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Wetterauer Flügelkunst

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Von: Annette Hausmanns

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Frühling: Thomas Bailly spielt das Cembalo beim kammermusikalischen Dankeschön-Abend für die Ehrenamtlichen an der St.-Lioba-Schule. © Annette Hausmanns

Eigentlich ist das Cembalo schon lange aus der Mode gekommen. Und doch geht es nicht ohne, will man Stücke aus jener Zeit aufführen, da das Instrument Hochkonjunktur hatte. Bach und Beethoven liebten das Cembalo für seinen silbrig schimmernden Klang. Das gute Stück auch optisch herauszuputzen, gehörte zum guten Ton. In einem Kunstprojekt transponierten St.

-Lioba-Schüler das historische Vorbild in die Neuzeit.

Stolz steht das kleine Cembalo auf der Bühne im großen Musiksaal. Dass es sich einmal vom grauen Mäuschen zur farbenprächtigen Schönheit mausern würde, hätte es sich nie träumen lassen. Über viele Jahre versah es zuverlässig seinen Dienst an der St.-Lioba-Schule in Bad Nauheim, nachdem Musiklehrerin Ilse Etzel es hierher gebracht hatte. Besonders im sakralen Umfeld der Hauskapelle war sein etwas anderer Klang gefragt. Und bei besonderen Anlässen mit den wundervollen Werken, die ihm einst von J. S. Bach oder von Händel, aber auch von Mozart und Beethoven auf den Leib komponiert worden waren.

Mit Feuereifer und Fingerspitzengefühl

Dann drohte das zartbesaitete Zupfinstrument mit der filigranen Tastatur in Vergessenheit zu geraten. Seit Musiklehrer Thomas Bailly das kleine Cembalo unter seine Fittiche und mit in den Musiksaal der Schule nahm, wird es nicht nur regelmäßig gestimmt und gespielt, das kleine »Lindholm« darf auch immer wieder vor Publikum zeigen, was es kann. Zum Dankeschön-Abend für die Ehrenamtlichen an der Schule widmete ihm sogar die Zeitung liebevolle Zeilen: »Noch nie hatte man im Musiksaal Johann Sebastian Bachs Präludium in C-Dur und Giovanni Gastoldis Madrigal ›In Dir ist Freude‹ in derart barocker Authentizität gehört.« Dem kleinen Cembalo schwoll die Brust vor Stolz, und im Musikunterricht strengte es sich fortan noch mehr an.

Ganz blümerant wurde ihm, als es kurz darauf erfuhr, dass es eine Sommerwoche lang im Mittelpunkt eines ambitionierten Kunstprojekts mit Namen »Wetterauer Flügelkunst« stehen und angemalt werden sollte. »Wie passend«, dachte das kleine Cembalo, erinnerte sich an Erzählungen über seine hoch geschätzten und üppig verzierten Vorfahren zu Hofe, träumte von Bachs »Wohltemperiertem Klavier« und Vivaldis »Vier Jahreszeiten«, von barocken Blumen, mediterranen Früchten und Mondscheinsonaten.

Weit über ein Dutzend junger Menschen mit besonderem Interesse an Malerei und Grafik entschieden sich für das von Thomas Bailly ausgeschriebene Projekt und legten sich mit Feuereifer ins Zeug. Die Neuntklässler studierten historische Vorlagen, bestaunten Fotos von einem Steinway-Flügel mit aufgezeichneten »Bildern einer Ausstellung« und wählten für »ihr« Cembalo das Thema Natur. Sie fertigten Skizzen an, besorgten Acrylfarbe und zerlegten das Instrument behutsam in seine Einzelteile. Im Arbeitsprozess wuchsen weitere Ideen. Ein jeder Künstler stellte seinen Part fertig, fügte womöglich noch funkelnde Steinchen hinzu oder befestigte bunte Klötzchen in den »Lioba-Farben« über der Klaviatur, bevor die Einzelteile zum bunten Ganzen zusammengefügt wurden.

Noch ganz benommen von der Prozedur, durfte sich das kleine Cembalo beim Schulfest in einer audio-visuellen Vorführung präsentieren. Leidenschaftlicher Beifall beflügelte es derart, dass es zu neuer Höchstform auflief und seither mit noch größerer Leidenschaft auftritt - meist unter den geübten Händen von Thomas Bailly und ganz sicher auch wieder beim nächsten Kammermusikabend. Zu gerne wäre es auch beim Adventskonzert der St.-Lioba-Schule am 14. Dezember im großen Jugendstiltheater des Dolce dabei, aber da braucht der kleine Bruder vom Konzertflügel wohl noch Überredungskunst.

Das kleine Cembalo sucht Nachfolger

Das Projekt habe so viel Freude bereitet, erzählt Thomas Bailly, dass man sich vorstellen könne, dranzubleiben: vielleicht bei einem weiteren Schulprojekt oder womöglich gar auf Anfrage von Besitzern alter Instrumente nach dem Motto »Irgendwo steht ein altes Klavier, und wir kümmern uns drum«. Denkbar seien auch spezielle Gestaltungen für Kindergärten oder Altersheime, sagt Bailly und würde sich über Anfragen sehr freuen: thomas-bailly@t-online.de.

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Herbst: Das kleine Cembalo strahlt in neuem Glanz und freut sich auf viele weitere Auftritte. © Annette Hausmanns
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Sommer: Die jungen Künstler nach vollbrachter Arbeit im Projekt »Wetterauer Flügelkunst«. © Annette Hausmanns

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