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Plötzlicher Herztod: »Risiko steigt mit zunehmendem Alter«

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Dr. Stefan Lehinant und Dr. Michaela Schmidt bieten während der Herzwochen der Deutschen Herzstiftung eine Telefonsprechstunde an. © Anja Carina Stevens

65 000 Menschen sterben laut der Deutschen Herzstiftung jährlich am plötzlichen Herztod. Dieser kommt scheinbar aus heiterem Himmel. Die Ursachen und Risikofaktoren schildern Dr. Michaela Schmidt und Dr. Stefan Lehinant aus Ortenberg im Interview.

Am 12. Juni 2021 erlitt der dänische Fußballspieler Christian Eriksen bei der Europameisterschaft während des ersten Gruppenspiels der dänischen Nationalmannschaft gegen Finnland einen Herzstillstand. Noch vor der Halbzeitpause brach der damals 29-Jährige auf dem Rasen zusammen, er wurde durch ein Ärzteteam reanimiert. Inzwischen spielt er mit einem eingesetzten Defibrillator für Manchester United. Dieser Vorfall zeigt: Nicht nur alte Menschen können einen plötzlichen Herztod erleiden. Im Gespräch mit dieser Zeitung erklären Dr. Michaela Schmidt, Fachärztin für Kardiologie, und Dr. Stefan Lehinant, Facharzt für Kardiologie und Angiologie, aus Ortenberg, warum das Risiko eines plötzlichen Herztodes mit dem Alter steigt und weshalb Sport langfristig einen Herzstillstand verhindert.

Wie funktioniert ein gesundes Herz?

Lehinant: Das Herz versorgt durch seinen regelmäßigen Herzschlag jedes Organ mit sauerstoffreichem Blut. Diese Pumpfunktion erfolgt über ein spezielles Reizleitungssystem im Herzmuskel, ausgehend von bestimmten Schrittmacherzentren im Bereich der rechten Vorkammer. Das Herz schlägt 60 bis 80 mal pro Minute, jeder Herzschlag treibt etwa 70 Milliliter Blut in den Körperkreislauf.

Schmidt: Das Reizleitungssystem besteht aus spezialisierten Herzmuskelzellen, die eine schwache elektrische Aktivität aufbauen können. Das erfolgt über den Austausch von Natrium und Kalium. Über eine kurze Verschiebung von Natrium und Kalium wird eine elektrische Differenz aufgebaut. Dadurch entsteht eine elektrische Aktivität, die über die spezialisierten Herzmuskelzellen über das gesamte Herz weitergeleitet wird.

Was ist der Unterschied zwischen einem Herzinfarkt und einem Herzstillstand?

Lehinant: Beim Herzinfarkt liegt eine akute Unterversorgung des Herzens mit sauerstoffreichem Blut vor. Grund dafür kann eine Verengung oder ein Verschluss im Bereich der Herzkranzgefäße sein. Daraus können viele Probleme entstehen, im schlimmsten Fall ein Herzstillstand. Meist besteht dabei eine bösartige Rhythmusstörung, das Kammerflimmern. Die Folge ist ein ausbleibender effektiver Herzschlag. Durch den folgenden Kreislaufstillstand können die wichtigen Organe nicht mehr mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden. Man spricht vom plötzlichen Herztod.

Warum kann es zu einem Herzstillstand kommen?

Schmidt: Bei Patienten über 40 Jahren ist der häufigste Auslöser die koronare Herzkrankheit. Dabei verengen oder verschließen sich die Koronarien - die Herzkranzgefäße - und führen zu Durchblutungsstörungen des Herzmuskels. Es kommt zum Herzstillstand durch Kammerflimmern. Bei unter 40-jährigen Patienten ist die koronare Herzerkrankung mit 16 Prozent die Hauptursache des plötzlichen Herztodes. Daneben gibt es andere Herzerkrankungen oder Fehlbildungen des Herzens. Auch Drogenabhängigkeit - insbesondere von Kokain - kann zu einem Herzinfarkt und in weiterer Folge zu Kammerflimmern führen.

Welche Faktoren können der Entstehung der koronaren Herzerkrankung entgegenwirken?

Lehinant: Zum einen empfiehlt sich ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger sportlicher Betätigung. Zum anderen wird zu einer konsequenten Reduktion der bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren geraten. Das beinhaltet Stressreduktion, Einstellung des Bluthochdrucks, Überprüfung der Cholesterin- und Blutzuckerwerte, Meiden schädlicher Umwelteinflüsse, Abbau von Übergewicht sowie Beendigung des Nikotinkonsums.

Schmidt: Neben der Beobachtung von Risikokrankheiten gehört auch die Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms dazu. Hier kommt es zu nächtlichen Atempausen, die das Risiko eines plötzlichen Herztodes steigern. Die Betroffenen berichten oft von Abgeschlagenheit mit dem Gefühl, keinen richtigen Erholungsschlaf gehabt zu haben. Auch andere Erkrankungen - wie eine Herzmuskelschwäche oder eine Herzmuskelwandverdickung - sollten abgeklärt werden.

Lehinant: Auch die Beleuchtung der Familiengeschichte kann Erkenntnisse bringen. Gerade hohe Cholesterinwerte oder bestimmte Herzerkrankungen werden häufig vererbt. Hier sind frühzeitige Vorsorgeuntersuchungen ratsam.

Schmidt: Manchmal ist es auch bei nicht aufgeklärten Todesfällen in der Familie sinnvoll, sich schützend untersuchen zu lassen. Dazu gehört neben ungeklärten Autounfällen der plötzliche Kindstod.

Bei welchen Warnzeichen sollte man zum Arzt gehen?

Lehinant: Schweißausbrüche und kurzzeitige Ohnmachtsanfälle können Vorboten einer koronaren Herzerkrankung sein. Auch bei Brustschmerzen, Luftnot, Herzrasen und Herzstolpern sollte ein Arzt aufgesucht werden. Manche Menschen verspüren auch ein Brennen oder Druckgefühl hinter dem Brustbein.

Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern, Alt und Jung?

Schmidt: Bei der koronaren Herzerkrankung klagen Frauen meist über Luftnot und Abgeschlagenheit, während es bei Männern oft zu Brustenge kommt. Die typischen Symptome sind bei Menschen jeden Alters gleich. Jedoch steigt das Risiko mit zunehmendem Alter an, da die Gefäße im Lauf der Zeit mehr verkalken.

Wann sollte man den Notarzt rufen, wann reicht der Gang zum Kardiologen?

Schmidt: Wenn die Beeinträchtigungen kurzzeitig oder immer wieder auftreten und man sich anschließend wieder fit und vital fühlt, empfiehlt sich ein Besuch beim Hausarzt oder Kardiologen. Wenn die Beschwerden plötzlich einsetzen, längere Zeit anhalten und an Intensität zunehmen, sollte unverzüglich der Rettungsdienst gerufen werden.

Lehinant: Es ist wichtig, Vorboten einer koronaren Herzerkrankung ernst zu nehmen. Im Vorfeld können bei Beschwerden rechtzeitig diagnostisch wegweisende Untersuchungen vorgenommen und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.

Wie leistet man richtig Erste Hilfe?

Schmidt: Erst spricht man die bewusstlose Person an, um zu schauen, ob sie vielleicht nur gestürzt ist. Falls keine Reaktion folgt, beginnt man nach dem Absetzen des Notrufs sofort mit der Herzdruckmassage. Sollte der Betroffene nur geschlafen oder getrunken haben, wird er sich wehren. Man legt die Hände aufeinander und drückt mit gestreckten Armen 100- bis 120-mal pro Minute fünf bis sechs Zentimeter tief auf das Brustbein.

Lehinant: Dabei gilt die Devise: Immer schneller und tiefer drücken, als man denkt. Wenn außer dem Ersthelfer noch jemand da ist, sollte ein Defibrillator geholt werden. Dieser befindet sich zum Beispiel im Ortenberger Bürgerhaus und ist oft an Bahnhöfen und in Sporteinrichtungen vorhanden. Wichtig ist, die Herzdruckmassage nicht zu unterbrechen.

Was passiert, wenn die Erste Hilfe unterbleibt?

Schmidt: Wenn man die Herzdruckmassage nicht durchführt und nur auf den Notarzt wartet, dann kann dieser unter Umständen nur noch den Tod feststellen.

Lehinant: Sollte eine Person in der Öffentlichkeit bewusstlos werden, können Anwesende Hilfe leisten. Man kann nichts falsch machen. Etwas zu tun, ist besser, als nichts zu machen.

Wie sieht die weiterführende Behandlung aus?

Schmidt: Wenn eine Herzdruckmassage durchgeführt wird, flimmert das Herz lediglich weiter. Erst durch die Defibrillation hat das Herz eine Chance, wieder regelmäßig zu schlagen.

Lehinant: Dabei drückt man eine Art »Reset-Taste«. So kann man die unkontrollierten Herzmuskelzuckungen unterbrechen.

Schmidt: Heutzutage bekommen alle Menschen, die einen plötzlichen Herztod überlebt haben, einen Defibrillator eingesetzt. Das ist ein eingebauter Notarzt, der mittels eines Kabels mit dem Herzen verbunden ist, wodurch der Herzrhythmus beobachtet wird. Bei neuerlichen Herzrhythmusstörungen gibt der Defibrillator elektrische Impulse ab, um den Herzschlag zu regulieren.

Lehinant: Dieser Notarzt sitzt zumeist links unterhalb des Schlüsselbeins. Mittlerweile haben diese Geräte eine Lebensdauer von bis zu zehn Jahren, bevor die Batterie leer ist und der eingebaute Notarzt erneuert werden muss. Dieser Eingriff kann ambulant stattfinden.

Der dänische Fußballer Christian Eriksen spielt nun mit einem eingebauten Defibrillator. Sind Spitzensportler gefährdeter, einen plötzlichen Herztod zu erleiden?

Schmidt: Ein Herzstillstand tritt bei sieben von einer Million Sporttreibenden auf und ist damit ein seltenes Ereignis. Auch hier steigt das Risiko mit dem Alter. Sport an sich ist nicht zu gefährlich, gehört zu einem gesunden Lebensstil dazu und verhindert langfristig einen plötzlichen Herztod.

Lehinant: Wenn jemand lange keinen Sport betrieben hat und das Training wieder aufnehmen möchte, sollte er gewisse Basis-Untersuchungen in Erwägung ziehen und ein Elektrokardiogramm machen lassen. Diese Untersuchungen werden von den Krankenversicherungen bezuschusst.

Am kommenden Mittwoch, 1. November, findet von 15 bis 17 Uhr eine Telefonsprechstunde des Zentrums für Kardiologie und Angiologie in Ortenberg statt. Das Thema der diesjährigen Herzwochen der Deutschen Herzstiftung lautet »Herzkrank? Schütze Dich vor dem Herzstillstand!«. Die Herzwochen setzen sich zum Ziel, bedrohliche Herzrhythmusstörungen durch Vorbeugung, Erkennung und Behandlung zu verhindern. Aktionspartner sind Krankenhäuser, Herzzentren, niedergelassene Kardiologen, Gesundheitsämter, Krankenkassen, Volkshochschulen, Apotheken und Betriebe. Es werden eine Vielzahl von Veranstaltungen wie Vorträge, Seminare, Telefonaktionen und Gesundheitstage zu diesem Thema organisiert. Die Praxis in Ortenberg ist unter der Rufnummer 0 60 46/24 24 erreichbar. Dr. Stefan Lehinant und Dr. Michaela Schmidt beantworten zwei Stunden lang Fragen für ein besseres langes Leben. VON ANJA CARINA STEVENS

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