Plädoyers im Ayleen-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft

Im Ayleen-Verfahren haben Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung am Montag ihre Plädoyers gehalten. Sie sind einig, dass Jan P. für den Mord an der 14-Jährigen zu »lebenslänglich« und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt werden muss. Seine Verteidiger jedoch sehen keinen Beweis für die besondere Schwere der Schuld.
Es waren drei bemerkenswerte Plädoyers, die Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung am Montag im Ayleen-Verfahren gehalten haben. Die fünfte Strafkammer als Schwurgericht am Landgericht Gießen muss nun in diesem emotional aufgeladenen Verfahren bis Donnerstag ein Urteil fällen. Einigkeit herrscht bei der Schuldfrage: Ja, Jan P. (30) hat das 14-jährige Mädchen getötet, und dafür kann es nur »lebenslänglich« geben. Und ja: Es muss danach eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Nur: Die Verteidigung sieht die besondere Schwere der Schuld als nicht bewiesen an. Und dies hat Auswirkungen auf die Frage, ob Jan P. jemals wieder in Freiheit kommen wird.
Dass dies nicht passieren darf, glaubt Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger. Er zeichnet noch einmal den Weg zur »Tragödie« nach, die sich am 21. Juli 2022 zwischen Espa und Cleeberg ereignet hat: Jan P. sei online auf der Jagd nach vulnerablen Mädchen gewesen. »Ayleen ist so eine verletzliche Person.« 7068 Nachrichten hatten die beiden von April bis Juli ausgetauscht, das Gros sexuell konnotiert. Dann habe Ayleen einen »Fehler« gemacht, »den Mädchen tagtäglich machen: Sie schickt ihm Nacktbilder«. Damit habe Jan P. sie in der Hand gehabt. Ayleen sei überfordert und dem nicht gewachsen gewesen.
Am 21. Juli sei der Angeklagte trotz Abweisung durch Ayleen vor ihrem Haus aufgetaucht. Mit der Drohung, dem Vater von den Nacktbildern zu erzählen, habe er ihren wunden Punkt getroffen und sie so dazu bringen können, in sein Auto zu steigen. »Das«, sagt Hauburger, »ist ihr Todesurteil.« Die lange Fahrt bis in die Wetterau bezeichnet Hauburger als »Höllentrip«: »Da sitzt ein Mädchen, die Gottenheim noch nie alleine verlassen hat. Neben ihr ein 29 Jahre alter Mann, ungepflegt, im Auto stinkt es wie die Pest, es ist stockdunkel, sie ist 400 Kilometer entfernt von zu Hause im Wald.« Ayleen müsse »blanke Todesangst« erlitten haben.
Was in jener Nacht zwischen Mitternacht und 3.30 Uhr passierte, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Klar ist: Jan P. erwürgte Ayleen. Dann fuhr er zum Teufelsee bei Echzell, um sie dort zu versenken. Hauburger sagt, das Motiv von Jan P. sei sexuell motiviert gewesen. Das belege auch seine Biografie mit der versuchten Vergewaltigung im Jahr 2007, eine »Blaupause« für den Mord an Ayleen. Zudem habe er nach der Tat einem Freund erzählt, dass er Sex mit einem vermissten Mädchen hatte und dabei Täterwissen offenbart.
Als Mordmerkmale sieht Hauburger eine Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder aus Verdeckungsabsicht als gegeben an. Jan P. ist außerdem nach Ansicht des psychiatrischen Sachverständigen Hartmut Pleines voll schuldfähig. Deshalb fordert Hauburger eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da die Rückfallgefahr groß sei, bleibe nur die Sicherungsverwahrung. Hinzukomme die besondere Schwere der Schuld: Es sei die Gesinnung von Jan P., die aus der Tat spreche. Hauburger fragt: »Wie kann ein Mensch so kalt sein?« Er habe noch nie erlebt, »dass jemand so gleichgültig ist, und nach einer solchen Tat nichts Besseres zu tun hat, als zu masturbieren und 17-Jährige zu belästigen«.
Der rechtlichen Einschätzung von Hauburger schließt sich die Vertreterin der Nebenklage, Katja Ravat, an. Ayleens Familie lebe seit einem Jahr ohne das Mädchen, die Geburtstage fanden ohne sie statt, sie habe die Geburt ihres Neffen nicht miterleben können. Die Familie wolle in der Öffentlichkeit stark wirken, die Tat habe sie aber an ihre Belastungsgrenze gebracht. Es sei der Resilienz der Mutter zu verdanken, dass die Versorgung der Familie klappe.
Das Verfahren habe viele Fragen nicht beantwortet. Was ist Ayleen konkret widerfahren? Hätten die Eltern etwas merken, die Tat verhindern können? »Das treibt sie rund um die Uhr um, ist aber auch Motor für ihre Präsenz im Verfahren.« Die Familie wolle darauf hinwirken, dass Eltern wachsamer sind, auch bei einem »überdurchschnittlich angepassten Kind« wie Ayleen. Sie sollten mit ihren Kindern im Gespräch bleiben - »nicht nur über die Schule, auch übers Innenleben«. Und sie sollten wissen, was ihre Kinder im digitalen Raum treiben. Kritik äußert Ravat am Landgericht Limburg, das die Führungsaufsicht von Jan P. auslaufen ließ, obwohl seine Vorgeschichte bekannt war und er sich unkooperativ verhielt. »Die Justiz kam damals ihrer Verantwortung nicht nach.«
Mit einer Kollegenschelte steigt der Verteidiger des Angeklagten, Henner Maaß, ein. Sein Vorgänger hatte eine mindestens fragwürdige Rolle als gesetzlicher Betreuer und gleichzeitiger Anwalt von Jan P. inne. Dieser sei vom Fall überfordert gewesen, habe versucht, »Verteidiger zu spielen« und nicht verhindert, dass sein Mandant gegenüber einer »Phalanx« der Ermittlungsbehörden, der er intellektuell nicht gewachsen gewesen sei, abenteuerliche »Räuberpistolen« erzählt habe.
Rienhoff widerspricht Hauburger und betont, es gebe keine Hinweise auf eine Tötung aus sexueller Motivation. Eine Verdeckungsabsicht könne jedoch sehr wohl angenommen werden. Jan P. sitze also zu Recht vor Gericht und müsse für die Tat auch mit »lebenslänglich« sowie anschließender Sicherungsverwahrung bestraft werden. Dass er aber ein »albernes Einlassungsverhalten« gezeigt habe, sei menschlich und zeige nicht seine Gesinnung, betont Maaß. »Man muss sich erst mal trauen, einen Mord einzugestehen.« Den Mut habe Herr P. nicht. Aber das Aussageverhalten von Jan P. sein kein Indiz für Boshaftigkeit. Er sei wegen seines »intellektuellen Vermögens« schlicht nicht fähig, seine Lage einzuschätzen. Eine besondere Schwere der Schuld könne also nicht angenommen werden. Würde das Gericht der Verteidigung folgen, wäre im Gegensatz zum von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß ein Ende der Inhaftierung in frühestens 20 Jahren möglich.
Am Ende hat Jan P. das letzte Wort, das man aber zuerst nicht versteht, weil er die Hände beim Reden vor dem Mund hält. Auf Bitten von Richterin Regine Enders-Kunze wiederholt er sie dann: »Ich schließe mich meinen Verteidigern an, und es tut mir leid.«
Info: Urteil im Ayleen-Prozess
Das Urteil im Ayleen-Verfahren soll am Donnerstag um 14 Uhr im Landgericht Gießen verkündet werden.