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Der Streckenposten ist auf sich alleine gestellt

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hed_udo_posten3_040723_4c © Udo Dickenberger

Niddatal. Ich werde als Streckenposten an die Stelle delegiert, wo die Landesstraße am Bunker auf die Bundesstraße stößt. Die Berufung kam nicht unerwartet. Hier ist Platz vorhanden und Betrachter erscheinen. Die Pylonen beschreiben einen Bogen, dessen Eleganz in die Augen springt.

Wer diese Pylonen betrachtet, fragt sich, warum die alten Ägypter Pyramiden errichtet haben und nicht Pylonen. Sie haben nicht gründlich genug über ihre Bauvorhaben nachgedacht. Die Völker der Antike waren impulsiv. Sie wussten oft nicht, was sie taten. Am Ende standen dann die Bauwerke für die Jahrhunderte da und jeder Verständige fragte nach dem Sinn.

Ich verrichte den Dienst alleine, weil ich für zuverlässig gehalten werde. Auch bei Wahlen werde ich regelmäßig als Helfer einberufen, weil die Einheimischen sich nicht vorstellen können, dass eine Wahl auch ohne mein Mitwirken gültig ist. Ich will aber nicht kandidieren, weil dies einer Erpressung gleichkäme. Den Mitbürgern bliebe keine Wahl. Sie müssten für mich votieren.

Vor zwei Jahren war ich im südlichen Nachbardorf tätig. Dort war wenig zu tun. Es erschien niemand, der auf die Fahrbahn wollte. Die Einheimischen sahen, dass die Welt ihr Dorf nicht vergessen hatte, und waren zufrieden. Ihre Mundart ist eigenwillig. Sie benötigen minutenlang, um ein mehrsilbiges Wort auszusprechen. Haben sie das Ende eines Wortes erreicht, wissen sie nicht mehr, wie es angefangen hat, und beginnen von neuem.

Man erweitert sein Weltbild

Vor Jahren stand ich nördlich meines heutigen Standorts, wo die Straße Am Steinacker auf die Bundesstraße stößt. Dort war von Vorteil, dass ich in der nahen Tankstelle Kaffee und Eis holen konnte. Zuschauer stellten sich ein. Der Ausblick auf das Bruchschollengebirge war erfreulich. Man sah die Wolken über den Schiefer schwappen. Dort oben wird das Wetter für unsere Senke gemacht.

Ein Nachteil war, dass vertrottelte Autofahrer nicht fassten, dass sie hier nicht nach Altenstadt gelangten. Der Tag war angefüllt mit Streitereien. Statt sich beim Landrat zu beschweren, jammerten die Leute mir die Ohren voll. Ich schickte sie in den Taunus. Da dieser klar vor uns lag, glaubten sie, auf dem richtigen Weg zu sein. An meinem heutigen Standort kann es keine Konflikte geben. Jedem Verkehrsteilnehmer ist ersichtlich, dass er die B 45 nicht weiter nach Süden benutzen kann.

Die ersten Jahre brachte ich in der Senke zwischen der Heimatgemeinde und dem südwestlichen Nachbargemeinde zu. Hier säuselt gegenüber eine Quelle, welche die Äcker und den Rauwald entwässert, Hochlandrindviecher schauen herüber und Störche gehen dem Nahrungserwerb nach. Kiebitze geben sich ein Stelldichein. Die Radler erreichen in der Senke ihre höchste Geschwindigkeit.

Ich erlebe bereits den dritten Sektorleiter. Alle opfern sich für das Gemeinwohl auf. Die größte Sorge der Sektionsräte ist das Wohlergehen der Streckenposten. Wer es in unserem Gemeinwesen zum Sektionsrat gebracht hat, braucht sich keine Sorgen mehr zu machen. Bei den Tagungen des Ortskartells werden ihm Ehrungen zuteil. Seine Stellung im Dorf grenzt an das Erhabene.

Während die Rucksäcke, welche der Streckenposten bekommt, von Jahr zu Jahr dürftiger werden, können sich die Rucksäcke, welche beim Helferfest zu gewinnen sind, sehen lassen. Ihre Schönheit sucht ihresgleichen. Ich errege Aufsehen, wo ich mit einem der Rucksäcke aufscheine.

Ich kann jedem Mitmenschen raten, sich als Streckenposten beim Ironman einzusetzen. Man bringt einen Tag an der frischen Luft zu. Man erweitert sein Weltbild. Man erfährt, dass es im Leben nicht nur die trübe Sphäre der Beschäftigung und des Nahrungsmittelerwerbs gibt.

Die Tätigkeit des Streckenpostens steigert das Lebensgefühl. Ein Nachteil ist neben dem dürftigen Essen, dass die Kollegen weit entfernt sind. Als während des Ironman bekannt wird, dass das wunderschöne Helferfest ausfällt, ist es nicht möglich, sich mit den Kameraden zu einem Protest zu verabreden, weil sie viele Kilometer südlich stehen. Wie immer, ist der Mensch auf sich alleine gestellt. Udo Dickenberger

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Der Streckenposten handelt eigenverantwortlich. © Udo Dickenberger

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