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Viele Fragen, wenig Antworten für Mitarbeiter in Ober-Schmitten

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Auch wenn sich in Gesprächen bei manchen Mitarbeitern nach der Betriebsversammlung Resignation breitmacht, geben sich Betriebsratsvorsitzender Arif Tantürk und seine Stellvertreterin Stina Lingner weiter entschlossen, die Rechte der Mitarbeiter einzufordern. © Martin Ritter

Viele Mitarbeiter hatten sich sicherlich mehr erwartet von der Betriebsversammlung bei Glatfelter in Ober-Schmitten nach der Schließungsankündigung. Sie wurden allerdings enttäuscht.

Ober-Schmitten (mtt). Mehr als zwei Stunden diskutieren sie, am Ende aber gibt es wenig Neues. In einer Betriebsversammlung hoffen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Glatfelter-Werks in Ober-Schmitten zu erfahren, wie es nach der angekündigten Werksschließung weitergeht. Die Geschäftsleitung aus den USA ist nicht anwesend, der Betriebsrat gibt sich kämpferisch.

Vor dem Werk ist alles wie immer, das Tor ist geöffnet, die Glatfelter-Fahne flattert im Wind - immerhin nicht auf Halbmast. Transparente sind nicht zu sehen, niemand, der demonstriert oder protestiert. Zirka 100 Mitarbeiter erscheinen zur Versammlung, um sich über ihre Zukunft zu informieren. Von der Geschäftsführung soll niemand anwesend sein, hört man. Lediglich Werksleiter Udo Lück nimmt teil, versucht aber, sich bedeckt zu halten. Die Stimmung sei zwar gereizt und teilweise aufgeheizt gewesen, aber insgesamt sei es friedlich geblieben und die Redebeiträge erfolgten sachlich, erklären die Mitarbeiter später einmütig.

Während der Versammlung dringt nichts nach draußen. Am Entschluss der Firmenleitung, das Werk zu schließen und die Belegschaft freizustellen, wird sich aber nichts ändern. Dies soll voraussichtlich Ende August geschehen, wenn aktuelle Aufträge abgearbeitet sind. Ein Betroffener vermutet: »Wenn die letzte Rolle gefahren ist, egal an welcher Maschine, wird im Anschluss wohl direkt der Rückbau beginnen. So werden eben Fakten geschaffen.«

Der Informationsfluss in der Betriebsversammlung, zu der die Presse nicht zugelassen ist, bleibt mehr als mäßig. Gegen Ende der Versammlung setzt heftiger Regen ein, als die Mitarbeiter die Werkskantine verlassen stehen sie nicht nur symbolisch im Regen. Matthias Weitz, seit 22 Jahren in der Fabrik beschäftigt, sagt: »Wir wissen nach wie vor nur, dass die Firma ab September 2023 geschlossen ist.« Andere fragen sich, wie sicher es sei, dass Löhne und Gehälter bis zum Ende und wegen der teils langen Kündigungsfristen auch darüber hinaus gezahlt werden. Und was ist, wenn Glatfelter selbst von einem größeren Konzern geschluckt wird? Haben dann Verträge überhaupt noch Gültigkeit? Diese Fragen diskutiert man in Grüppchen. Zuversicht verbreitet unter ihnen offenbar niemand mehr.

Eine Ausnahme bildet an diesem Tag Betriebsratsvorsitzender Arif Tantürk, der die Versammlung leitete. Er relativiert die Aussagen, fordert seine Kollegen auf, »aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen und aktiv zu werden«, nicht nur zu schimpfen und alles still zu ertragen, sondern Solidarität zu zeigen. »Das Datum 31. August wird sicherlich nicht der Tag sein, an dem eine Kette am Werkstor hängt, denn bis dahin sind die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Werksleitung keineswegs abgeschlossen«, ist er überzeugt.

Zahlen und Bilanzen offenlegen

Zunächst müsse man die Wirtschaftsdebatte führen, Zahlen und Bilanzen seien offenzulegen, um überhaupt eine Grundlage für Gespräche zu haben. Deshalb habe der Betriebsrat auch zunächst eine Strategietagung angesetzt, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Und dazu sei eine solide Informationsbasis unabdingbar. Wichtige Fragen könne man im Moment noch nicht beantworten, etwa wie es sich mit den Kündigungsfristen verhält oder was aus den vermögenswirksamen Leistungen wird. Die Maxime des Betriebsrats laute auf jeden Fall »Sorgfalt für alle und alles«, während die Betriebsleitung lieber nach dem Motto handele »Eile ohne Weile«. Sicher sei aber, dass man alle bis zum 31. Mai eingegangenen Aufträge abarbeiten müsse. »Aufträge, die nach diesem Datum noch hereinkommen, muss die oberste Firmenleitung genehmigen«, sagt Tantürk. Man könne nicht sagen, wie lange sich die Verhandlungen hinziehen werden und was dann passiert. Mit einem Schulterzucken fährt er fort: »Wir können die Belegschaft nicht aufhalten. Wer geht, weil die Lage zu unsicher ist, den werden wir nicht aufhalten. Und wenn keine Belegschaft mehr da ist, kann die Produktion auch nicht weiterfahren.« Die Zukunft sei also ergebnisoffen. Bei Bert Brecht heißt das: Der Vorhang fällt und alle Fragen offen.

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