Vom Büro-Job zum Lebensinhalt

Jens Dörr-Radewaldt gilt in Friedberg als »bunter Hund« und als das freundliche Gesicht hinter dem Tresen von »Natürlich Kunst!«. Bummler finden bei ihm Waren aus Naturmaterial, die er und seine Frau auch selbst mit Herzblut herstellen. Seine Arbeit ist Teil seiner Verbundenheit mit seiner Region und ihrer Umwelt. Das macht ihn nicht wohlhabend - aber glücklich.
Wer den urigen Laden von Jens Dörr-Radewaldt in der Friedberger Schirngasse betritt, der lässt das 21. Jahrhundert hinter sich. Handys haben im Geschäft keinen Empfang - das sei aber keine Absicht. Deutlicher wird es beim Inventar: Plastik oder Gegenstände »Made in China« werden Kunden hier nicht finden. Stattdessen ist das Material der unzähligen handgemachten Kunstobjekte und Utensilien »Made in Nature«.
Hohe Regale mit unzähligen Waren laden zum Stöbern auf einer Fläche ein, auf der vielleicht maximal drei Kunden Platz haben. Dazu liegt ein holziger Duft in der Luft. Ein bisschen ist es, als stünden Kunden in einem Wald aus kleinen Kunstwerken. »Natürlich Kunst!« folgt dem Idealismus von Jens Dörr-Radewaldt und seiner Frau Tatjana.
Geboren und konservativ erzogen wurde er in Frankfurt-Sachsenhausen: »Ich bin Frankfurter Bub und quasi mit Apfelwein getauft worden«, scherzt der lebensfrohe Ladenbetreiber mit langen grauen Haaren und noch längerem geflochtenen Bart. Sein Äußeres und seine ruhige, freundliche Art passen gut zum Ambiente des rustikalen Ladens, der genauso Gelassenheit ausstrahlt wie ein Wald. Um Kraft zu tanken, verbringt der Friedberger daher viel Zeit in echten Wäldern. Wandern mit seiner Frau ist voll sein Ding.
Ehrenbrief für den »bunten Hund«
Ab 1994 lebt das Ehepaar im Stadtteil Bruchenbrücken. »Da haben wir im Traum noch nicht daran gedacht, uns mal selbstständig zu machen.« Die beiden haben zwei Söhne, die beide schon aus dem Haus und jenseits der 30 Jahre sind. Jens Dörr-Radewaldt setzte sich im Ortsbeirat und der Stadtverordnetenversammlung, erst mit den Grünen, dann mit der SPD, für seine Mitmenschen ein. »Irgendwie habe ich aber nie eine Partei gefunden, die zu mir passen wollte.«
Für die Gemeinschaft setzte er sich auch bei ehrenamtlichen Tätigkeiten ein, wie etwa als Vorsitzender des örtlichen Vereinsringes oder als Jugendfußballtrainer. »Meine Frau findet es immer lustig, dass mich so viele Menschen in Friedberg auf der Straße ansprechen. Ich bin schon als bunter Hund bezeichnet worden.« Für sein langjähriges Engagement für Friedberg hat er den Ehrenbrief vom Land Hessen verliehen bekommen.
2010 eröffnete das Ehepaar den Laden. Der liegt versteckt im schmalen Gässchen an der Kaiserstraße. Aus Büroangestellten in der selben Firma wurden Vollzeit-Künstler und Ladenbetreiber mit ökologischem Bewusstsein. »Nach 20 Jahren als Angestellte in der Wirtschaft war es einfach Zeit für etwas Neues und Eigenes.« Das Ehepaar verließ gemeinsam das Unternehmen. »Vier Wochen später haben wir den Mietvertrag für unseren Laden unterschrieben.«
»Sowas wie Schicksal« nennt der 56-Jährige diesen Wendepunkt im Leben, denn das Paar habe schon davor nebenberuflich den handgemachten Schmuck von seiner Frau Tatjana auf Märkten verkauft. Nun kann sich das Paar voll und ganz darauf und auf andere wichtige Dinge konzentrieren. »Ich habe immer mehr angefangen, Probleme in unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Mit unserem Laden wollen wir zeigen, dass es auch anders geht«, also selbst die Veränderung sein, die sie sich für die Welt wünschen.
Mit seiner Frau achte er darauf, dass ihre Waren aus nachwachsenden und möglichst regionalen Rohstoffen in Handarbeit und unter fairen Bedingungen gefertigt wurden. Die Adventskränze, die Jens Dörr-Radewaldt derzeit in seiner Freizeit herstellt, sind jeweils ein Unikat, denn jedes Holz ist einzigartig. Das gilt auch für den Sockel des Inklusionspreises der diesjährigen Charity-Gala Bad Nauheim, an dem er zum Selbstkostenpreis arbeite. »Das ist einfach eine schöne Sache, daher möchte ich daran nichts verdienen.«
Jens Dörr-Radewaldt sei es wichtig, seine Arbeit mit seinen Idealen vereinbaren zu können. Das sei ihm so gut gelungen, dass er und seine Frau sogar im Urlaub arbeiten wollen. Ihre Werkzeuge würden sie also auch mit nach Südfrankreich nehmen, um aus den dortigen »Geschenken aus der Natur« neue Kunstobjekte herzustellen. Reich seien sie durch ihre Arbeit zwar nicht, aber: »Unser Beruf ist unser Leben«, kann Jens Dörr-Radewaldt völlig entspannt behaupten. Da falle es leicht, kreativ zu sein.
