Weltenbummler im Bingenheimer Ried
Schon wieder lockt ein sehr selten zu beobachtender Vogel viele Naturinteressierte aus nah und fern zum Bingenheimer Ried: eine Schwarzflügel-Brachschwalbe. Diese Vogelart ist in den Steppen vom Schwarzen Meer an ostwärts heimisch und überwintert in Südafrika. Sie tritt nur selten in Mitteleuropa auf, doch sie ist nicht das erste Mal hier.

Eine Schwarzflügel-Brachschwalbe ist zurzeit zu Gast im Naturschutzgebiet Bingenheimer Ried und zieht zahlreiche Vogelfreunde an. »Im Herbst 2017 konnten wir diesen seltenen Vogel erstmals hier im Gebiet und damit auch zum ersten Mal in Hessen beobachten«, erzählt Udo Seum, Arbeitskreisleiter der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON).
Die Brachschwalbe ist vor allem in den Morgen- und Abendstunden zu beobachten, wie sie Insekten über den Wasserflächen und Schilfflächen im Ried fängt. Dabei sind die für diese Art typischen schwarzen Unterflügel gut zu sehen. Tagsüber ruht der seltene Gast oft versteckt und ist dann manchmal über Stunden nicht zu sehen.
Watvögel wie an der Küste
Durch die teils starken Regenfälle der vergangenen Wochen steht immer noch viel Wasser im Gebiet. Nun, da die Brutzeit abgeschlossen ist, wird das Wasser allmählich abgelassen. »Das machen wir, um den Bestand des Blaubandbärblings zu begrenzen. Dieser nicht heimische Kleinfisch beeinträchtigt die Vermehrung der Amphibienarten im Gebiet«, sagt Walter Schmidt vom Forstamt Nidda. »Gleichzeitig bieten sich den Rastvögeln so sehr gute Bedingungen zum Auftanken der Energiereserven für den Weiterzug.«
Unter den Gästen sind derzeit besonders viele Watvögel wie Alpenstrandläufer und Sandregenpfeifer, aber auch in Hessen pro Jahr nur wenige Male zu beobachtende Arten wie Steinwälzer, Sanderling, Knutt oder Sichelstrandläufer. Vogelkundler Volker Probst, der mit seiner Frau seit einiger Zeit mehrfach jährlich ein paar Tage aus dem bayerischen Miltenberg zur Vogelbeobachtung in die Wetterau kommt, ist begeistert: »Mit Glück sehe ich in meiner Heimatregion ein oder zwei der selteneren Watvögel im Jahr, hier sind es gleichzeitig 20 Arten mit über 100 Individuen. Das sieht man sonst eigentlich nur an der Küste.«
Die nächste Brutgebiete von Knutt, Steinwälzer und Co. liegen in weiter Ferne: im arktischen Sibirien, im Bereich der Jenissei-Mündung, etwa 4000 Kilometer entfernt. Dort haben diese Arten in den zurückliegenden etwa drei Monaten Balz, Eiablage, Brutzeit und Jungenaufzucht abgeschlossen. Sowohl die lange Zugstrecke als auch die eng gedrängte Brutzeit lohnt sich für die Vögel aber durchaus: Aufgrund der hochnordischen Lage gibt es nur wenige Feinde und Konkurrenten und zugleich ein großes Nahrungsangebot aus Insekten und Pflanzen, das dank der 24-stündigen Helligkeit im Mittsommer pausenlos genutzt werden kann.
Tankstelle für Langstreckenflieger
Als ob die Flugleistung von Sibirien nach Deutschland nicht schon genug wäre: Die Winterquartiere vieler dieser Watvögel liegen in West- und sogar Südafrika, was einer gesamten Zugstrecke von 14 000 Kilometern zwischen Brutgebiet und Winterlebensraum entspricht. Offenbar hält dieser Langstrecken-Marathon von im Jahr fast 30 000 Kilometern Zugweg fit - die nur amselgroßen Knutts werden bis zu 25 Jahre alt und können in dieser Zeit allein während ihrer Wanderungen 700 000 Kilometer zurücklegen. Damit würden die nur gut 100 Gramm leichten Vögel zweimal bis zum Mond gelangen.
»Diese unglaublichen Anpassungen der Natur funktionieren aber nur, wenn es auf den Zugwegen immer wieder Rastplätze wie das Bingenheimer Ried gibt, an denen die Vögel ihre Energiereserven auftanken können««, erklärt HGON-Vogelexperte Stefan Stübing. »Dass derzeit so viele Watvogelarten hier Rast machen, zeigt, wie wichtig das Gebiet nicht nur für unsere Brutvögel, sondern auch für weltumspannenden Vogelzug ist.«
Einige Tipps zum Beobachten: Wer das Gebiet besuchen möchte, startet vormittags am besten am ausgeschilderten Parkplatz »Bingenheimer Ried« in Bingenheim und geht von dort zum Beobachtungsturm. Das Licht kommt dann besonders günstig von hinten oder der Seite. Am Nachmittag und gegen Abend sind die Beobachtungsbedingungen meist auf der Westseite besser, die zu Fuß vom Parkplatz am Friedhof in Gettenau oder vom Bauhof in Heuchelheim erreicht werden kann.
Aufgrund der größeren Entfernung zu vielen in dem Gebiet rastenden Vögeln ist für die Beobachtung ein Fernglas sinnvoll. Stübing rät: »Falls Vogelkundler mit Spektiv anwesend sind, einfach nachfragen, was es zu sehen gibt, und so einen Blick mit bis zu 60-facher Vergrößerung auf die Rastvögel werfen.«

