Die Band, die niemals probt

Von Anfang an »war klar, dass wir eine Band sein müssen«, erzählt der 13-jährige Mika Mai aus Rockenberg. Er, Luna und Paul sind das Rockytrio - und sie durften kürzlich nach Berlin.
Es ist eigentlich ein Wohnzimmer. Couch und Fernseher passen auch gerade noch so herein. Drumherum ist allerdings wenig Platz. Alles zugestellt. Mit Mikas Instrumenten. Der 13-Jährige strahlt: »Ich bin Stammkunde im Instrumentengeschäft.«
Da ist einmal das Schlagzeug, das schon eine Menge Platz wegnimmt. Vor allem aber der Flügel. Daneben mehrere Keyboards, Cajons, Bongos. Ein DJ-Pult ist recht neu dazugekommen und an der Wand hängen E-Gitarren.
Mika beherrscht alle Instrumente, die er in seinem Rockenberger Zuhause angesammelt hat.
Musik seit dem Baby-Alter
Schon als Baby, erzählt Mama Minou Mai - er konnte noch nicht alleine stehen, nicht einmal sitzen - spielte er auf dem Keyboard, ohne dass ein Ton falsch geklungen hat. Seither macht Mika Musik. In den vergangenen Jahren hat er unzählige Stücke komponiert, Wettbewerbe gewonnen und Auftritte gehabt.
Er muss das Spielen nicht lernen. Mika ist Autist und hat ein absolutes Gehör. Nimmt er ein Instrument zum ersten Mal in die Hand, macht er sich kurz damit vertraut, dann beherrscht er es. Noten braucht er nicht, sie zu lesen ist ohnehin schwer für ihn: Er hat das De-Morsier-Syndrom sowie CVI, beide Erkrankungen äußern sich durch eine Sehstörung.
Er spielt aus dem Kopf. »Die Musik entsteht in dem Moment, in dem ich spiele«, sagt er. Wenn er Akkorde vorgespielt bekommt, errät er jeden Ton. Und wenn er sich an den Flügel setzt, beginnt er zu spielen, ohne nachzudenken. Einmal, das ist schon knapp vier Jahre her, hat der Kinderkanal einen Fernsehbeitrag über ihn gemacht. Der damals neunjährige Mika sagte darin: Es ist, als hat er Schubladen in seinem Kopf, und immer, wenn sich eine öffnet, kommen 1000 Lieder heraus.
Dateien schicken, Lieder schneiden
Manche der Lieder spielt Mika danach nie wieder, aus manchen macht er einen Song - für seinen Youtube-Kanal (»Mika Rocky Mai«). Deswegen steht im Wohnzimmer ein weiteres »Instrument«: der Computer.
Wenn Mika zum Beispiel für einen Song Klavier, Schlagzeug und Gitarre braucht, kann er die Instrumente nacheinander spielen und die Tonspuren mit einem Programm zusammenlegen. Oder aber, wenn er mit anderen Musikern zusammenarbeitet.
So wie zurzeit. Mika sitzt vor dem Bildschirm. Bandtreffen von Rockytrio. Luna aus Lüneburg und Paul aus Kriftel sind zugeschaltet.
Luna ist 14, spielt Posaune und kennt Mika über dessen Youtube-Account. In einem Jazz-Camp für Jugendliche im Frühling haben sie sich zum ersten Mal persönlich getroffen. Dort haben die beiden den zwölfjährigen Paul kennengelernt.
Dass die drei zusammengefunden haben, sagt Minou Mai, ist nicht verwunderlich: Sie sind jung und mögen Jazz - eine seltene Kombination: »Quasi die Nische der Nische.« Angebote für junge Jazz-Musiker sind selten. Bei dem Camp im Frühling haben die drei schnell gemerkt, dass es passt: Nach den Workshops haben sie noch gemeinsam improvisiert, erzählt Mika. »Wir haben geprobt, bis uns der Hausmeister nachts aus dem Übungsraum geschmissen hat.«
Daher, erzählen sie, »war nach dem ersten Camp-Abend schon klar, dass wir eine Band sein müssen«. Sie sind eine geworden - wenn auch auf etwas unkonventionelle Weise. Statt miteinander zu proben, tauschen sie Dateien aus. »Wir schicken uns Schnipsel«, erklärt Mika. Er hat zum Beispiel schon vor einiger Zeit einen Song geschrieben, die Klavierversion mit Gesang später an Luna und Paul geschickt. Dazu die Frage: »Könnt ihr euch was vorstellen?« Wenig später kam ein Video von der posaunespielenden Luna zurück sowie der Gitarren-Part von Paul. Mika legte die Tonspuren zusammen, und der Song »Gletscher« war fertig. Ein Song »über unsere Erde und die dummen Menschen, die es zur Klimakatastrophe kommen lassen«.
Damit bewarb sich das neugegründete Rockytrio bei den Bundeswettbewerben der Berliner Festspiele. Die drei gewannen - und durften Ende November nach Berlin fahren zum Gewinner-Treffen, wo sie vor allem Musik machen konnten. In Workshops, bei Jam-Sessions, bei Auftritten. Es war eine einzigartige Erfahrung, erzählen sie. Minou Mai sagt: »Sie konnten sich eine Woche in einem geschützten Raum komplett ausleben.«
Nun sind sie wieder zu Hause. An Projekten arbeiten sie trotz der Entfernung - und schicken sich fleißig Dateien. Bald wollen sie sich aber wieder persönlich treffen. Am besten an Silvester, sagt Mika strahlend: »Dann könnten wir exakt um Mitternacht spielen und sagen, wir haben zwischen den Jahren gejamt.«
Das Rockytrio
Die Band Rockytrio gibt es erst seit diesem Jahr. Dennoch waren die drei jungen Musiker schon als Preisträger beim Bundeswettbewerb der Berliner Festspiele dabei. In ihrem Bewerbungstext haben sie geschrieben: »Weil wir gerne Jazz spielen und hören, improvisieren wir live gerne auch mal. Miles Davis hat mal gesagt: ›Lass mich erst spielen und ich sage dir hinterher, was es war.‹ Das passt super zu uns.«
Mika ist 13 Jahre alt und wohnt in Rockenberg. Er ist Preisträger bei den Landeswettbewerben von »Jugend jazzt« und »Jugend komponiert«, hat den Singer-Songwriter-Wettbewerb des Freiraum-Festivals in Bad Nauheim gewonnen und bei den Bundeswettbewerben der Berliner Festspiele 2021 als Solist. Sein Gewinn beim Freiraum-Festival ist ein Auftritt im kommenden Jahr. Das wäre ein möglicher Termin für einen Rockytrio-Auftritt. In der Band spielt er Klavier, Schlagzeug und singt.
Luna ist 14 Jahre alt und wohnt in Lüneburg. Seit vier Jahren spielt sie Posaune – durch die Bläserklasse ihrer Schule ist sie dazugekommen. Schnell hat sie gemerkt, dass es ihr großen Spaß macht und der Unterricht viel zu schnell vorbeigeht. Deswegen hat sie noch zusätzlichen Unterricht genommen. Sie hat schon mit dem Pianisten Joja Wendt gespielt.
Paul ist zwölf Jahre alt und wohnt in Kriftel. Mit seiner Rockband De Breaks hat er es bis in die Battles von »The Voice Kids« geschafft und solo den 1. Platz bei »Jugend musiziert« im Regionalwettbewerb. Bei Rockytrio spielt er Gitarre und singt.