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Schreie der Oma wecken die Enkel

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Mit einem Teilgeständnis des Angeklagten hat am Dienstag in Frankfurt der Prozess um einen lebensgefährlichen Messerangriff auf eine 64-jährige Frau begonnen. Vor dem Landgericht räumte der 71-jährige Angeklagte aus Bad Vilbel ein, das Messer eingesetzt zu haben.

Am frühen Morgen des 20. September 2021 sticht der damals 70 Jahre alte Herr M. in der Küche der gemeinsamen Wohnung in Bad Vilbel mit einem Küchenmesser auf seine 63 Jahre alte Ehefrau ein. Die Schreie der Frau wecken die drei minderjährigen Enkelkinder, die ihrer Oma zu Hilfe eilen, aber den Opa nicht von ihr wegzerren können. Das gelingt erst mit Hilfe einer Cousine der Oma, die gerade zu Besuch ist, über Herrn M.s malades Bein Bescheid weiß und dieses Wissen im Kampf als Waffe einsetzt.

Der Rettungswagen kommt rechtzeitig, um zu verhindern, dass der massive Blutverlust des Opfers tödlich endet - weshalb Herr M. sich seit Dienstag vor dem Landgericht lediglich wegen versuchten Totschlags und lebensgefährdender Körperverletzung verantworten muss.

Alles schlimm genug, vor allem für die Enkelkinder, die beinahe Zeugen des gewaltsamen Todes ihrer Oma geworden wären. Doch es ist der Grund der Anwesenheit der Kinder bei den Großeltern, der diesen Prozess an die Grenze des Vorstellbaren rückt.

Denn im Gegensatz zur Cousine waren die Kinder nicht zu Besuch. Sie lebten dort. Ihr Vater ist vom Frankfurter Landgericht im November 2018 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden - wegen Mordes an ihrer Mutter.

Der Vater, beruflich Hausmeister in einem Altenheim und privat ein Frauen- und Kinderschläger, war im Oktober 2017 nach mehrtägiger Abwesenheit wegen eines Streits »verärgert über die aus seiner Sicht bestehende Aufsässigkeit« der Gattin - so später das Landgericht - in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt. In Anwesenheit der teils schon schlafenden Kinder tötete er die Mutter mit 25 Stichen in den Oberkörper. Anschließend bedrohte er die Zeugen des Mordes - zwei neun und zwölf Jahre alte Töchter und einen 15-jährigen Neffen - mit der Tatwaffe und versprach, dass er ihnen dasselbe antuen werde, sollten sie die Polizei rufen. Sie riefen sie trotzdem. Seitdem leben die Kinder bei ihren Großeltern.

Beide Taten haben Gemeinsamkeiten. Beide Täter griffen zum Messer. Bei beiden handelt es sich um extrem eifersüchtige Männer, die bei ihren Frauen bereits die Nutzung sozialer Netzwerke als Ehebruch werten. Beide Ehen existierten nur noch auf dem Papier.

Leere Herzen, volles Haus

Man kann Herrn M zugute halten, dass er seine Ehe im Gegensatz zu seinem mörderischen Schwiegersohn nicht kaputtgeprügelt hat. Er und seine Frau haben sich wohl mal geliebt, zumindest sagt das die Frau, die in dem Prozess als Nebenklägerin auftritt.

Er lässt am ersten Prozesstag von seiner Verteidigerin eine Erklärung verlesen, in der er beteuert, er habe seine Frau nicht umbringen, sondern nur mit dem Messer »erschrecken« wollen. Der zehn Zentimeter tiefe Stich in ihren Rücken sei wohl dem Handgemenge geschuldet und unbeabsichtigt. Als seine Frau den Gerichtssaal betritt, schießen ihm Tränen in die Augen.

Nach dem Tod der Tochter haben sich die beiden irgendwie auseinandergelebt. Sie versteht nicht, wieso er jeden Morgen das Grab der Tochter besuchen muss. Er versteht nicht, warum die Trauer sie manchmal bis zum Mittag ans Bett fesselt, das sie schon lange nicht mehr teilen. Die Herzen sind leer, die Bude ist voll: Neben den Enkeln wohnen dort auch noch Sohn und Schwiegertochter. Und am Tattag auch noch die Cousine.

Es ist ein ganz normaler Morgen. Sohn und Schwiegertochter gehen dem Bäckerhandwerk nach und arbeiten bereits. Die Enkel schlafen noch. Bevor Herr M. das Grab seiner Tochter besucht, will er noch einen Kaffee trinken. In der Küche sitzt seine Frau. Ihr schmerzen die Beine, sie findet keinen Schlaf.

Er bietet an, ihre Beine zu massieren. Sie lehnt ab. Er rastet aus. Er schimpft sie »Schlampe«, »Nutte«, wirft ihr vor, ihr Geld für Lustreisen zu ihren Liebhabern rauszuschmeißen, während seine Rente die Kredite tilge. Er greift zum Messer, sie ruft um Hilfe, beide taumeln im Kampf umschlungen durch die Küche, die Enkel wachen auf, kommen, sehen und wecken die Cousine.

Bislang sind für den Prozess vier weitere Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil soll am 13. Dezember gesprochen werden. Für die Kinder aber bedeutet auch die juristische Aufarbeitung der Fälle einen Alptraum in Endlosschleife. Bereits im Mordprozess hatten sie nach Eindruck des Landgerichts »panische Angst, in Gegenwart ihres Vaters auszusagen«.

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