»Schockverliebt« in den Nugget

Durch die Corona-Pandemie haben Camping und Wohnmobile an Beliebtheit gewonnen. Jetzt trafen sich am Gederner See zahlreiche Freunde des Ford Nugget, von denen viele schon seit Jahren Anhänger des umgebauten Kleinbusses sind.
Spaziergänger, die jetzt um den Gederner See liefen, dürften sich gewundert haben. Noch deutlich stärker als der Campingplatz war nämlich die Zeltwiese belegt. Ford-Nugget-Freunde hatten dort ein Treffen mit rund 90 Kleinbussen organisiert. So präsentierte sich die Wiese am Seeufer auch als eine Ausstellung, in der die Eigentümer, die vor allem die Flexibilität durch die kompakten Abmessungen des Nugget schätzen, zur Geschichte des inzwischen seit über 30 Jahren verkauften Kleinwohnmobils und zu ihren Erlebnissen damit bereitwillig Auskunft gaben.
Dabei steht der Ford Nugget, der auf den seit 1986 gebauten Transit-Modellen basiert, im Schatten anderer Basisfahrzeuge. Lange bestimmten Umbauten von VW-Bussen den Markt für ausgebaute Transporter als günstigster Weg zum eigenen Wohnmobil. Vor allem die Firma Westfalia machte seit den 1950er Jahren den oft mit dem Kosenamen Bulli bezeichneten VW fernreisetauglich. Durch den Wunsch nach mehr Komfort und Platz werden inzwischen häufig größere Transporter wie der Fiat Ducato oder der Mercedes Sprinter zu Reisemobilen umgebaut.
Komfort? Nicht nötig
Auf Komfort wie Ledersitze oder Ähnliches verzichten die Anhänger des Ford Nugget gerne. Wenn man mit ihnen spricht, heben sie stattdessen immer wieder die kompakten Abmessungen ihrer Wohnmobile hervor. Die Ur-Nuggets sind knapp 4,60 Meter lang. »Ich wollte ein kleines Fahrzeug, unter fünf Metern, damit ich bei Bibliotheken auf Parkplätze fahren kann«, erklärt die Autorin Corinna Harder. Gemeinsam mit ihrem Partner hatte sie das Treffen am Gederner See organisiert.
Bis vor drei Jahren verbrachte sie Pausen und teilweise auch Nächte auf ihren Lesereisen im Auto. 2018 wurde ihr das nach 20 Jahren zu belastend. Schließlich kann es im Herbst und Winter, wenn sie für Lesungen aus ihren Büchern unterwegs ist, empfindlich kühl werden. Harder beschloss, sich ein kleines Wohnmobil zu gönnen. Doch vieles, was sie im Januar 2019 auf einer Messe sah, war ihr viel zu groß. Als sie den Ford Nugget sah, sei sie »schockverliebt« gewesen.
Rund 50 000 Kilometer sei sie inzwischen mit dem Wohnmobil unterwegs gewesen. »Das war so ein bisschen ein Corona-Fluchtfahrzeug«, sagt sie und erläutert, dass sie das Wohnmobil gerade rechtzeitig vor der Pandemie und dem Lockdown gekauft habe. Dadurch seien trotz Beschränkungen kleinere Ausflüge möglich gewesen.
Kleine Verbesserungen postet sie regelmäßig bei Instagram. Einen regen Austausch gibt es auch in einem Internet-Forum oder auf Treffen wie jetzt am Gederner See. »Wir sind vor drei Jahren unglaublich freundlich aufgenommen worden«, erinnert sich Harder an den Empfang im Kreis der Nugget-Fahrer. Deshalb habe sie sich entschlossen, das Treffen zu organisieren. »Das muss man auch weitertragen.«
Deutlich kürzer als sie sind Sandra Frank und ihr Freund Sandor Kraus, die vom Chiemsee angereist sind, Nugget-Besitzer. Während der Corona-Pandemie habe ein Nachbar einen VW T4 ausgebaut, berichtet er, wie seine Freundin und er auf die Idee kamen, sich einen Campingbus anzuschaffen. Bei der Nugget-Schmiede, einem kleinen Betrieb, der sich auf den Verkauf und die Individualisierung der Fahrzeuge spezialisiert hat, haben sie den gelb-weißen Bus bestellt.
Wo Harder unbedingt ein festes Hochdach mit Bett darunter haben wollte, war Sandra Frank und Sandor Kraus das Aufstelldach wichtig. Denn dadurch bleibt der Bus unter der Höhe von 2,10 Metern, ab der die Zufahrt zu vielen Parkplätzen, zum Beispiel an Stränden, gesperrt ist.
Auch Manfred Keil, mit 76 Jahren einer der ältesten Teilnehmer des Treffens, lobt das Aufstelldach. Mit den Wänden aus Zeltstoff sei es darunter gerade in südlichen Ländern kühler. Allerdings sei es im Alter etwas beschwerlich, in das Hochbett und wieder herauszuklettern. Deshalb haben er und seien Frau sich einen Campingbus auf Fiat-Ducato-Basis mit zwei festen Einzelbetten gekauft.
Echte Abenteuer mit dem Campingbus
Seine Camper-Karriere hat vor 40 Jahren mit einem ausgebauten VW-Bus der Baureihe T3 begonnen. Vor zwölf Jahren besuchte er in der Nähe von Nürnberg ein Ford-Nugget-Treffen. »Wenn uns die Leute nicht gefallen, fahren wir wieder heim«, sagt er und erinnert sich, dass ihm die Atmosphäre in der Szene wichtig war. Auch er berichtet von der herzlichen Aufnahme.
Deshalb kaufte er 2010 für rund 33 000 Euro seinen eigenen Nugget. Wie intensiv er den Campingbus nutzte, zeigen die 110 000 Kilometer, die er gemeinsam mit seiner Familie gefahren ist, bevor er den Ford vor eineinhalb Jahren für 21 000 Euro verkaufte.
Doch es ist nicht nur diese Wertstabilität, weshalb sich Keil immer noch dem Ford Nugget verbunden fühlt. Wichtiger sind die unvergesslichen Erlebnisse, die ihm das wendige Fahrzeug ermöglicht hat. Darunter waren auch echte Abenteuer. Lachend erzählt Keil am Lagerfeuer, wie er sich in einer einsamen Landschaft Italiens verfahren hatte. Der Weg zurück zur Straße führte über eine Wiese. Mit dem Nugget kein Problem. Umso größer war die Überraschung, als ihm nach der nächsten Kurve zwei Autos in einer Verfolgungsjagd entgegenkamen. Durch die Abkürzung über die Wiese hatte Keil Absperrungen umgangen und war mitten in die Dreharbeiten zu einem Gangsterfilm geraten. VON OLIVER POTENGOWSKI
