Wie ein Bad Vilbeler Autist in Rodheim Bildungschancen erhält und sie nutzt

Als Autist hätte Jan Felix (17) in der Sonderschule enden können. Doch seine Eltern trauten ihm mehr zu. An der Erich-Kästner-Schule in Rodheim macht er jetzt seinen Realschulabschluss, profitiert dort von sehr kleinen Klassen und engagierten Lehrern.
Jan Felix (17) war immer schon etwas anders, ein typischer Einzelgänger. Vom Schulbesuch wurde er mit sechs Jahren zurückgestellt. „Entwicklungsstörung“, hieß es. Dass sein Sohn Autist ist, erfuhr Jochen Waiblinger erst später. Dafür schmetterte ihm die Psychologin die vernichtende Diagnose entgegen: „Der Junge, der wird nie ’ne Regelschule besuchen!“ Damals hätte die Zukunft Sonderschule mit anschließendem betreuten Wohnen gedroht.
„In dem Kerl steckt mehr“, habe er sich damals gesagt, erinnert sich der Vater und sieht sich bestätigt: „Jan Felix macht jetzt seine Mittlere Reife, hat Zweier und Dreier.“
Doch bis dahin war es ein langer, mühevoller Weg. Die nächstgelegene Stadtschule kam nicht in Frage, die zusammengelegten ersten und zweiten Klassen mit der Aufforderung zum selbstständigen Arbeiten kamen für Jan Felix nicht in Frage. Die Waiblingers wählten die kleine Petterweiler Grundschule. Schon damals bekam er einen Teilhabeassistenten zur Seite gestellt, „das ist nicht selbstverständlich, wir mussten darum kämpfen“, erinnert sich Waiblinger. Beim Wechsel zur weiterführenden Schule stellte sich die Wahl erneut. Die John-F.-Kennedy-Schule kam nicht in Frage, weil Jan Felix nicht in der Lage ist, sich in großen Menschenmassen zu bewegen.
Ideale Größe
Die Wahl fiel 2010 auf die Erich-Kästner-Schule (EKS), eine Grund-, Haupt- und Realschule mit geradezu idealen Klassenstärken von 16 Schülern. „Eine Schulform, die ideal für jeden Schüler zum Arbeiten ist“, lobt Waiblinger.
Allerdings gab es auch Schattenseiten. An der Schule sind viele Kinder alleinerziehender Mütter, „die haben ihr soziales Päckchen zu tragen“. Oft habe das Verständnis für Jan Felix’ Verhalten gefehlt, er wurde gemobbt, berichtet der Vater. Doch Waiblinger gab nicht auf, sondern engagierte sich – bis hin zum Kreis-Elternbeirat, als der EKS vor zwei Jahren die Schließung drohte.
Autismus, das sei ein breites Spektrum, erläutert Waiblinger. Anders, als im Film „Rain Man“ habe Jan Felix keine Sonderbegabung, sei ein aber aufgeweckter Junge, der inzwischen auch gerne auf Leute zugeht. Nur anders. „Er kann die Mimik in Gesichtern und Ironie nicht verstehen, Autisten können auch ganz schlecht lügen.“
Doch er bekam in Rodheim zwei große Chancen. Einmal den Nachteilsausgleich, er hatte für Klassenarbeiten die doppelte Zeit. Ab der achten Klasse, als es ums Entwickeln selbstständiger Gedanken ging, durfte er einen Laptop benutzen, seine Gedanken diktieren, ohne langwieriges Schreiben. Die zweite Chance waren verständnisvolle Lehrer. „Sie haben mit dem Herzen geschaut, nicht mit den Augen.“
Machtkämpfe der Jungs
Dennoch hatte es Jan Felix an der Schule schwer, sich zu behaupten. Besonders pubertierende Jungs mit ihren Machtkämpfen machten es ihm nicht leicht. Auch heute kommen seine Freunde von außerhalb, haben auch Handicaps. Jan Felix’ Hobbys sind kniffligen Sachen, die Geduld erfordern, „alles, was mit Computer zu tun hat“. So hat er seinen Eltern alle alten Schallplatten und Musikcassetten digitalisiert, in einem Referat über das Fernsehen eine Eins kassiert.
Nach der Schule wird Jan Felix ab September im Berufsbildungswerk Würzburg eine Ausbildung in Elektrotechnik machen. Waiblinger ist sich bewusst, dass es eine privilegierte Situation ist, Schüler ohne engagierte Eltern, „die haben es sehr viel schwieriger“.