Nasen-Not macht erfinderisch

Seit mehr als 20 Jahren versuchen Wissenschaftler, die Nase wieder in der Nidda anzusiedeln. Wie erfolgreich sie dabei sind, ist unklar. Die scheuen Fische zu erfassen, hat sich als äußert schwierig erwiesen.
Bad Vilbel - Eine neue Forschungsmethode soll das ändern. Ausgerechnet dreiste Umweltverschmutzer haben deren Erfinder Gottfried Lehr auf die kreative Idee gebracht.
Ein in die Jahre gekommener blauer Kleinbus mit zwei Bojen auf dem Dach zieht an diesem sonnigen Nachmittag die Blicke vieler Bad Vilbeler Spaziergänger auf sich. Wie sollte es anders sein, steht er doch mitten im Kurpark und neben ihm eines der bekanntesten Gesichter der Stadt: der liebevoll "Nidda-Papst" getaufte Gottfried Lehr.
Genauso wenig verwunderlich wie die Neugier der Passanten ist, dass der umtriebige Gewässerökologe wieder ein neues Projekt für seinen Herzensfluss ausgeheckt hat. Er will endlich herausfinden, wie viele Nasen in der Nidda leben. In den 1990er Jahren begannen die ersten Bemühungen, den selten gewordenen Fisch wieder in dem Gewässer anzusiedeln, wo er einst heimisch war, Ende des 20. Jahrhunderts aber als ausgestorben galt.
Komplizierte Erforschung
"Das Vorkommen der Nase ist schwer nachweisbar", sagt Lehr, als er seine Wasserhose herausgekramt hat. "Es sind sehr scheue Tiere." Nur wenn es dunkel ist, tummelt sich der Karpfenfisch mit dem charakteristischen Schnabel in Ufernähe, tagsüber taucht er lieber ab. So gut wie nie gelingt es dem Nidda-Experten, ein Exemplar mit der Unterwasserkamera zu filmen. "Es gibt wenige Fische, die schwerer vor die Linse zu bekommen sind", sagt Lehr lachend, für den die Nase zu seinen liebsten Arten zählt. Der Chondrostoma nasus ist ihm zufolge aber auch bei den regelmäßigen Untersuchungen der Fischbestände unterrepräsentiert. So etwa beim Elektrofischen. Dabei wird den Tieren ein Schock versetzt, dann werden sie aus dem Wasser geholt und begutachtet. Vor allem Nasen-Jungtiere verirren sich selten in die Hände der Wissenschaftler – seltener als es nach all der Wiederansiedlung der Fall sein dürfte.
Das führt dazu, dass Lehr nicht belegen kann, wie erfolgreich die Arbeit seines Teams ist. Zuletzt setzten sie im März ein gutes Dutzend der graugrünen Fische in der Nidda aus, als Blutauffrischung für die Population (wir berichteten). Nur mit Stichproben lassen sich aber keine wissenschaftlich seriösen Aussagen über deren Größe oder Zustand treffen.
"Wir wollen jetzt endlich unseren Erfolg messbar machen", sagt Stefan Nieland von Hassia. Der Getränkehersteller, die Interessengemeinschaft Nidda, die Gerty-Strohm-Stiftung und der Wetteraukreis finanzieren die Rückkehr der Nasen. Deshalb ist Nieland heute von der Gießener Straße zum Steg oberhalb der Bibliothekbrücke geradelt und beobachtet gespannt, was sich nun dort abspielt.
Hoffnung für Pilotversuch
Während Lehr in seine Anglerklamotten steigt, knotet Kollege und Biologie-Doktor Egbert Korte Backsteine an vier große weiße Platten und befestigt sie mit Karabinern. Das ist Teil einer neuen Forschungsmethode, die sie sich die Männer gemeinsam ausgedacht haben – wobei das fast ein wenig hochgestochen klingt, handelt es sich im Grunde doch um einen recht hemdsärmeligen Feldversuch. An zwei Messstellen nahe der neuen Mitte wollen die Forscher die Platten, die aus dem robusten Kunststoff PVC gemacht sind, in der Nidda versenken. Die Steine sollen sie am Flussbett halten. "Dann warten wir, bis die Platten mit Algen bewachsen sind", erklärt Korte sichtlich begeistert. "Und wenn wir sie rausholen, sehen wir hoffentlich Fraßspuren an ihnen." Anhand der Länge, Tiefe und Anzahl der Kratzer, welche die Nasen hinterlassen haben, hoffen sie, Rückschlüsse auf deren Population ziehen zu können. Ob es den Nasen gut geht, ist wiederum ein Indikator dafür, ob die Renaturierungsmaßnahmen an der Nidda fruchten und an welchen Stellschrauben man drehen kann, um das Ökosystem des Flusses weiter zu stabilisieren.
"Unsere Methode, die Nase zu erforschen, hat so noch niemand versucht", sagt Lehr. "Aber sie müsste klappen." Getestet wurde sie im Grunde nämlich schon. Vor einigen Wochen hat der Gewässerökologe mal wieder Verkehrsschilder aus dem Wasser gezogen, die rücksichtslose Umweltsünder dort hineingeworfen hatten. Ausnahmsweise erwies sich das aber als Glücksfall: Denn auf den Schildern bemerkte Lehr die Spuren der hungrigen Nasen, die ein Faible für Kieselalgen haben.
Dann ist es so weit. Lehr und sein Assistent Louis Solinger hieven die Platten samt Steinen hinüber zum Ufer, schlittern den Hang hinab und staksen in Richtung Flussmitte. Nass werden sie dabei kaum. Der Wasserstand des Flusses ist wegen der Trockenheit immer noch gefährlich niedrig. Dann lassen sie die Platten eine nach der anderen hinab. In zwei Wochen werden sie diese das erste Mal wieder herausholen. Bis dahin sollten die Algen gewuchert sein – und es dürfte erste Ergebnisse geben.
von Alexander Gottschalk