Der Weg ins Lebensglück: Transfrau berichtet über ihre Geschlechtsumwandlung

Giuliana Rühl ist angekommen. Angekommen im eigenen Körper. Das war nicht immer so. Die 30-jährige Transfrau hat sich für den Wandel entschieden. Dabei ist sie ihrem dörflichen Umfeld in Reichelsheim treu geblieben.
Dunkle braune Augen, dezent betont mit etwas Wimperntusche. Feingliedrige Hände. Lange brünette Haare. Das ist Giuliana Rühl, die in Lich lebt. Ihre Stimme klingt etwas tief. Offen und mit vielen Details erzählt sie, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat.
»Es kam schleichend, ich war nie im Reinen mit meinem Geschlecht«, sagt die Frau die vor 30 Jahren als Junge geboren wurde. »Das Weibliche lag mir immer eher.« In der Pupertät seien ihr erstmals Gedanken gekommen, wie »irgendetwas ist falsch mit mir«. Die erste Erinnerung an einige Stunden im Mädchenkostüm reichen zurück in die Schulzeit. »Wir wollten mit Freunden am Fastnachtsdienstag in Stammheim zur Party gehen.« Das Los entschied, wer das Mädchenkostüm anziehen sollte. »Es traf mich.«
Schminke, High Heels und BH wurden angeschafft. Eine Perücke war nicht nötig, die Haare waren als Rock- und Metal-Fan ohnehin lang. »Ich habe mich in dem Kostüm wohlgefühlt.« Ihren damaligen Namen möchte Giuliana Rühl nicht mehr nennen. »Das ist so wie mit Lord Voldemort bei Harry Potter.«
Freunde aus der Zeit hätten sich abgewandt, als sie erzählte, was sie vor hat. Vor inzwischen neun Jahren sei der Entschluss gefallen, dass sie im männlichen Körper nicht weiterleben konnte. Bis dahin habe es immer mal wieder kleine Fluchten ins Weibliche gegeben. »Wenn die Mutti einkaufen war, bin ich ins Bad.« Mit dabei: Schminke, Nagellack, ein paar Kleidungsstücke, Damenschuhe. Sie stylte sich: Haare, Nägel. Rasch waren die Momente um. Raus ins Leben als junger Mann, der eine Ausbildung zum Fleischereifachverkäufer absolviert hat. »Ich wusste nie, was ich werden wollte, hatte in der Realschule schlechte Noten.« Also eine Ausbildung im elterlichen Betrieb. Danach ging’s zur Fachoberschule, Studium. »Das war aber nichts für mich.« Weiter suchen.
Ihr ist immer klarer geworden: Sie lebt im falschen Körper. Das musste raus. Sie schreibt ihrer Mutter einen Brief. »Ich habe das, was Onkel Konny hat«, erzählt sie. »Wie, du hast es am Herzen«, fragte die Mutter. »Nein, das andere.« Ein Verwandter der Mutter hat eine Geschlechtsangleichung von Frau zu Mann hinter sich. Ihre Mutter habe sie angeschaut und gesagt: »Wie geht es jetzt weiter? Du bleibst mein Kind.«
Fortan war ihre Mutter immer an ihrer Seite. Begleitete sie zum ersten Termin beim Hausarzt. »Das ist so viel wert.« Den Gedanken, den Kontakt abzubrechen und in die Anonymität der Stadt zu flüchten, den habe sie gehabt, aber verworfen. Ein Jahr habe es gedauert, bis sie sich dem Vater offenbarte: »Ich bin kein Mann.« Er habe verständnisvoll reagiert.
Seit 2016 nimmt sie Hormone. Unzählige Fragen hatte sie in der Zeit zu klären: Will ich mal Kinder haben? Wie soll mein neuer Name sein? Dutzende Arzttermine. Und noch mehr Bürokratie. »Ich habe Spermien wegfrieren lassen.« Obwohl sie weder damals noch heute eine Beziehung hat. »Sechs Monate nach dem Beginn der Hormontherapie wirst du impotent«, erzählt sie. »Die Behaarung an Armen und Beinen ändert sich, die Muskeln schwinden, es lagert sich mehr Fett ein.«
Sportlich aktiv bleiben, ist wichtig: Joggen und Volleyball. Das Volleyball-Team wechselt sie irgendwann, weil die Kommentare des Trainers verletzend sind. Das sei ins Homophobe gegangen, wenn sie mit lackierten Fingernägeln zum Training kam.
Auch das Tenorhornspielen im Musikverein hat sie aufgegeben, als sie wiederholt mit ihrem Geburtsnamen vorgestellt wurde, obwohl sie längst Giuliana war.
Dieser Name sollte es sein. Eine Ärztin habe Kerstin oder Carmen vorgeschlagen. »Nein, ich brauche was hübsches, was auffälliges.« Ihren alten Namen verweiblichen das wollte sie auf keinen Fall.
Beruflich nimmt ihr Wandel Fahrt auf: Medizinische Fachangestellte im Krankenhaus. Kurz vor Ende der Bewerbungsfrist reichte sie ihre Unterlagen ein. Noch mit dem Geburtsnamen. Leider. Sie habe sich wieder erklären müssen. »Und plötzlich wusste es die ganze Abteilung, dass ich eine Transfrau bin.« Darüber sei sie betrübt gewesen. »Ich möchte meine Geschichte selbst erzählen.«
Der Job erfüllt sie. »Es ist meine Berufung.« Die Notaufnahme ist ihr Ding. Nun folgt noch die Ausbildung zur Pflegefachfrau. Sie strebt die Weiterbildung zur Notfallpflege und Praxisanleiterin an. »Dann reicht’s auch mal.«
Und private Träume? »Das Leben mit Partner stelle ich mir interessant, spannend und schön vor.« Aber: Bitte keiner, der nur ein Abenteuer sucht. »Ich habe schon komische Sex-Angebote bekommen«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Das Schöne ist, dass ich mich nicht mehr verstellen muss.«