden Menschenverstand und Praxisnähe scheine die heutige Bürokratie rund ums Handwerk weit entfernt. »Bis ich den Kunden über die Maßgaben der Datenschutzgrundverordnung, Versicherungsfragen, anstehenden Arbeiten, Materialien, Kosten und Risiken informiert habe, ist noch kein handwerklicher Streich getan, die Familie sitzt in Nässe und Kälte und das Haus nimmt Schaden.« Von ähnlichen Anforderungen berichtet auch Martin Merz.
Holger Aßmus geht zusätzlich auf Ursachensuche: »Die Gesetzgeber sind zu weit von der Basis entfernt. Man beschließt Dinge, die auf den unteren Rängen kaum umsetzbar sind.« Zudem seien in den Normierungsausschüssen der Industrie deren Vertreter ungleich stärker vertreten als Regierung, Forschung und eben das Handwerk. Entscheidungen und Gesetze pro Industrie seien die Folge.
Da gibt auch Micha Findling von der Firma Mantel dem Kollegen recht. »Es ist richtig, die Industrie hat eine bessere Lobby als das Handwerk. Aber sie ist auch der größere Steuerzahler und stellt mehr Arbeitsplätze zur Verfügung. Meiner Meinung nach hat Handwerk immer noch goldenen Boden und jede Menge Potenzial. Wenn wir Grund zum Jammern haben, dann auf hohem Niveau.« VON INGE SCHNEIDER