Souverän am Klavier und mit feiner Ironie

Sie ist mit den Fingern auf den Tasten ebenso gewandt wie mit Worten. Und so konnten sich die Gäste der jüngsten Ausgabe von »Nidda satirisch« gleich doppelt freuen. Klavierkabarettistin Anne Folger versprach und lieferte einen äußerst unterhaltsamen Abend.
W enn eine Kabarettistin ihr Programm »Fußnoten sind keine Reflexzonen« betitelt, ahnt man schon: Jetzt kommen Wortwitz, ironische Jonglage mit Begriffen, feine Nadelstiche gegen den Zeitgeist. Mehr noch: Die Klavierkabarettistin Anne Folger, die Martin Guth vom Kulturmanagement im Parksaal begrüßte, faszinierte die 130 Zuhörer mit Temperament, souveränem Klavierspiel und schauspielerischer Wandlungsfähigkeit.
Folger studierte Klavier und Liedbegleitung und schloss mit Konzertexamen ab, trat im Klavier-Duo »Queenz« und als Solistin international auf, machte ein Schauspiel- und Improvisationsstudium in Freiburg, wandte sich dann dem Kabarett zu und fuhr so schöne Preise wie den »Herborner Schlumbeweck« ein.
In ihrem Programm lenkte sie den Blick aufs allzu Menschliche. Sie spannte einen kecken Bogen vom antiken Kaiser und Philosophen Marc Aurel zu seinem weniger abgeklärten, aber geschäftstüchtigen Namensvetter Marc Aurel Boersch, eine Weile Chef des Konsumgüter-Imperiums Nestlé und nicht unbedingt ein Wohltäter der Menschheit. In Folgers Lied gibt ihm Julia Klöckner, bis 2021 Bundeslandwirtschaftsministerin, Paroli, kann sich aber doch der Ausstrahlung von Mann und Cabrio nicht ganz entziehen. Genauso wenig wie die Zuhörer daheim auf der Couch, die sich dabei lustvoll Choco Crossies reinziehen. So viel zu konsequentem Konsumverzicht und der Erkenntnis: Wenn alle Produkte dieses Hauses rausboykottiert wären, wäre manches Supermarkt-Regal leer…
Doch die Klavierkabarettistin begann den Abend mit eindrucksvollem musikalischen Mimikry: Sie spielte »Paint it Black« von den Rolling Stones im Schostakowitsch-Stil. Ein Lied über Komplimente mit Widerhaken folgte.
Alf versus Klavierstunde
Folger erinnerte danach an einen Sommertag, als sie zehn war und die Klavierstunde just mit einem galaktischen Ereignis zusammenfiel: Alf landet auf der Erde - oder geht es schief und er verglüht? Das Publikum lauschte mit Nostalgie und Spannung auf die Erzählung von der Zehnjährigen, die auf Nadeln saß, weil die »Frau Professor« beim Jungen davor vor Begeisterung die Stunde überzog, dessen Helikopter-Mutter ausgiebig lobte und dann auch noch »Elf Goldene Regeln des Klavierübens« kommentierte. Dann spielte die kleine Anne den »Fröhlichen Landmann« eher eigenwillig (»Kunst gegen Metronom«), und ein Blick auf den wartenden Vater machte es auch nicht besser: Kind wollte Alf, Vater wollte Sportschau…
Weg ging’s von der Hochkultur und rein ins pralle Leben, genauer gesagt in einen ICE. Anne Folgers Kollegin Christiane Weber schuf dieses Klangporträt über das Wir-Gefühl im Großraumwagen. Eine Viertelstunde Fahrt und dank Handy-Telefonaten weiß jeder Fahrgast alles über alle anderen: das Liebesgeflüster von schräg gegenüber, die hinschmelzende Mama, die ihrem Schnuckilein telefonisch Gute Nacht wünscht, dazwischen die dröge Lautsprecherstimme »Wegen Bauarbeiten auf der Strecke verzögert sich unsere Ankunftszeit«, die Einladung ins Bordbistro und ein paar Störgeräusche noch dazu. Unübertroffen aber ist der Chirurg im Telefonat mit einem Patienten, dem wahrscheinlich das Bein abgenommen werden muss, und der Frage, ob es erst anthrazit oder schon tiefschwarz ist… In der zierlichen Anne Folger steckt ein Energiebündel.
Dann wieder gibt es musikalische Überraschungen: Wer ist schon drauf gekommen, dass sich Tonfolgen vom musikalischen Übervater Johann Sebastian Bach in George Harrisons »Here Comes the Sun« wiederfinden. »Wer hat da von wem abgeschrieben?« fragt Folger und spielt das Hauptmotiv nach Arrangement von Tobias Schwab in Variationen, am Schluss in deutlichem presto - denn auch die Sonne will mal Feierabend machen.
Folger beherrscht die Synthese von Text und Musik. Im Song über »Digitale Eifersucht«, wo ein Pärchen im selben Kanal flirtet, sind die Frauen demonstrativ offen und freundschaftlich. »Die Stutenbissigkeit ist vorbei« heißt es im Refrain - aber nicht, wenn man genauer hinhört, auf die kribbelnden Staccati zum Beispiel. Ein Sehnsuchtslied an den »Fliegenden Robert« von allen, die mitfliegen wollen, ein Wiederhören mit der umwerfenden Youtube-Influencerin Doremi aus Folgers früherem Programm »Selbstläufer«, jetzt im Tutorial über Schwingungen und Intervall-Fasten - Anne Folger hatte ihrem Publikum viel zu bieten.