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Wie Eltern mit Kindern über Krieg und Angst sprechen

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Krieg macht Kindern Angst - wie sollten Eltern darauf angemessen reagieren? © Imago Sportfotodienst GmbH

Putins Krieg gegen die Ukraine macht auch Kindern Angst. Wie sollten Eltern damit umgehen? Antworten gibt Prof. Burkhard Brosig, Oberarzt für Kinder- und Familienpsychosomatik an der Uni-Kinderklinik in Gießen.

Welche Gefühle löst Krieg bei Kindern aus, und wie belastend kann das für Kinder sein?

Wenn Kinder Bomben- und Raketeneinschläge, Feuer und Rauchwolken in den Städten sehen, sind das sicher sehr beunruhigende Momente, auch traumatische Eindrücke für eine kindliche Seele. Das sind Bilder, die dadurch, dass sie nun auch so nahe vor unserer Haustür passieren, noch mehr verunsichern und noch mehr beängstigen. Kinder sehen zudem, dass vom Krieg andere Kinder betroffen sind, sie sehen gerade Bilder, wo Menschen mit Kindern im Auto fliehen, oder Familien mit Kindern, die in U-Bahn-Stationen Schutz suchen. Das sind Dinge, die Kinder natürlich erst mal total aus der Bahn werfen können. Da werden Ängste ausgelöst. Man kann davon ausgehen, dass sensible Kinder dadurch auch schlecht träumen werden. Meine Sekretärin hat ein fünfjähriges Kind zuhause, das sehr verängstigt und verändert wirkt durch die Bilder im Fernsehen - das Kind schaut zwar nur Kindernachrichten, die sind jedoch auch sehr aufwühlend und reichen aus, um sehr viele Fragen aufzuwerfen. Insofern ist es wichtig, dass Eltern sich damit beschäftigen. Dadurch, dass Jahrzehnte von Frieden hinter uns in Europa liegen, treffen uns die aktuellen Kriegsbilder ungewohnt nah und hart. Natürlich hat es vorher auch schon Kriege gegeben, aber die waren geografisch viel weiter weg und haben Länder betroffen, die auch kulturell weiter weg sind als die Ukraine.

Wie sollte man als Vater oder Mutter reagieren, wenn das Kind Angst wegen des Krieges hat?

Man sollte ernst bleiben und die Dinge ernst nehmen. Man sollte aber in der inneren Haltung versuchen, die eigenen Besorgnisse und Ängste nicht in einer allgemeinen Panik auf die Kinder zu verlagern. Man sollte zwar nicht sagen, uns kann hier gar nichts passieren, das wäre ja unrealistisch. Aber es ist wichtig, dass man die Panik, die aus den Medien und aus dem Fernsehen herüberschwappt, nicht ungebrochen an die Kinder weitergibt. Das betrifft insbesondere die kleineren Kinder, die noch nicht verstehen können, worum es bei dem Krieg geht. Da kommt es sehr auf die Haltung der Eltern an, dass sie ihrer Besorgnis zwar Ausdruck verleihen, aber letztlich auch zeigen, dass sie glauben, den Dingen gewachsen zu sein und ihre Kinder gut schützen können - etwa, weil wir hier in Deutschland doch immer noch ein Stück weit weg wohnen von den akuten Kriegshandlungen.

Eltern haben auch Ängste und Gefühle - der Krieg schockiert viele Menschen. Was können Eltern tun, um mit ihren eigenen Gefühlen so umzugehen, dass Kinder möglichst wenig belastet werden?

Das ist wieder eine Frage der Haltung. Man sollte die Gefühle ernst nehmen und kindgerecht erklären, dass es gerade schwierige und schlimme Konflikte gibt, dass Menschen gegeneinander kämpfen. Aber man muss in der inneren Haltung standhaft bleiben und den eigenen Ängsten gegenüber den Kindern nicht zu sehr Ausdruck verleihen.

Hilft da auch Ablenkung?

Ja, auf jeden Fall. Es ist sehr wichtig, dass man die alltäglichen Dinge und Tätigkeiten normal weitermacht, auch mal rausgeht, sich bewegt, auch mal die Medienberieselung mit den Kriegsnachrichten deutlich eingrenzt, dass man nicht stundenlang permanent mit den schlimmen Bildern konfrontiert wird. Dieser Überflutung muss man Herr werden, da ist man psycho-hygienisch gut beraten, wenn man sich dem nicht ständig aussetzt.

Sollte man mit Kindern zu Demonstrationen oder Kundgebungen gegen den Krieg gehen?

Man kann sicher mit älteren Kindern den Versuch unternehmen, etwas gegen die eigene Ohnmacht zu tun, und sich einer Demo oder Kundgebung anzuschließen. Das ist zwar bei jüngeren Kindern nicht unbedingt angeraten, aber bei älteren Kindern ab der 5. Klasse könnte es ein Versuch sein, dass man deutlich macht: Wir sind nicht vollständig wehrlos. Das war ja auch eine Lehre aus den 70er Jahren, dass die Friedensdemonstrationen Menschen das Gefühl gegeben haben, sie können sich ein Stück weit wehren. Jetzt kann man auch zeigen, dass dieser Krieg nicht unser Krieg ist - und auch nicht unser Mittel der Auseinandersetzung.

Wie spricht man am besten mit Kindern über Krieg? Empfehlen Sie auch Gespräche mit Groß- oder Urgroßeltern, die den Krieg noch erlebt haben?

Ich glaube, das hängt sehr vom Alter ab, und auch davon, wie Großeltern vom Krieg sprechen. Sie sollten zumindest nicht in traumatische Panik verfallen, wenn sie über Krieg berichten. Ich bin ja selbst Großvater und habe aus der Erzählung meiner Eltern und durch eine Generation gefiltert gehört, was sie erlebt haben im Krieg. Das könnte zum Beispiel ein Zugang sein, wenn es nicht das direkte entsetzliche Erleben von Krieg und Tod ist, sondern wenn man mit einem gewissen Abstand spricht. Ich glaube auch, es wäre wichtig, bei älteren Kindern ab zehn oder elf Jahren, die schon mehr verstehen, einen historischen Prozess zu skizzieren: Dass kriegerische Auseinandersetzungen in Europa früher leider sehr häufig vorkamen, dass sie letztlich aber sinnlos waren, weil sie mehr Unglück und Zerstörung als Klärung gebracht haben. Und dass die Menschen daraus eigentlich gelernt haben, sich lieber mit friedlichen Mitteln auseinanderzusetzen. Bei jüngeren Kindern muss man mit sehr vereinfachter Sprache darstellen, was Krieg bedeutet.

Sollte man mit Kindern nur spezielle Kindernachrichten sehen?

Ab dem Alter der weiterführenden Schule finde ich gemeinsames Ansehen der Tagesschau, die ja auf 15 Minuten begrenzt ist, oder eines journalistisch fachgerecht und verantwortlich aufbereiteten Beitrags gut und richtig. Im Grundschul- und Kindergartenalter sollten Kinder aber nur kindgerecht aufbereitete Nachrichtensendungen sehen, da dort weniger dramatische Bilder gesendet werden und Kriegsbilder anders ausgewählt werden. Schlimme Kriegsbilder wird man nämlich nicht wieder los.

Welche Tipps haben Sie noch für Kinder, das Kriegsgeschehen zu verarbeiten?

Ich würde gerne noch einen sehr wichtigen Punkt ansprechen. Wir haben ja nicht nur oberhessische Mittelklassenfamilien in Gießen und Umgebung, sondern auch eine ganze Reihe von Kindern und Jugendlichen, die durch Migration hierherkamen und wirklich Krieg erlebt haben, beispielsweise in Afghanistan oder in Syrien, und die dadurch traumatisiert sind und hier glaubten, etwas zur Ruhe kommen zu können. Wenn nun auf ein vorbestehendes Kriegstrauma und Migrationstrauma diese Kriegsbilder treffen, hat das nochmal ganz andere Auswirkungen. Das wühlt diese Kinder und Jugendlichen ganz besonders auf und beunruhigt sie in einer Art Deja-vu. Und da wir in vielen Schulkassen eine Mischung haben zwischen Migrationskindern und Kindern aus Mittelhessen, sollten Eltern dafür sensibel sein und mit ihren Kindern darüber sprechen, dass Mitschüler aus ihrer Klasse ganz anders beunruhigt sein können.

Welche Bedeutung haben dabei die Lehrerinnen und Lehrer?

Sie müssen das zum Thema machen. Und zwar so, dass man ein gemeinsames Erleben daraus macht. Lehrer könnten ganz offen fragen: Wer von euch oder wessen Eltern haben schon einmal Krieg ganz leibhaftig miterleben müssen?

Sollten Eltern Kindern erklären, warum es Kriege gibt? Und wie macht man das am besten?

Das ist auch wieder altersabhängig. Kleinere Kinder, die schon mal Auseinandersetzungen im Kindergarten oder in der Grundschule hatten, wo mal geschubst wurde oder es ein blaues Auge gegeben hat, kann man sagen, dass Aggression etwas Menschliches und Natürliches und manchmal sogar etwas Positives ist, dass es aber nicht ausarten darf in einen Krieg. Sondern dass es Regeln gibt, die jetzt in der aktuellen Kriegssituation verletzt worden sind. Bei älteren Kindern kann man Begriffe wie Völkerrecht oder Autonomie von Staaten ins Feld führen und anknüpfen an schulische Inhalte aus dem Geschichts- oder Sozialkundeunterricht.

Nach zwei Jahren Corona kommt jetzt noch Krieg dazu - wie belastbar sind Kinder eigentlich? Machen sich Eltern zu viele Sorgen?

Also es ist schon so, dass die Kinder ordentlich durchgerüttelt worden sind, insbesondere durch die fehlende soziale Interaktion und durch Isolation wegen Corona. Das ist ja oft besprochen worden. Doch Kinder haben auch viele Ressourcen zur Verarbeitung solcher Widrigkeiten. Wichtig ist, dass Eltern einerseits die Dinge nicht unter den Tisch kehren, ein Stück Realität zulassen, aber andererseits auch versuchen, die Nerven zu behalten und zu zeigen, dass eine Beunruhigung nicht in Panik umschlagen sollte. Das ist sicher auch eine Kunst, eine solche Linie zu fahren und im Wind zu segeln. Dass man also die Besorgnis nicht vollständig negiert und umgekehrt auch deutlich macht, dass man selbst und auch der Staat alles versuchen wird, die eigene Familie und das eigene Land zu schützen. Das Erleben von Solidarität, etwa bei Kundgebungen oder auch in den Kirchen bei Gottesdiensten, ist dabei sicher hilfreich, um nicht das Gefühl zu haben, allein und hilflos diesen Aggressionen und diesen Ereignissen ausgesetzt zu sein.

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