Karpfenfisch "Nase" soll Ökosystem der Nidda stabilisieren

In einer nächtlichen Aktion ist eine neue Generation der Nasen in der Nidda bei Gronau ausgesetzt worden. Verantwortlich dafür ist Gewässerökologe Gottfried Lehr, der der Fischpopulation im Fluss eine Blutauffrischung verpassen wollte. Die Tiere hatten dafür eine lange anstrengende Reise zu bewältigen.
Bad Vilbel - Um 22.07 Uhr ist es geschafft. In der mondlosen Finsternis der Nacht steht Gottfried Lehr an der Uferböschung in Gronau und pustet erstmal durch. Fahl beleuchtet die Stirnlampe seines Begleiters Jens Buttler eine Plastikwanne, in die sich bis vor einer Minute noch sechs unterarmlange Fische gedrängt haben. »Haben Sie gesehen, wie dick die Bäuche der Weibchen waren?«, fragt Lehr hörbar zufrieden. Für den Gewässerökologen ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass sein Plan aufgehen könnte: Eine neue Generation der Nasen scheint in der Nidda angekommen zu sein.
Karpfenfisch "Nase" einst sehr verbreitet
Die Grundlage dafür haben Lehr und sein Team bereits fünf Stunden zuvor und gut 40 Kilometer entfernt am Main in Eddersheim gelegt. Mit einem Boot sind sie dort unterhalb der Schleuse auf den Fluss hinausgefahren, um ein paar Exemplare des Karpfenfischs, der seinen Namen wegen des charakteristischen Schnabels am Kopf hat, einzufangen. Einst war die Nase einer der verbreitetsten Fischarten in den Gewässern der Region. Doch in den 70er und 80er Jahren brachen die Bestände ein – unter anderem wegen zunehmend schmutzigeren Flüssen.
Wenige "Nasen" in der Nidda
In der Nidda galt die Nase zwischenzeitlich gar als ausgestorben. Wie vielerorts, kehrte sie durch Wiederansiedlungsprojekte zurück. Anfang der 90er war das. Doch die Population des bis zu einem Kilo schweren Chondrostoma nasus ist bis heute kleiner, als sie sein sollte, erklärt Lehr. Es wäre normal, wenn bis zu 25 Prozent aller Fische in einem Gewässer Nasen wären. In der Nidda sind es nach Schätzungen des Experten gerade 5 Prozent.
Deshalb hat sich der Vilbeler behördlich genehmigen lassen, einige Nasen aus dem Main zu fischen, um sie später in der Nidda wieder auszusetzen. Als »vorübergehende Blutauffrischung für die heimische Population« sei das gedacht, wie Lehr sagt. Unterstützt wird die Wiederansiedlung von der Interessengemeinschaft Nidda, der Gerty-Strohm-Stiftung, Hassia und dem Wetteraukreis.
Beim Laichen ausgetrickst
Dass er das Vorhaben gerade jetzt angeht, hat einen Grund: Für die Nase hat die Laichzeit begonnen. Die Weibchen legen also bald ihre Eier. Tun sie das im Kiesbett der Nidda – weil sie hochschwanger nirgendwo anders hinkönnen – machen sie den Fluss damit automatisch zur neuen Heimat für ihren Nachwuchs. Denn Nasen kehren, ähnlich wie Kröten, zum Laichen stets an den Ort ihrer Geburt zurück und wandern dabei teils bis zu 300 Kilometer flussaufwärts.
Fangaktion mit Stromschlag
In der ersten Stunde der Fangaktion im Main-Taunus-Kreis gehen den Biologen aber gerademal drei Tiere in den Köcher. Netze benutzen sie zum Fischen aus Prinzip nicht. »Die Verletzungsgefahr ist zu hoch«, erklärt Lehr. Stattdessen verpassen sie dem Karpfenfisch mit einer Anode einen kleinen Stromschlag, holen ihn dann aus dem Flusswasser und setzen ihn in einen der Fangbehälter. Lehr: »Das ist die schonendste Methode.«
Mit der Abenddämmerung kommt dann auch das Fang-Glück. Wird es dunkel, schwimmen die grau-grün-geschuppten Nasen – unerklärlicherweise, wie Lehr sagt – immer näher am Ufer, das macht es den Anglern leichter, sie zu schnappen. Am Ende können die Fischer 15 Nasen in einen klobigen Wassertank auf einem Spezialanhänger laden und sich auf den Weg nach Bad Vilbel machen.
Ein Kulturschock fürs Tier
Für das auch Näsling genannte Tier sind das Gefangenwerden und die Reise auf vier Rädern durchaus stressig. Überhaupt sei der Fisch viel sensibler, als man annehmen würde. Dass die Nidda für sie ein fremdes Gewässer ist, merken die Nasen sofort. Die zwei Grad Temperaturunterschied im Wasser sind ein wahrer Kulturschock. In Bad Vilbel angekommen heißt es deshalb erstmal: Eimer raus!
Jens Buttler parkt seinen Pick-up-Truck an der Nidda-Brücke zum Gronauer Hof. Dort wartet bereits Ulrich Siebert auf den Fischwirt. Als engagierter Anwohner ist er gekommen, um mit anzupacken. Zu später Stunde ist Lehrs Team doch arg dezimiert. Zu dritt schöpfen die Männer an der Nidda Wasser ab und schütten es zu dem Container, damit sich die Fische schon mal akklimatisieren können.
Die Nasen haben hohe Ansprüche
»Die Nasen gehören zu den Fischen mit den vielfältigsten Ansprüchen an ihre Biotope«, erklärt Lehr währenddessen. Die Jungfische brauchen flache Kiesbänke, die älteren Stromschnellen zum Laichen, im Winter darfs ein stilles, tiefes Gewässer sein. In der Nidda finden sie beste Voraussetzungen. Ein beliebter Tummelplatz sei etwa die Brücke am Bad Vilbeler Freibad, erklärt Gottfried Lehr.
In Gummistiefeln und Regenjacke
In Gummistiefeln und Regenjacke trottet er zum Ufer, um sich die beste Stelle zum Einsetzen auszusuchen. Er will vermeiden, dass sich die Fische in den Abzweig zur Nidder verirren. Dann klaubt Buttler die ersten Nasen aus dem Tank. Es ist stockfinster, nur das wilde Platschen der Flossen ist zu hören, bis die Tiere nach einigen Sekunden ruhig nebeneinander in der Wanne liegen und sich nicht mehr rühren. Die Nase sei sehr lichtempfindlich, erklärt Buttler. Werden sie durch zu helle Lampen geblendet, drohen sie in der neuen Heimat die Orientierung zu verlieren.
Gut für das Öko-System der Nidda
Zu dritt hieven die Fischfarmer dann den Behälter zum Ufer und klettern die schlammige Böschung hinab. Dann kommt der große Moment: Es dauert einen Moment bis die erste Nase sich traut, los zuschwimmen. Kurz darauf sind sie aber allesamt im dunklen Wasser verschwunden. Lehr ist optimistisch, dass sie ihr neues Zuhause mögen werden – und umgekehrt. »Die Nase ist ein weiteres Rad im großen Mechanismus der hilft, das Öko-System der Nidda zu stabilisieren«, sagt er. Für die Nase heiße das auch: Algen fressen und selbst gefressen werden.
Lehr zieht Bilanz
Am Mittwoch, 3. April, hält Gottfried Lehr ab 19 Uhr im Café Apfelkern & Kolibri einen Vortrag, in dem er Bilanz zieht zur Renaturierung der Nidda. Eintritt frei.
von Alexander Gottschalk
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