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Vom Gotteshaus zur Schule, Gaststätte und nun zur Lounge

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Von: Corinna Willführ

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Marion und Manfred Meuser bewahren das Relikt aus den letzten Jahren des »Bürgerspießes« als Traditionsgaststätte in ihrem Zuhause auf. © Corinna Willführ

Das Restaurant »Bürgerspieß« in Ortenberg gibt es als Speiselokal nicht mehr. Künftig wird es als»Bistro, Café, Lounge« betrieben. In der Vergangeheit diente das Gelände aber auch anderen Zwecken.

Die Tür des »Bürgerspieß« ist geöffnet. Bogdan Dancu trägt Weinkisten in die restaurierten Räume. Er ist 36 Jahre alt und neuer Inhaber der Gaststätte. Er spricht Italienisch, Spanisch, Englisch und Rumänisch, die Sprache seiner Heimat. Der Liebe wegen kam er vor einem halben Jahr nach Ortenberg. »Und ist hoch motiviert, seine Erfahrungen aus Bars in Italien und Spanien nun hier einsetzen zu können«, sagt Tarik Yilmaz. Er, Jahrgang 1975, kommt »aus der Baubranche«. Für ihn ist es ein Novum, ins Gaststätten-Gewerbe einzusteigen. Der gebürtige Türke, der seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebt, ist Ehemann der neuen Hausbesitzerin und unterstützt Dancu vor allem in Sachen Bürokratie, also auch den Richtlinien und Gesetzen, die zu erfüllen sind, um ein Lokal mit Spielautomaten-Betrieb zu führen. »Der Bürgerspieß wird keine Spielhalle«, sagt Yilmaz. Vielmehr haben er und sein Kompagnon vor, in der Altstadt einen neuen Treff zu etablieren. In einem Bistro, das Menschen über 18 Jahren von 10 Uhr bis zur Sperrstunde Unterhaltungsangebote macht. Mit Dart-Scheibe, der Möglichkeit via Sky Fußballspiele zu verfolgen oder »Digital games« zu spielen. (Alles erst demnächst).

»Was wir hier machen, ist eigentlich eine normale deutsche Kneipe mit Angeboten, die man 2022 braucht.« Denn die Gastronomie befinde sich wegen der noch nicht überstandenen Corona-Pandemie weiter in der Krise. »Würden wir hier ein neues Speiselokal aufziehen, müssten wir einen Koch einstellen. Auch Personal im Service. Die Gehälter und der erwartete Umsatz sind bei einem Neustart in so unwägbaren Zeiten nicht kalkulierbar.«

Doch auch eine Neueröffnung als »Bistro, Cafè, Lounge« am Standort birgt Risiken. In die Altstadt »verirrt« sich kaum »Laufkundschaft« mit Lust auf Freizeitvergnügen mit Darts, Münzautomaten und Kartenspielen. Bogdan Dancu setzt besonders auf das Musikangebot und internationale Weine, die es ab sofort gibt. Yilmaz will an alter Stätte Neues aufbauen. Auch wenn es für ihn der erste Gastronomiebetrieb ist, den Standort kennt er: »Ich wohnte mit meiner Familie viele Jahre in Merkenfritz.« Der Name »Bürgerspieß« bleibt erhalten. Ein offizielles Eröffnungsfest gibt es nicht. »Das wird sich nach und nach ergeben«, glaubt Yilmaz.

Abwechslungsreiche Vergangenheit

Die gerahmte Erläuterung zur Herkunft des Namens »Bürgerspieß« hat Petra Richter, die bislang letzte Wirtin das Traditionslokals - nach vier Vorgängern - an Marion und Manfred Mäuser übergeben. Darauf zu sehen ist die Abbildung eines Bürgerspießes zusammen mit dem Hinweis, wo sich im Stadtarchiv der Nachweis für die erste Garde der Ortenberger Bürgerwehr finden lässt. Zudem die Erklärung: »Bürgerspieß« leitet sich her von Oberfeldwebel der Bürgergarde…, die in Ortenberg im Jahr 1848 entstand.

Petra Richter galt als geschätzte Köchin und Gastgeberin. »Tolles und leckeres Essen, faire Preise und ein Superservice«, bewertete einer von vielen Einträgen im Internet das Lokal. Am Abend war es zudem Treffpunkt unterschiedlicher Stammtische.

Während Kopien der Dokumente hinter Glas auf 1848 verweisen, entstand das Gebäude, das später den »Bürgerspieß« beherbergte, erst 1897 »als Sparkasse an der Stelle der ehemaligen Katharinenkirche«, wie Stadtarchivar Michael Schroeder in einem Buch zur Ortenberger Altstadt schreibt. »Drei Zinnsärge waren nach Zeitzeugenaussagen im Kellergewölbe der Gaststätte noch in den 70er Jahren zu sehen«, heißt es dort. Wer war dort bestattet?

In einem Werk von Dr. Walter Nieß »Die Katharinenkapelle zu Ortenberg - eine Spurensuche«, deutet vieles darauf hin, dass sich der »Bürgerspieß« auf dem Grund der einstigen Katharinen-Kapelle aus dem frühen 14. Jahrhundert befindet. Manfred Meuser bewahrt das unveröffentlichte Zeugnis des Historikers auf. Darin heißt es, dass an der Stelle des Hauses am Alten Markt nach einer Urkunde vom 24. August 1331 ein Konrad von Trimberg als Stifter einen Zoll zum Seelenheil seiner Familienangehörigen erheben ließ. »Außer dieser im sogenannten Ortenberger Urkundenbuch zugekommenen Urkunde haben sich meines Wissens bisher keine Spuren der St. Katharinenkapelle in Ortenberg finden lassen«, heißt es dort. Allerdings: An einer Mauer des Grundstücks finden sich verschiedene Spolien aus der Gotik und Renaissance.

Auf dem Areal entstand ein neues Gebäude. Im 19. Jahrhundert diente es als Schule, später zog die Bezirkssparkasse zu Ortenberg ein. Im November 2022 begann nun ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte.

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