Pläne für Kaufhaus Joh: »Abriss wäre nicht nachhaltig«

Aus dem Kaufhaus Joh soll das Kaiser-Forum werden, mit dem Schwerpunkt auf Wohnungsbau. Die Friedberger Architektin Dilan Vural hält das für eine verpasste Chance.
Als Schülerin fuhr Dilan Vural gerne mit der Rolltreppe des Kaufhauses Joh. »Ich habe dort meine Süßigkeiten gekauft. Der Joh war wie ein Abenteuerpark, selbst wenn man nicht viel Taschengeld hatte und nur schauen konnte.« Mit Freundinnen fuhr sie die Rolltreppe rauf und runter. »Für uns Kinder war das eine Riesenwelt.« Die 27-jährige Architektin hat im Rahmen ihrer Masterarbeit einen Gegenentwurf zu den Plänen des Eigentümers vorgelegt. Ein Abriss des Gebäudes (bis auf Keller und Erdgeschoss) sei wenig nachhaltig. Für die ersten beiden Stockwerke stellt sie sich kleinere Läden, Cafés und Co-Working-Spaces vor. Auf dem Dach sollen in zwei neuen Baukörpern 20 Wohneinheiten entstehen.
Architektin wollte Vural schon werden, da kannte sie den Beruf noch nicht. In der Adolf-Reichwein-Schule sollte sie für eine Zeitkapsel ihren Berufswunsch aufschreiben. »Ich möchte Häuser bauen«, schrieb die gebürtige Bad Nauheimerin, die in Friedberg aufwuchs und an der Johann-Philipp-Reis-Schule ihr Abitur machte, Schwerpunkt »Gestalten«. Was sich für Laien nach Handarbeit anhört, ist ein differenzierter Bildungsgang, der von geometrischem Zeichnen über Kunstgeschichte bis zum Bau von Architekturmodellen reicht. »Das war wegweisend.«
Es folgte das Architektur-Studium an der TH Köln. In der Domstadt gründete Vural das Architekturkollektiv »timb«, beschäftigt sich mit Um- und Neubau von Wohn- oder Geschäftshäusern. Daneben arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU München. Auch in der alten Heimat ist sie oft, arbeitet mit Gustav Jung zusammen, dem Vorsitzenden des Wetterauer Denkmalbeirats.
Vural propagiert nachhaltiges Bauen. Dass der größte Teil des Gebäudes abgerissen werden soll, hält sie für falsch. Deshalb ihre Masterarbeit unter dem provokanten Titel »department stores giving up the spoon« - Kaufhäuser geben den Löffel ab. In Zeiten des Online-Handels hat sich das Modell Warenhaus überlebt.
Kaufhaussterben: Und was dann?
Vural hat 198 Kaufhof- und Karstadt-Filialen sowie 40 globale Warenhäuser auf ihre Merkmale untersucht, etwa auf Stockwerke, Lage, Dachform. »70 Prozent sind bereits oder demnächst geschlossen.« Als Fallstudie dient das ehemalige Kaufhaus Joh, dessen jahrelanger Leerstand ihr »Unbehagen« bereite, wie Vural sagt. »Das war auch ein kultureller Hotspot, der Joh hat Kunden aus dem ganzen Umland angezogen.« Warum soll dieser Treffpunkt nicht in anderer Form neu erstehen?
Der Abriss und die Umnutzung als Wohungen seien der Spekulation geschuldet, sagt Vural. »Viele Friedberger sind erleichtert, dass endlich etwas geschieht. Nur: Das werden exklusive Wohnungen. Wer kann sich das leisten?« Auch dieser Frage ist Vural in ihrer Masterarbeit nachgegangen. Eine Woche lang ist sie durch Friedberg gelaufen, hat 4000 Fotos vom Leben in der Stadt geschossen. Die meisten der jetzt hier lebenden Menschen kämen wohl kaum in Frage.
Eine kulturelle Bereicherung wäre ein auf Wohnen konzentriertes Quartier wohl auch nicht, meint Vural. Sie stellt sich stattdessen eine Ladenpassage in den ersten beiden Stockwerken vor, mit einer Käsemanufaktur und mit Cafés samt Blick auf die Kaiserstraße. Die markante Fassade mit dem roten Stein will sie nicht abreißen, sondern öffnen. Wie eine Ziehharmonika wirken die verwinkelten, gefalteten Balkone ihres Entwurfs, aus einem »brachialen Koloss« soll eine feingliedrige Fassade werden, mit vielen Ein- und Ausblicken. Die Rolltreppe als »Zeuge der Zeit«, als Erinnerung an die Kaufhaus-Ära, soll natürlich erhalten bleiben. Die Dachaufstockung erfolgt in Leichtbauweise. Vorgesehen sind ein zwei- und ein dreigeschossiger Baukörper mit begrünten Dachhöfen.
Für den Eingang des Kaiserforums schlägt Vural vor, die Bodenfliesen so zu gestalten, dass Stadt und Gebäude ineinander übergehen und ein Durchgang zur Färbergasse entsteht - eine Einladung an die Passanten, das neue Gebäude als sozialen Treffpunkt anzunehmen.
Es gehe darum, öffentliche Orte als Experimenträume zu begreifen, als »urban lab«. Vural schreibt in ihrer mit der Note 1 bewerteten Arbeit von »hybriden Stadtbausteinen«, »polyfunktionalen Stadträumen« und »zirkulären Wirtschaftskreisläufen«. Also von lokalen Traditionen, war Friedberg doch einst eine bedeutende Messestadt. Den Einband ihrer Masterarbeit hat sie aus Friedberger Tuch gestaltet.
Neues Stadtmodell im Wetterau-Museum
Die Ausmaße des Baukörpers zwischen dem Friedberger Elvis-Presley-Platz, der Haagstraße, der Färber- und der Schnurgasse sind riesig. Wo einst das Kaufhaus Joh Kunden von Nah und Fern anlockte, soll das Kaiser-Forum entstehen. Die Friedberger Architektin Dilan Vural hat für ihre Masterarbeit einen Gegenentwurf vorgelegt und hierfür die komplette Innenstadt nicht nur untersucht, sondern auch ein aktuelles Modell entworfen. 2,60 mal 1,50 Meter ist es groß und soll noch in diesem Frühjahr in einer Sonderausstellung im Wetterau-Museum präsentiert werden. Museumsleiter Johannes Kögler freut sich über das Stadtmodell, das mit weiteren Modellen verglichen werden kann. Auf Schautafeln soll Vurals Masterarbeit erläutert werden. Erst der Blick aus der Vogelperspektive mache deutlich, wie alles mit allem zusammenhängt, sagt Architektin Dilan Vural. »Alle Schulklassen in Friedberg müssen einmal ins Wetterau-Museum«, weiß sie. Deshalb sei ihr Stadtmodell hier genau am richtigen Ort.
