Hoffen auf die Rebsorten Regent und Helios

Der Weinbau in der Wetterau hat eine gut dokumentierte Geschichte, die sehr weit reicht. Schon vor 18 Millionen Jahren gab es hier Reben. In Dauernheim wird an das Winzerhandwerk angeknüpft.
Die Sonne steht hoch über den Niddaauen bei Dauernheim, ein kräftiger, warmer Wind weht über das Grundstück mit der Flurbezeichnung »Länder« zwischen dem Sportplatz und dem Naturschutzgebiet Nachtweide. Seit dem frühen Morgen sind die beiden Weinbergbesitzer Dr. André Hülsbömer und Erik Strauss gemeinsam mit einigen Helfern mit dem Setzen junger Rebstöcke beschäftigt.
Die Sorten Regent (rot) und Helios (weiß) sind Kreuzungen aus der Geisenheimer Veredelung und für ihre natürliche Pilzresistenz bekannt. Die Sonneneinstrahlung an Dauernheims Südhängen sowie der Wind, der durch die Weinstockreihen weht, tragen das Ihrige dazu bei, dass Pilze, Schimmel und Schädlingsbefall hier kaum Chancen haben werden.
»All diese Fakten musste ich erst kennenlernen und sie im Anbau berücksichtigen«, sagt André Hülsbömer, der gemeinsam mit seiner Frau Melanie seit 2019 den Dauernheimer Auenlandhof als vielseitiges Anwesen für Seminare, Kunst und Kultur, Feste und Freizeit bewirtschaftet.
Kein Winzer, aber ein Weingenießer
Der gebürtige Westfale ist von Haus kein Winzer, wohl aber Weingenießer, wie er es mit einem Lächeln beschreibt. Infolgedessen musste er sich vor acht Jahren für die Anlage seines ersten Weinberges »In den Niedergärten« Rat und Hilfe holen, vieles rund um den Anbau der Chardonnay-Sorte »Daumer Droppe« aber auch durch Versuch und Irrtum lernen und in seinen Erfahrungsschatz aufnehmen. »Dazu gehörte, dass der Chardonnay hier eigentlich falsch ist. Viel zu sensibel.« Er schaut auf die neuen Reben, deren Reihen von West nach Ost verlaufen: »Der Wind sollte durchblasen können. Der alte Weinberg steht wie eine Wand gegen das Wetter. Das hält die Nässe«, berichtet Hülsbömer.
In den zwei schlechtesten Jahren erbrachte die Lese der weißen Trauben, die ursprünglich aus Burgund stammen, nur rund 300 Liter Wein, im bisher besten Jahr waren es bald 1000 Liter. Genug für den Ausschank im Auenlandhof, dessen gastronomische Wochenendangebote sowie der jeden Dienstag stattfindende »Dimbiss« sich im Dorf und im Umland inzwischen großer Beliebtheit erfreuen. Kein Wunder, denn mit diesem »Weingarten« als Alternative zu den üblichen »Biergärten« kehrt ein Brauchtum zurück, das nicht nur in Dauernheim einst Tradition hatte.
Dies weiß auch Erik Strauss, der lange in Dauernheim lebte, heute in Nidda wohnt und sich den neuen Weinberg »Länder« mit André Hülsbömer teilt. Sorgfältig platzieren er und seine Helfer die jungen Weinstöcke in dem aus Lös und Lehm gemischten typischen Wetterauer Boden, den sie zuvor mit einem Bohrloch präpariert haben.
Ausmessen, bohren, setzen, mit Erde verfüllen und andrücken, gießen, Pflanzstab in die Erde, Verbissschutztüte darum - fertig.
Erst mal. Die Pflege kommt dann mit der Zeit. »Der Weinberg will seinen Winzer einmal am Tag sehen«, gibt Hülsbömer eine Winzerweisheit zum Besten.
Weinanbau bereits im Mittelalter nachweisbar
Aus Ortenberg kommend, gesellt sich Dr. Bernd Vielsmeier zu der Gruppe. Der vielseitige Wissenschaftler und das Mitglied des Ortenberger NABU-Vorstandes ist unter vielem anderen Archivar und Historiker, Sprachforscher, Experte für die Parks und Gartenanlagen der Wetterau und nicht zuletzt Autor zahlreicher Ausgaben der »Ortenberger kleine historische Schriften«, deren Ausgabe aus dem Jahr 2021 sich mit dem Weinbau vergangener Tage beschäftigt.
»Bereits seit dem frühen Mittelalter ist der landwirtschaftliche Weinanbau in der Wetterau dokumentiert«, erläutert Vielsmeier. »Die ältesten bekannten Weinreben in Europa, die Deutsche Weinrebe und die Ludwigsrebe, lassen sich in der Wetterau allerdings schon vor 18 Millionen Jahren nachweisen. Beide starben vor der ersten Eiszeit aus.
Im Vogelsberg und der Wetterau, etwa in Bad Salzhausen, gab es einige der wenigen Fundorte dieser Rebsorten in Europa, erhalten in Braunkohlevorkommen.« Von der landwirtschaftlichen Nutzung wiederum zeugen viele Orts- und Flurnamen von Bad Nauheim über Dauernheim und Ortenberg bis nach Wingertshausen, Büdingen und Gelnhausen, wo der Weinbau bis zum Ersten Weltkrieg gepflegt wurde.
Zum Thema »Weinanbau« gelangte Vielsmeier über seine Beschäftigung mit dem Hospital der Stadt, das am heutigen Platz der Hanauer Mühle vor den Toren Ortenbergs an der Nidderstraße nach Selters, einem alten Fernhandelsweg, lag. In der ältesten erhaltenen Rechnung des Spitals aus dem Jahr 1551 ist auch von Weinbergsarbeiten die Rede.
Lob für die gute Qualität
Bereits in der frühen Neuzeit fand Vielsmeier Belege dafür, dass die Wetterau ein gutes Weinanbaugebiet gewesen sei. In der »Kurzen Beschreibung der Wetterau« des Humanisten, Theologen und Reformators Erasmus Alberus, geboren um 1500 in Bruchenbrücken, ist die Tatsache festgehalten, dass in der Wetterau ein guter Wein angebaut werde, »und dess mehr, dann sie bedürfen.« Der Zeichner und Kupferstecher Wilhelm Dilich wiederum notiert in seiner 1591 erschienenen Beschreibung von ganz Hessen über die Wetterau: »Diese Gegend übertrifft die übrigen Landesteile durch die Qualität des Weins, den sie hervorbringt...«.
Vielsmeier fand sogar Belege dafür, dass man in der damaligen Weinhandelsmetropole Frankfurt nicht nur Wein aus Ortenberg und der übrigen Wetterau verkaufte, sondern dass er auch zu Kaiserkrönungen oder etwa zur Hochzeit Herzog Ludwigs von Württemberg im Jahre 1575 ausgeschenkt wurde.
Früher gehörte der Wein zum Alltag
Für den heutigen Geschmack wären die Sorten des Mittelalters und der frühen Neuzeit definitiv zu sauber gewesen, die Methoden der »Schönung«, Geschmacks- und Farbveränderung und der Anhebung des Alkoholgehaltes würden heutigen Vorschriften zur Lebensmittelherstellung mit Sicherheit nicht mehr genügen.
Damals jedoch gehörte der Wein zum Alltag, er wurde Kind und Greis gleichermaßen einverleibt, ebenso wie bierhaltige Getränke. Allein aufgrund von Erfahrungswerten - ohne Kenntnis mikroskopisch kleiner Bakterien und Pilze - hatte man festgestellt, dass die Einnahme dieser (desinfizierenden) Alkoholika der Gesundheit zuträglicher war als das Trinken des oftmals keimverseuchten Brunnenwassers, wie Vielsmeier erläutert.
Seine Abhandlung über den Weinanbau als Mischwirtschaft, zusammen mit anderen Obstsorten und Feldfrüchten, über den Weinhandel und die damit verbundenen Berufe und Ämter, Stadtwirtshäuser und Schenken könnte zum Standardwerk für eine Renaissance der Wetterauer Weine werden, die sich soeben anbahnt.
Vielsmeier selbst befindet sich gemeinsam mit dem Nabu in Verhandlungen mit der Stadt Ortenberg zur Anlage eines neuen Weinberges - ebenso wie André Hülsbömer und Erik Strauss schwebt ihm vor, das Winzerhandwerk in der Region bis zur Interkommunalen Landesgartenschau 2027 neu zu beleben, Dokumentationen darüber, Weinbergführungen vor Ort sowie Ausschank und Verkostung diverser Wetterauer Weine anzubieten.
In der Region verwurzelte Reben
»Von großem Interesse sind bei diesem Vorhaben auch jene Rebstöcke, die sich in der Region im Privatbesitz befinden«, stellt Bernd Vielsmeier fest. »Viele von ihnen ranken an Fachwerkhäusern empor, sind 50 bis 100 Jahre alt und bewahren das Erbgut alter, im wahrsten Sinne des Wortes in der Region verwurzelter Rebsorten. Sie zu registrieren und zu klassifizieren, eventuell auch zu vermehren, neu anzubauen und gegebenenfalls zu veredeln, wäre eine reizvolle Mammutaufgabe im Zusammenhang mit einer Renaissance des Wetterauer Weinanbaus.«
Vorerst genießt man an sonnigen Wochenenden den »Daumer Droppe« im Dauernheimer Auenlandhof oder bei einigen wenigen Freunden der Hülsbömers.