Wenn die Natur zum Tatort wird

Illegale Asbestentsorgung, Tierquäler, die sich an Eseln vergehen, Raubgräber, Kaffeefahrten, Bio-Eier, die gar keine Bio-Eier sind, oder abgestellte Fässer mit lebensgefährlicher Säure: Es gibt wohl kaum eine Einheit bei der Polizei, die so unterschiedlichen Straftaten nachgeht wie die Ermittlungsgruppe für Umwelt- und Verbraucherschutzdelikte.
Karsten Lenz ist ein Mann, den nicht viel aus der Ruhe zu bringen scheint. Aber wenn der Leiter der Ermittlungsgruppe für Umwelt- und Verbraucherschutzdelikte an die Motive von Menschen denkt, die eine Straftat begangen haben, schüttelt er kaum merklich mit dem Kopf, überlegt kurz, und sagt dann betont sachlich: »Man erlebt als Polizeibeamter einiges.« Dann schildert er den Fall des Mannes, der für seine wissenschaftliche Arbeit in illegalen Tierversuchen Kleintiere mit Nadeln fixierte und unter Stress setzte, bis sie starben. Viele Tiere seien betroffen gewesen, sagt Lenz. »Und das offenbar aus Profilierungssucht.«
Die Ermittlungsgruppe 2 für Umwelt- und Verbraucherschutzdelikte ist eine von dreien im Zentralkommissariat (ZK) 20. Die erste Gruppe kümmert sich um Wirtschafts- und Amtsdelikte, die dritte arbeitet hauptsächlich mit Buchprüferinnen den Wirtschaftsermittlern zu oder leistet fachkundige Unterstützung in sonstigen Fällen von Finanzdelikten. Früher, erzählt Lenz, seien Umweltdelikte in Hessen in einem eigenen Kommissariat verfolgt worden. Weil aber oftmals wirtschaftliche Motivlagen hinter den Straftaten steckten, seien die Bereiche zusammengelegt worden.
Die Zahl der Ermittler in der Gruppe liegt im einstelligen Bereich, sagt Lenz. »Wir sind vermutlich die Einheit, die die meisten spezialgesetzlichen Bestimmungen beachten muss«, sagt er. Und die änderten sich gerade auf EU-Ebene in regelmäßigen Abständen - und machten stetige Weiterbildungen nötig.
Tote Fische und Fledermäuse
Da geht es um Fragen des Arten-, Natur-, Umwelt- und Immissionsschutzes, um Kulturgüter, die zum Beispiel von Raubgräbern auf dem Dünsberg, dem Glauberg oder entlang des Limes illegal gesammelt werden. Die Beamten ermitteln, wenn ein Apotheker illegal rezeptpflichtige Medikamente ausgibt oder im Fitnessstudio Dopingmittel unter der Ladentheke verkauft werden. Sie ermitteln, wenn in einem Fluss auffallend viele Fische sterben oder es Anzeigen wegen besonders vielen toten Fledermäusen rund um Windkraftanlagen gibt. Sie sind zur Stelle, wenn sich in Lebensmitteln Metallspäne finden, Getränke einen stechenden Geruch aufweisen. Und sie spüren Menschen auf, die Pferde quälen, oder überführen Männer wie den Hessen, der sich in der Region an einem Esel vergehen wollte. Wegen dieser großen Bandbreite der Themen, sagt Lenz, sei die Arbeit im ZK20 auch so interessant.
Der Weg von Lenz in den Polizeiberuf war nicht von Beginn an vorgezeichnet. Als Schüler, erzählt er, sei er naturwissenschaftlich interessiert gewesen. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum technischen Assistenten und arbeitete unter anderem fünf Jahre beim Frankfurter Umweltamt. Privat engagierte er sich außerdem bei der Feuerwehr. Lenz entschied sich später aber, die Polizeilaufbahn einzuschlagen - zuerst in Bayern und dann in Hessen. Die Entscheidung hat er bis heute nicht bereut - auch wenn es angesichts der Fälle und einer Aufklärungsquote von rund 50 Prozent durchaus enttäuschend sein muss.
Man müsste nicht meinen, dass die Ermittler den ganzen Tag mit Kittel und Schutzbrille im Labor sitzen und mögliche Gefahrgüter analysieren - sozusagen als die blassen Nerds des Polizeipräsidiums, die selten ans Sonnenlicht kommen. Dieses Labor gibt es in der Tat, nur werden dort zum Beispiel Proben zur Ersteinschätzung analysiert. Für gerichtsfeste Gutachten gibt es externe Sachverständige. Die Beamten leisten vielmehr klassische Polizeiarbeit, wozu auch ein Geländewagen und ein speziell ausgebauter Umwelttatortbus zur Verfügung stehen.
Lenz nennt den Fall, in dem Unbekannte illegal Asbest entsorgen. Gerade in der Pandemie hätten viele Menschen zu Hause Zeit gehabt, um zum Beispiel Dacharbeiten selbst zu erledigen - oder Firmen zu beauftragen, die zwar günstig sind, aber die Arbeit unfachmännisch erledigen. Es komme immer wieder vor, dass meist kleine bis mittlere Unternehmen die Kosten für die Entsorgung in die eigene Tasche steckten und den Asbest, der bei solchen Arbeiten anfallen kann, illegal entsorgten. Dabei handele es sich nicht nur vereinzelt um lokale Firmen, sondern auch um solche, die auf der Durchfahrt sind.
So geschehen in den Landkreisen Gießen und Lahn-Dill: Zwischen Kinzenbach, Wettenberg und Bischoffen, Driedorf und jüngst im Gießener Stadtwald waren neun sogenannte Big-Packs zu je 1000 Kilo mit »Vorsicht Asbest«-Zetteln aufgefunden worden. »Offenkundig waren sie mit einem Lastwagen mit Kippvorrichtung oder Ladekran abgeladen worden«, sagt Lenz. Die Polizei ermittelt in solchen Fällen nicht nur an den Tatorten, sondern arbeitet generell mit Behörden wie dem Regierungspräsidium, den Landkreisen oder der Feuerwehr eng zusammen. Dabei fragen die Ermittler: Wo fanden Arbeiten statt, bei denen dieser Müll angefallen sein könnte? Gibt es in der Zusammensetzung des Inhalts Hinweise? »Außerdem«, betont der Kriminalhauptkommissar, »sind wir immer auf Zeugen angewiesen und für jeden Hinweis dankbar.«
Wie bei einem Fall, in dem ein Unternehmer aus der Wetterau als Subunternehmer auf einer Baustelle in Westhessen eingesetzt war. Er sollte den Erdaushub fachmännisch entsorgen. Dies habe er nicht getan, sondern 30 bis 40 Lastwagenladungen Erde im Gelände des ehemaligen Führerhauptquartiers Adlerhorst in Ober-Mörlen abgeladen. Die Polizei musste mit einer Drohne Aufnahmen von oben machen, um die Dimension überblicken zu können.
Kaffeefahrten im Visier
Ermittlungen führten zu einem Zeugen, der den Transporteur dabei erwischt hatte, wie dieser in Westhessen im Wald Erdaushub habe entsorgen wollen, erzählt Lenz. So kamen die Ermittler dem Mann auf die Spur. Pikant: Der Erdaushub war mit den Resten einer abgerissenen, mit Asbest belasteten Garage vermischt. Damit handelt es sich bei dem Material um Sondermüll. Gerade in diesem Zusammenhang stellt die Öffnung des Schengenraums die Ermittler immer wieder vor Herausforderungen. Weil auf Baustellen auch Firmen aus anderen Ländern zum Beispiel als Subunternehmer eingesetzt werden, sei es manchmal nicht einfach, die Strukturen bei einem Bauprojekt nachzuverfolgen.
Die Ermittlungsgruppe ist auch überregional tätig. Lenz erinnert sich an einen Fall von Bio-Eiern, die gar keine Bio-Eiern waren. Der Hersteller hatte sie bewusst umdeklariert, um sich zu bereichern. Die Ermittlungen führten bis nach Niedersachsen. In einem anderen Fall ging es um Kaffeefahrten. Lenz fuhr einmal mit, um sich die Maschen der Veranstalter genauer anzusehen. Ein Unternehmer aus dem Kreis Gießen hatte diese Touren mit selbst produzierten Nahrungsergänzungsmitteln beliefert. Eine Packung mit Trinkampullen, erzählt Lenz, habe bis zu 3000 Euro gekostet und sollte angeblich Krebs, Herzprobleme, Rheuma oder Demenz heilen. Alles Leiden, mit denen nicht nur, aber oft die Zielgruppe der Fahrten kämpft - ältere Menschen. In Wirklichkeit seien es jedoch willkürlich zusammengemischte Präparate gewesen, die mal keine Vitamine, mal eine 200-fache Überdosierung aufgewiesen hätten. »Am Ende standen acht Angeklagte vom Hersteller bis zum Verkäufer vor dem Landgericht Gießen«, sagt Lenz. Der Hersteller der Präparate wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.