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Reportage: ?Bunt statt braun!?

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Demonstranten halten bei einer Kundgebung unter dem Motto "Büdingen ist weltoffen - Kein Platz für Nazis" ein Plakat mit der Aufschrift "Büdingen ist weltoffen". Die Demo richtet sich gegen einen gleichzeitig stattfindenden Aufzug durch die Stadt mit dem Titel "Büdingen wehrt sich - Asylflut stoppen", der zunächst als Fackelmarsch geplant war.
Demonstranten halten bei einer Kundgebung unter dem Motto "Büdingen ist weltoffen - Kein Platz für Nazis" ein Plakat mit der Aufschrift "Büdingen ist weltoffen". Die Demo richtet sich gegen einen gleichzeitig stattfindenden Aufzug durch die Stadt mit dem Titel "Büdingen wehrt sich - Asylflut stoppen", der zunächst als Fackelmarsch geplant war. © Frank Rumpenhorst (dpa)

Am S

Von Janina Raschdorf

Am Samstagnachmittag ist Büdingen wie ausgestorben. Die Bewohner haben sich in ihren historischen Häuschen verbarrikadiert, ihre Türen verriegelt, die Rollos heruntergelassen. Es herrscht Totenstille - nur die Wachhunde knurren und kläffen in den Gärten der ländlichen Kleinstadt. Sie spüren: Heute ist die Stimmung anders als sonst. Tief hängt der bedrohlich graue Himmel über dem mittelalterlichen Ort - und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er seine Tränen über die 2100-Seelen-Gemeinde vergießt.

So klein und unbedeutend Büdingen auch erscheinen mag, durch die hiesigen Gassen räkeln sich lange, finstere Schatten der Intoleranz. Nicht nur fanden hier zwischen 1532 und 1699 an die 400 Hexenhinrichtungen statt, hier wurde auch Adolf Hitler zum Ehrenbürger nominiert. In einigen Stadtteilen wurden ganze Straßen hochachtungsvoll nach NS-Herrschern benannt. Und gleich nach Hitlers Machtergreifung kam es in Büdingen zu grausamen Übergriffen auf Juden, bereits 1938 soll der letzte die Stadt verlassen haben.

Seither hat sich in dem Wetterauer Ort viel verändert: Fast 800 Flüchtlinge wurden mittlerweile aufgenommen. Und doch gelingt es dem Städtchen nicht, sich aus dem dunklen Schleier der Vergangenheit zu lösen. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt Daniel Lachmann: Der 35-jährige Bürokaufmann mit Bäckerausbildung ist derzeit Geschäftsführer der NPD-Hessen. Er ist in Büdingen aufgewachsen und hat es auch nie verlassen. Doch so sehr der große, kräftige Mann seine Heimat liebt,  die aktuelle „Asylflut“ ist ihm ein Dorn im Auge.

Auf regelmäßigen Veranstaltungen sowie seinen Facebook-Seiten hetzt Lachmann offen gegen Flüchtlinge. Und um weitere Kräfte zu mobilisieren, hatte er in enger Zusammenarbeit mit Melanie Dittmer - Initiatorin der anti-islamischen Bogida-Demonstrationen in Bonn - für gestern einen Fackelmarsch organisiert. Das Datum, der 30. Januar, war nicht willkürlich gewählt: Genau 83 Jahre zuvor waren Nationalsozialisten anlässlich Hitlers Machtergreifung mit Fackeln durch das Brandenburger Tor in Berlin gezogen.

Doch zu einem Fackelmarsch sollte es gestern nicht kommen. In Sorge um die Fachwerkhäuschen hatte sich Büdingen dagegen versperrt. Der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass Fackeln in Anbetracht der zunehmenden Anzahl von Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime „ein Klima der Gewaltdemonstration und potenziellen Gewaltbereitschaft“ schüren könnten. Feuer war also nicht erlaubt - als brandheiß stufte die Stadt die Gefahr eines Gewaltausbruchs auf der Demo aber dennoch ein.

Nachvollziehbar: Schließlich hatten gleich mehrere Organisationen und Parteien zu Gegenkundgebungen aufgerufen. Und das sorgte bei den Nazis für Unmut: „Ich hoffe das alle von den linken Chaoten, Antifapennern und sonstige Trillerpfeifen heute nacht mit eingeschlagenen Schneidezähnen in der Notaufnahme aufwacht!!!“, hatte etwa der rechtsradikale User Sascha Kohlberger auf Facebook in fehlerhaftem Deutsch getönt.

Gestern ist es dann so weit: Um 17 Uhr sollte der Marsch losgehen: Von den Rechtsradikalen allerdings ist keine Spur.  Orientierungslos irren zahlreiche Gegendemonstranten durch die Gegend, suchen alle Seitengässchen nach rechtsradikalen Formationen ab - vergebens! Mehrere hundert Beamte sichern die Marschroute der Nazis weitläufig ab. Enttäuscht versammelt sich die rebellierende Masse nahe der Düdelsheimer Straße. Ihre bunten Regenschirme und Capes leuchten im trist-grauen Regenwetter.

Trommelnd und singend machen sich die Männer und Frauen für Toleranz und Zusammenhalt stark: „ Say it loud, say it clear - refugees are welcome here!“ Auch ein Kind hält stolz ein selbstbemaltes Plakat in die Höhe: „Jeder Mensch hat das Recht auf ein sicheres Leben“. Als eine vermeintlich nationalsozialistisch gesinnte Menschentraube näherrückt, folgen die ersten Buhrufe: „Nazis raus!“, „Bunt statt braun!“. Erst langsam wird den Demonstranten bewusst, dass es sich bei den Männern um eine Antifabi-Verstärkung handelt. Bei dem Wetter greift auch der Linksliberale gerne mal zu Wetterfesten Springerstiefeln.

Die wahren Nazis aber halten sich immer noch fern. Eine halbe Stunde verstreicht, dann eine Stunde… Viele der wartenden Gegenprotestler sind bereits klatschnass, doch selbst mit klammen, zitternden Händen halten sie ihre Plakate und Fahnen noch in den kalten Wind, selbst mit bibbernden Lippen rufen sie noch lauthals: „Zeigt euch, ihr Nazischweine!“ Aber die NPD lässt sich Zeit. Der Himmel hat sich schon halb verdunkelt, als die Meute endlich näherrückt.

Langsam schleppen sich die dunklen Gestalten über eine Straßenkreuzung. Selbstbewusst schwenken sie ihre überdimensionalen Deutschlandfahnen. Doch ihre Parolen dringen nicht bis zu den Gegendemonstranten vor. Der Abstand, den sie vor ihren Widersachern einhalten, ist schlichtweg zu groß. Die Marschierenden werden von unzähligen, bulligen und gut ausstaffierten Polizisten geschützt. Etwa 15 Minuten dauert es, bis die rund 150 Nazis die Kreuzung unbehelligt passiert haben.

Eine Welle des Zorns geht durch die Masse der Gegendemonstranten. „Warum schützt ihr diesen Abschaum“, raunt ein Mann einem Polizisten zu. Dieser reagiert nicht, doch in seiner Mimik scheint sich tatsächlich leichter Widerwillen zu spiegeln. Aber erst nachdem die Nazis vorbeigezogen sind und ihr fortführender Weg bereits durch neue Abzäunungen gesichert ist, öffnen die Beamten die Schranken. Schleunigst eilt die Masse zur Büdinger Flüchtlingsunterkunft. Schließlich sollen die Nazis auch hier vorbeikommen.

Doch die Polizei ist schneller. Auf dem Bahnhofsgelände ist kein Durchkommen. Enttäuscht steigen nun einige in den Zug nach Gießen, statt den Nazis aufs Dach. Einige Hundert bewegen sich Richtung Stadtmitte vor - und geraten plötzlich in einen Polizeikessel. Ein knatternder Hubschrauber zieht im Nachthimmel seine Kreise über ihren Köpfen. Tatsächlich sind sie ohne besseren Wissens direkt auf der Nazi-Route gelandet. Grob drängen die Beamten sie zurück, bilden eine Staumauer. Nur vereinzelt versuchen Demonstranten gegen den Strom zu schwimmen. Und so bleibt nur der Rückzug.

Durch Provokationen und Drohgebärden konnten die Anti-Faschisten nichts bewirken. Doch als sie vor der Abfahrt ihre klatschnasse Jacke auswringt und neue, warme Socken über ihre eiskalten Füße stülpt, bemerkt eine Demonstrantin zufrieden: „Immerhin konnten wir der Öffentlichkeit zeigen, dass viele von uns hinter den Flüchtlingen und für eine tolerante Gesellschaft stehen. Das war die Sache allemal Wert.“ An die 800 Gegendemonstranten sollen gestern nach Büdingen gereist sein - im Vergleich zu knapp 150 Nazis. So endete der Aufmarsch mit einem 6:1 für die Demokratie

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