Noch brummt der Motor: Industrie- und Handelskammer stellt Konjunkturzahlen vor
Der Wetterauer Konjunktur-Motor brummt weiterhin: Als „robust und stabil“ bezeichnet Rainer Schwarz, Präsident der Industrie- und Handelskammer Gießen-Friedberg die derzeitigen Erwartungen der heimischen Unternehmen in die wirtschaftliche Zukunft. Doch es gibt weiterhin klare Gefälle zwischen den einzelnen Regionen. Auch der Fachkräftemangel ist spürbar.
Besser als im Herbst 2016, aber etwas schlechter als im Frühjahr 2017: So schätzen Unternehmen aus den Landkreisen Wetterau, Gießen und Vogelsberg ihre Aussichten für das nächste Halbjahr ein. So sehen es jedenfalls rund 37 Prozent der 800 Unternehmen, die von der IHK für ihre Halbjahresprognose angeschrieben wurden und geantwortet haben.
Dabei seien es durchaus unruhige Zeiten, wie IHK-Präsident Rainer Schwarz bei der Vorstellung der Zahlen beim Karbener Unternehmen Satis & Fy zu bedenken gibt. Zu denken sei laut IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder unter anderem an die Stichworte Trump und Brexit.
Trotzdem zeigen sich 43,3 Prozent der Unternehmen zufrieden mit der derzeitigen Geschäftslage. Doch blicken sie ein halbes Jahr voraus, rechnen nur noch 18,2 Prozent mit weiterhin günstigen Entwicklungen, fünf Prozentpunkte weniger als im Frühjahr, aber immerhin etwas mehr als im Vorjahr. „Die Gegenwart wird als stabil positiv beurteilt, die nahe Zukunft sieht man – ob all der Unsicherheiten – verhalten optimistisch“, fasst Schwarz zusammen.
Ost-West-Gefälle
Unter dem Strich heraus kommt der sogenannte Klimaindex zwischen dem Tiefstwert Null und dem Höchstwert von 200. Heraus kommt in diesem Halbjahr ein Wert von 119,4 (Wetterau: 117,4). Damit ist er klar besser als im Herbst 2016 mit 112,3, aber schlechter als im Frühjahr mit 123,5. Gute Zukunftsaussichten werden für das Bruttoinlandsprodukt erwartet, die Arbeitslosenquote liegt mit 5,5 Prozent so niedrig wie nie seit der Wiedervereinigung. Die Wetterau rangiert hier mit 4,1 Prozent noch weit unter dem Durchschnitt.
Starke Unterschiede gibt es auch in der Wetterau selbst. Während der westliche Teil von der guten Infrastruktur profitiert und weiter boomt, bleibt die östliche Hälfte abgehängt. Das mache sich an den Exportquoten und den Arbeitslosenzahlen bemerkbar. Doch Infrastruktur für die Region zwischen Büdingen und Gedern sei nicht leicht zu schaffen. „Das ist teuer, und man muss mit Protesten rechnen“, fasst Schwarz zusammen. Doch sagt er auch, dass der Bauboom irgendwann seine Spitze erreicht hat, der Rückschlag zu erwarten sei. Das wirke sich dann auch auf den westlichen Teil der Wetterau aus. Zumal bereits jetzt die Züge und Straßen völlig überfüllt seien.
Doch nicht überall sieht es so rosig aus. So ist etwa beim Maschinenbau die Exportquote weiter angestiegen, doch die Inlandsnachfrage enttäuscht. Die Branche fordere deswegen vehement den Ausbau der digitalen Infrastruktur, wo die Politik viel stärker zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Branchen unterschieden müsse. Der Klimaindex hier liegt deswegen auch nur bei 105,3, sogar schwächer als im Vorjahr mit 108,3.
Ganz anders die Elektroindustrie. Hier gibt es nur Rückgänge im Geschäft mit Großbritannien. Auch mit dem Inlandsgeschäft ist man noch nicht zufrieden. Trotzdem schnellte der Wert von 100 im vergangenen Jahr auf 140,7 nach oben.
Das Baugewerbe strotzt zwar vor Kraft, doch gehen die Erwartungen vor dem Winter hier traditionell nach unten. Der Wohnungsbau kommt laut Schwarz an seine Grenzen, Bauland wird immer knapper, ansonsten platze die Nachfrage aber aus allen Nähten. Der Index kommt hier auf 114,5 Punkte gegenüber 118,3 im Vorjahr und 135,7 im Frühling.
Selbst beim Einzelhandel macht sich kurz vor Weihnachten verhaltener Optimismus breit. 103,2 gegenüber 100,6 Punkte im Vorjahr bedeuten eine leichte Steigerung (Wetterau: 102,2). Doch weiterhin bleibt die Angst vor den Online-Riesen groß, deswegen ist der Wert seit Jahren traditionell niedrig.
Viele offene Stellen
Besonders am Fachkräftemangel zu knabbern hat das Speditionsgewerbe, auch die anhaltenden Diskussionen um Dieselfahrzeuge verhageln die Stimmung. Schwarz: „Zu wenige gute, ausgebildete Kraftfahrer treffen auf eine große Zahl altersbedingt ausscheidender Trucker.“ Der Indexwert stürzt hier von 137,6 im Vorjahr auf 111,4 Punkte ab.
Nur 15,4 Prozent der Betriebe aller Branchen gehen wegen der mangelhaften Ausbildungssituation auch von steigenden Beschäftigtenzahlen aus. 11,4 Prozent fürchten eher Entlassungen, drei Viertel rechnen mit Stagnation. Dies betrifft nicht nur vor allem das Transportgewerbe, sondern auch stark die Gastronomie.
Die Ängste vor dem Fachkräftemangel haben sogar hohe Energie- und Rohstoffpreise als größtes mögliches Hindernis für Firmen verdrängt. „Auch wenn die Ölpreise jetzt wieder steigen“, sagt Leder.
Die Folge schlecht ausgebildeter Nachwuchskräfte sei, dass vorhandene Arbeitskräfte mehr leisten müssten, weiteres Wachstum sei für 40 Prozent der Betriebe nicht möglich. Ebensoviele Betriebe melden offene Stellen an. Mehr als die Hälfte der Unternehmen fordert deswegen, die berufliche Bildung zu stärken und Schulabgänger besser zu qualifizieren. Gut ein Drittel der Betriebe spricht sich für eine attraktivere Region aus, ein Viertel für den Ausbau der Kinderbetreuung und von Ganztagsschulen. Knapp ein Fünftel will den Mangel durch Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte beheben. Leder: „Die Qualifikation wird schlechter. Doch ohne Grundfertigkeiten können keine Kompetenzen entstehen.“ In die Köpfe der Politiker müsse rein, dass nicht immer die Uni im Vordergrund stehen solle, sondern auch eine solide Ausbildung.