Oberstaatsanwaltschaft nimmt Angeklagten in die Mangel
Im Prozess um einen »Mord ohne Leiche« hat Robert S., der zweite Angeklagte, vor wenigen Wochen sein Schweigen gebrochen. Oberstaatsanwalt Hauburger hat in seiner Darstellung zahlreiche Ungereimtheiten ausgemacht.
Robert S. misstraut dem Staat und öffentlichen Institutionen. Für größere Geldsummen kann er sich, wie er sagt, keinen schlechteren Ort als eine Bank vorstellen. Ganz oben auf der Liste seiner Feindbilder aber steht offenbar Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger. »Ich finde Sie noch schlimmer als den Olaf«, sagte er dem Anklagevertreter am 77. Prozesstag um einen »Mord ohne Leiche« bei Hungen direkt ins Gesicht.
Robert S. und sein einstiger Studienkollege Olaf C. stehen seit mehr als zwei Jahren wegen gemeinschaftlichen Mords vor der 5. Großen Strafkammer des Gießener Landgerichts. Wer von den beiden am 17. November 2016 den damals 39 Jahre alten Daniel M. erschossen hat, ist die zentrale Frage in diesem Prozess. Die Angeklagten beschuldigen sich gegenseitig; die Leiche des Opfers ist bis heute verschwunden.
Robert S., der seit seiner polizeilichen Vernehmung im Frühjahr 2020 eisern geschwiegen hat, hat sich an den vergangenen drei Prozesstagen auf Anraten seiner Anwälte ausführlich zur Tat und zur Person geäußert. Am Mittwoch musste er sich den Fragen des Oberstaatsanwalts stellen. Widersprüche und Ungereimtheiten in den Aussagen des bald 43 Jahre alten ehemaligen Physikstudenten, der seine Lehrer-Ausbildung vor dem zweiten Staatsexamen abgebrochen hat, standen dabei im Mittelpunkt. »Ich bereue, dass ich überhaupt etwas gesagt habe«, sagt der Mann rückblickend. Er glaubt, er stünde besser da, wenn er von Anfang an geschwiegen hätte.
Während der zweistündigen Befragung schüttelte Hauburger immer wieder den Kopf. »Das verstehe ich nicht.« Zum Beispiel die unterschiedlichen Darstellungen, die Robert S. bei der Polizei und nun vor Gericht zu den tödlichen Schüssen abgegeben hat. Er behauptet, dass Olaf C. auf einer gemeinsamen Autofahrt von Hanau Richtung Hungen unvermittelt dem vor ihm sitzenden Daniel M. in den Kopf geschossen hat. Bei der Polizei hatte er von mehreren Schüssen gesprochen, vor Gericht war nur noch von einem Schuss im Auto und weiteren von außen und von der Seite die Rede. Er könne sich nicht mehr genau erinnern, sagte der Angeklagte nun. Verwunderung beim Oberstaatsanwalt: Kann es wirklich sein, dass sich eine solche Situation nicht tief eingeprägt hat? Noch etwas kommt Hauburger an der Schilderung des Tat merkwürdig vor: Warum sollte Olaf C. den Mord im Beisein eines Dritten begangen haben? »Nach meiner kriminalistischen Erfahrung ist es nicht so schlau, unter Zeugen einen Menschen umzubringen.« Antwort des Angeklagten: »Schlau ist das sicher nicht.«
Robert S. hat zugegeben, dass er den Leichnam auf seiner Hofreite bei Hungen zerstückelt, in Eimer einbetoniert und beseitigt hat. Irgendwann will er dabei auch die blutbefleckte Kleidung, die Olaf C. bei der Tat getragen haben soll, gefunden und »als Lebensversicherung« aufbewahrt haben. Der Anklagevertreter machte auf zeitliche und sachliche Ungereimtheiten in der Darstellung aufmerksam. Am Tatabend hat es geregnet »wie Sau«. So hat es S. selbst gesagt. Doch die Kleidung, die danach wochenlang in einem Beutel in einer Scheune gelegen haben soll, sei trocken gewesen, behauptet der Angeklagte. Sie habe nicht mal gerochen. Auch dass Kaufinteressenten durch die Immobilie geführt wurden, während nebenan Leichenteile lagerten, fand der Staatsanwalt bemerkenswert. Der Angeklagte nicht. »Es schaut doch keiner unters Heu.«
Ein weiteres Thema waren Einkäufe, die kurz nach der Tat mit der EC-Karte von S. getätigt wurden: Wurden Müllbeutel, Einweghandschuhe, Putztücher benutzt, um den Tatort zu reinigen? Nein, sagt der Angeklagte. Sein mittlerweile verstorbener Vater habe die Karte benutzt und Material für Renovierungsarbeiten für das gemeinsame Haus im Taunus gekauft. Weitere Fragen wirft das Handy von Robbert S. auf. 90 000 Standort-Daten konnten für das Gerät ermittelt werden, aber keine in den sechs Wochen rund um den Tag der Tat. »Ich will wissen, warum sie die ausgeschaltet haben«, beharrte Hauburger. Er bekam keine Antwort.
Die Befragung von Robert S. wird fortgesetzt. Nebenklage-Vertreter Alexander Hauer, die Anwälte von Olaf C. und auch die beiden Verteidiger von S. sollen am nächsten Verhandlungstag Ende August zu Wort kommen. Zudem steht ein Befangenheitsantrag im Raum, den Rechtsanwältin Dr. Iris Passek am Mittwoch im Namen von Olaf C. gestellt hat. Eine Schöffin soll vor Beginn der Verhandlung tröstend auf die weinende Mutter von Robert S. eingeredet und zu einem früheren Zeitpunkt im Prozess gelacht haben, als sich S. über seinen Mitangeklagten lustig machte. Noch ist nicht entschieden, ob dem Antrag stattgegeben wird.