Nidda: »Haben wieder eine Perspektive« - Glatfelter wird zu »Ober-Schmitten Paper«

Die drohende Schließung der Spezialpapierfabrik in Ober-Schmitten ist erst einmal vom Tisch. Aus Glatfelter wird nun »Ober-Schmitten Paper«. Dienstagmittag trat der neue Eigentümer vor die Mitarbeiter.
Der neue Eigentümer des bislang zum Glatfelter-Konzern gehörenden Werks ist die IS Holding aus Istanbul. Hinter ihr steht der Unternehmer Ilkem Sahin (diese Zeitung berichtete). Die IS Holding ist der Papierproduktion ein neuer Akteur in Deutschland. In der Türkei ist die Gruppe in einer Vielzahl von Geschäftsfeldern aktiv.
Der Verkauf überraschte fast alle, die drohende Schließung zum 31. August schwebte bis dahin wie ein Damoklesschwert über dem Betrieb. Auch die Gewerkschaft und der Betriebsrat, das berichten deren Vertreter, waren nicht in die Verhandlungen eingebunden gewesen. Vorletzte Woche Donnerstag habe Ilkem Sahin eine Werksbesichtigung unternommen. Der Betriebsrat hatte dies mitbekommen, allerdings keine Informationen erhalten. An diesem Dienstag wurde der Betriebsrat für 10.30 Uhr zu einer kurzfristigen Sitzung einberufen und darüber informiert, dass zeitgleich der Notarvertrag in Frankfurt unterschrieben werde. »Wir hätten uns da mehr Transparenz von Glatfelter gewünscht«, sagt Alexander Wiesbach, Gewerkschaftssekretär im Bezirk Mittelhessen der Papiergewerkschaft IGBCE. So bliebe der Eindruck, dass es zuletzt vor allem darum ging, das Werk möglichst schnell loszuwerden. »Wir haben immer gesagt, dass der Betrieb überlebensfähig ist«, betont Wiesbach. »Wichtig ist nun, dass der neue Eigentümer ein tragfähiges Konzept für die Zukunft entwickelt und in den Standort investiert. Das werden wir als Gewerkschaft genau beobachten.« Seit Dienstagmittag ist das Werk in Ober-Schmitten also Teil der Tochtergesellschaft Ostrest in Berlin.
Um die Mittagszeit stellte sich Ilkem Sahin der Belegschaft vor und unterschrieb vor deren Augen eine symbolische Kaufurkunde. Er versprach eine gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft. »Wir werden ihn beim Wort nehmen«, sagt Alexander Wiesbach. »Wir haben hier am Standort kompetente Beschäftigte - und die erwarten eine klare Perspektive für die Zukunft.«
Die Hälfte der Belegschaft war anwesend, einige Mitarbeiter kamen extra aus dem Urlaub zur Versammlung. »Die Identifikation mit dem Standort ist groß«, erklärt Betriebsratsvorsitzender Arif Tantürk im Gespräch mit dieser Zeitung. Mit Glatfelter hätte diese nicht bestanden.
Während der Versammlung sei eine Aufbruchstimmung zu spüren gewesen. »Alle waren erleichtert, dass es weiter geht«, beschreibt Stina Lingner vom Betriebsrat die Atmosphäre. »Viele arbeiten hier schon sehr lange, sind zum Teil auch schon älter. Sie hatten Existenzängste.« Das alles müsse erst einmal verdaut werden.
Ilkem Sahin wirke sehr sympathisch, berichtet Bernhard Geier, Schriftführer im Betriebsrat. Sahin habe viel aus seinem Leben erzählt und authentisch gewirkt. »Vor zwei, drei Tagen waren die Aussichten noch düster, jetzt haben sie sich aufgehellt. Natürlich wissen wir, dass nicht alle Schwierigkeiten vom Tisch sind, aber wir haben wieder eine Perspektive.«
Einen guten ersten Eindruck vermittelt
Auch Arif Tantürk spricht von einem guten ersten Eindruck, fordert Transparenz über Konzept und Investitionsprogramm. Der neue Eigentümer habe den Standort mit allen Rechten und Pflichten übernommen. Tantürk: »Wir gehen davon aus, dass alle Mitarbeiter übernommen werden und dass er beide Produktlinien fortführen will. Das hat er so bekundet.« Die Strategie, die Öffentlichkeit miteinzubinden, sei - entgegen vieler Prognosen - voll aufgegangen. Tantürk: »Die Gewerkschaft hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Kontakt zustande kam.«
Ortsvorsteher Andreas Prasse erinnert an den Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft«. Ober-Schmitten hatte Ende 2017 eine Urkunde für den zweiten Platz erhalten. Das Leitmotto lautete »Industrie trifft Natur« und spiegelte 600 Jahre Industrie im Ort wider. Die Papierfabrik sei prägend für den Stadtteil, mache ungefähr ein Viertel der Fläche aus. Hätte man das Werk geschlossen, wären in den vergangenen Jahren durch die geschlossenen Fabriken Kopa-Film und Hera insgesamt etwa 450 Arbeitsplätze verlorengegangen. Glatfelter hätte zum Kipppunkt für weitere Infrastrukturen werden können. Denn die Mitarbeiter kauften auch in dem Kiosk, einer Bäckerei-Filiale oder der Apotheke im Ort ein. Seine Informationen über den Käufer sprächen für Professionalität und einem guten politischen Hintergrund. »Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Das Wichtigste ist, dass es weiter geht.« Gewerkschaft und Betriebsrat seien unermüdlich gewesen, hätten an den Fortbestand geglaubt und eine sehr gute Arbeit gemacht.