Wie einen ehemaligen Büdinger die Begeisterung für den Dialekt packt

»Babbeln«, »Schnuddeln«, »Kolter« - Hessisch hat es Lars Vorberger angetan. Er machte den Dialekt zum Beruf, forscht zu Regionalsprachen, schrieb ein Buch und kommt zur Lesung nach Ortenberg.
P rof. Dr. Lars Vorberger, aufgewachsen in Büdingen, lehrt und forscht mittlerweile am Institut für Germanistik der Universität Hamburg, unter anderem zum hessischen Dialekt, und veröffentlichte dazu ein Buch. Diese Zeitung sprach mit ihm über die Besonderheiten des Hessischen, weshalb Dialekt sprechen ein Vorteil sein kann und wie viel Hessisch er selbst noch im hohen Norden verwendet.
Sie sind in Büdingen aufgewachsen, leben und lehren jetzt in Hamburg, sprechen Sie selbst (noch) viel Hessisch?
(lacht) Es gibt mehr als genug Situationen, in denen ich hier in Hamburg in meinen Dialekt verfalle. Das hängt aber von der Situation ab. Wenn ich unterrichte, achte ich natürlich genauer darauf, wie ich spreche. Aber im Kreis von Freunden, wenn es ungezwungener wird, kommen schon häufiger hessische Ausdrücke durch. So benutze ich den Begriff »gell« immer noch recht oft.
Wie reagiert Ihr Umfeld darauf?
Es ist nicht so, dass ich viele Begriffe verwende, mit denen meine Gesprächspartner nichts anfangen können. Ich bezeichne eine Decke beispielsweise nicht als Kolter, das versteht hier niemand. Eine Ausnahme gibt es aber - das Kneipchen. Das erkläre ich dann immer und habe es schon erfolgreich eingeführt. Für ein kleines Küchenmesser gibt es keine bessere Bezeichnung. Klar kommt es vor, dass ich auch in anderen Situationen immer mal wieder hessische Ausdrücke verwende. Und da die in Hamburg weniger geläufig sind, fällt das dann auf. Wäre ich in Frankfurt unterwegs, nähme das niemand groß wahr. Das geht mir umgekehrt in Hamburg genauso, wo ich schnell wahrnehme, wenn jemand plattdeutsche Begriffe verwendet und ich mir denke: »Jetzt spricht er aber ganz schön Dialekt.« Ich erlebte aber noch nie negative Reaktionen, wenn ich ins Hessisch verfalle.
Büdingen: Viele verschiedene Dialektformen in Hessen
Wie kamen Sie dazu, sich beruflich mit Hessisch zu beschäftigen?
Ich habe in Hamburg studiert, unter anderem Germanistik. Da gab es auch ein Seminar zum Thema Dialektforschung. Das fand ich sehr interessant. Und weil das Hessische der Sprachraum ist, aus dem ich stamme, beschäftigte ich mich natürlich mit diesem Dialekt. Dabei ist es geblieben, seit dieser Zeit begleitet er meine berufliche Arbeit.
Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal des Hessischen im Vergleich zu anderen Dialekten?
Das lässt sich so einfach nicht beantworten. Interessant am Hessischen ist seine Vielfältigkeit. In keiner anderen deutschen Region gibt es auf einer so kompakten Fläche so viele verschiedene Dialektformen. Das Hessische unterscheidet man in der Sprachwissenschaft in vier große Dialekträume, das Nord-, Ost-, Süd- und Zentralhessische. Das ist schon etwas Einzigartiges.
Hat das einen speziellen Grund, vielleicht die zentrale Lage dieser Sprachregion?
Das kann schon sein. Kommunikation lebt im wahrsten Sinne des Wortes von Austausch und verändert sich damit auch. Eine zentrale Lage kann da zu vielen Einflüssen führen. Die nördlichen und östlichen Regionen Hessens orientierten nach Nordosten, die südlichen und westlichen eher Richtung Südwesten, sodass hier schon - bei allen Gemeinsamkeiten - eine grundlegende Unterscheidung im Raum vorliegt, die dann auch die Komplexität bedingt.
Büdingen: Das rollende R im Hessischen Dialekt
Gibt es ein besonders kurioses Erlebnis, das Sie mit dem Hessischen verbinden?
Kurios in der Form, dass man sich etwa aufgrund der Aussprache missversteht, daran kann ich mich eigentlich nicht erinnern. Im Wetterauer Dialekt spricht man beispielsweise das Wort »schön« als »schiie« aus. Das klingt dann genauso wie »Ski« bei »Skifahren«. Aber in der Regel kommt es da zu keinen Verwechslungen, weil sich der Sinn der Sätze ja aus dem Zusammenhang ergibt. Wenn überhaupt kurios, dann sorgte manchmal meine Aussprache bestimmter Worte für Erheiterung. Im Hessischen ändert sich in jüngster Zeit die Aussprache der Laute B und G, wenn sie vor L und R stehen in der Regel zu P und K. Da sage ich dann auch schon mal »Plau«, wenn ich die Farbe Blau meine. Und so sprach ich auch Freiburg im Breisgau mit P am Anfang. Allerdings glaubte ich vor diesem Hintergrund auch eine ganze Zeit lang, es heißt tatsächlich Preisgau.
Als jemand, der in Büdingen aufwuchs, sind Sie ja mit dem Wetterauer Dialekt vertraut. Was hebt diesen verglichen mit anderen hessischen Dialekten hervor?
Da kann man schwer etwas zu sagen. Grob spricht man im Gebiet zwischen Lahn und Bad Vilbel, Taunus und Vogelsberg zwar einen ähnlichen Dialekt. Und es gibt hier auch bestimmte Besonderheiten, wie etwa das rollende R oder Lautveränderungen, wenn aus Wetterau etwa Werrera wird. Aber im Großen und Ganzen ordnet man den Wetterauer Dialekt dem Zentralhessischen zu. Er grenzt auch an Frankfurt und ist Teil des Rhein-Main-Gebiets. Und von dort breiten sich natürlich auch Einflüsse in den Dialekt vor Ort aus. Das, was man gemeinhin als Frankfurterisch kennt, gewinnt an Einfluss, verändert angrenzende Dialekte. Wir sprechen hier schon von einem Regiolekt. Was aber nicht ungewöhnlich ist, da Sprache allgemein durch ihre Benutzung und bestimmte Einflüsse stetigem Wandel unterliegt.
Büdingen: Stereotyp des Frankfurter Hessisch
Es kommt häufiger vor, dass man bestimmte Dialekte mit gewissen Attributen verknüpft. So verbinden viele mit dem Bairischen Gemütlichkeit, während mancher mit dem Sächsischen fremdelt. Gibt es das auch für das Hessische? Wenn ja, mit was assoziiert man den Dialekt und weshalb?
Ich glaube, das hängt weniger mit dem Dialekt als solchem zusammen, sondern mehr damit, was man mit ihm verbindet. Viele kommen beim Gedanken an einen deutschen Dialekt schnell auf das Bairische, wie man es im Alpen- und Voralpenland spricht. Die Gegend und ihre Bewohner assoziiert man oft mit ländlicher Idylle und vermutlich auch Gemütlichkeit. Für das Hessische ist mir da nichts Vergleichbares bekannt. Aber auch hier gibt es ein Stereotyp in der Wahrnehmung außerhalb Hessens. Dort setzt man Hessisch mit der in Frankfurt gesprochenen Form gleich, also dem bereits erwähnten Rhein-Main-Regiolekt. Viele Nicht-Hessen wissen nicht, dass man in Kassel oder Fulda ein ganz anderes Hessisch spricht. Ursächlich dafür sind wieder Assoziationen, die in diesem Fall etwa mit erfolgreichen Fernsehsendungen, wie »Firma Hesselbach« oder »Der blaue Bock« zusammenhängen können, die das Bild des Hessischen prägten.
Bisweilen galt und gilt Dialekt sprechen als verpönt, manchen sogar als ungehobelt. Weshalb?
Das mag den Hintergrund haben, dass man im ländlichen Raum das Reden im Dialekt noch intensiver pflegt, als in der Stadt. Und auch hier kann es dann wieder zu einer Assoziation gekommen sein nach dem Motto: Dialekt gleich bäuerlich und damit rückständig. Zudem ist Hochdeutsch im deutschsprachigen Raum die Sprache mit dem höchsten Prestige, da man sie überall versteht. Dialekte sind kleinräumiger, mit ihnen klappt das nicht. Es hat in gewisser Weise den Touch von etwas Weltmännischem, wenn man sich hochdeutsch ausdrücken kann. Fakt ist aber, dass jemand, der Dialekt und Hochdeutsch gut beherrscht, in gewisser Weise bilingual aufgewachsen ist, was dann genau das Gegenteil von einfältig oder ungehobelt wäre.
Info: Zur Person
Prof. Lars Vorberger (35) wuchs in Büdingen auf. Von 2006 bis 2010 studierte er zunächst in Hamburg mit einem Auslandssemester in Stockholm, dann, bis 2021 in Marburg, wo er 2017 promovierte. Seit 2012 arbeitete er auch an der Universität. 2021 wechselte er wieder an die Universität Hamburg, an der er seit Oktober eine Juniorprofessur innehat. Im März 2022 veröffentlichte Vorberger sein Buch »Hessisch: Vom Babbeln und Schnuddeln«. Am Samstag, 11. Februar, ist er um 19 Uhr auf Einladung der Kulturfreunde Galerie am Alten Markt mit einer Lesung in Ortenberg zu Gast. Karten gibt es unter Fritz.Fratz@gmx.net bei Dörthe Herrler von den Kulturfreunden.