Wieder einen Platz in der Erinnerung bekommen

Die Nazis wollten jedwede Erinnerung an sie auslöschen. Nun kehren sie in Form von Stolpersteinen in das kollektive Gedächtnis zurück: die Opfer der NS-Diktatur in Höchst und Altenstadt.
M it drei Veranstaltungen an einem Tag gedenkt die Gemeinde Altenstadt ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die während der Nazi-Diktatur enteignet wurden, flüchten mussten, in vielen Fällen deportiert und in KZs ermordet wurden. Bereits am Vormittag hatte der Künstler und Initiator der Stolpersteinaktion, Gunter Demnig, fünf Gedenksteine in Höchst und weitere zwölf in Altenstadt verlegt (siehe Info-Kasten). Am Abend schloss sich eine Online-Konferenz mit dem Holocaust-Überlebenden Ernst Grube an (wir berichteten).
An den offiziellen Gedenkveranstaltungen am Nachmittag nahmen sowohl in Höchst als auch in Altenstadt interessierte Einwohner und Hauseigentümer sowie Vertreter aus Religion und Politik teil, nicht zuletzt die beiden Initiatoren des Gesamtprojekts, Sven Müller-Winter als Vorsitzender der Initiative für Vielfalt und Demokratie in Altenstadt und Hans Erich Seum als Vorsitzender der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur (AGGK). Als Vertreter der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, Wetterau und Landkreis Usingen begrüßten sie deren Vorsitzenden Manfred de Vries, als Vertreter der Gemeinde den Beigeordneten Norbert Heidke (Grüne). In Höchst nahm Ortsvorsteher Volker Erb-Trost, in Altenstadt Ortsvorsteherin Daniela Vogler und der evangelische Pfarrer Klaus Willms an der Feierstunde teil. Alle Redner betonten die Aktualität solchen Gedenkens und Mahnens, gerade vor dem Hintergrund der Stimmengewinne der AfD und der zunehmenden »Salonfähigkeit« rechten Gedankenguts, das Demokratie, Freiheit und einem Zusammenleben in Vielfalt und Respekt diametral entgegenstehe.
»Deutschland hat seine Demokratie hart erkämpft - es ist in Gefahr, sie wieder zu verlieren, wenn nicht jede und jeder Einzelne sich vehement dafür einsetzt«, sagte Manfred de Vries, der eindrücklich und berührend vom Einbruch des Holocausts in seine Familie berichtete. »Wir müssen wachsam sein, dürfen die AfD und ihre Wirkung nicht kleinreden und unsere Demokratie schlechtmachen: Die Alternative, eine rechte Diktatur, wäre katastrophal für uns alle.«
Auf das Schicksal der in Form der Stolpersteine geehrten Opfer eingehend, sagte de Vries, diesen habe man unter der Nazi-Diktatur elementarste Menschenrechte aberkannt, ihre Namen und ihre Familien, somit in vielen Fällen jegliche Erinnerung an sie, sei ausgelöscht worden. Die Stolpersteine gäben die Entwürdigten und Vernichteten dem öffentlichen Gedächtnis und Gedenken zurück. De Vries sprach an den Orten der Verlegung das jüdische Kaddish, ein Lobpreis und eine Heiligung Gottes, die man auch zum Gedenken an die Toten rezitiert.
Das Schicksal der einzelnen in Höchst und Altenstadt geehrten jüdischen Familien ließen Sven Müller-Winter und Hans Erich Seum in wechselnder Rede lebendig werden. Quelle ihrer Beiträge war das Buch »Unsere jüdischen Nachbarn« der inzwischen verstorbenen Autorin Elisabeth Johann. Im Einzelnen ehrte man durch Stolpersteine: In Höchst, in der Straße Am Friedhof 4 den Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Isaak Haas, und seine Frau Jeanette. Am Haus Mittelgasse 45 Bertha Seligmann und ihre Kinder Bernhard und Elise. Mutter und Sohn gelang auf Umwegen die Flucht, während die Tochter in Belgien von Nazi-Schergen verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde.
Zwölf Namen im Pflaster
In Altenstadts Quergasse 7-9 sind drei Stolpersteine vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnsitz der Geschwister Rosa, Jenny und Siegmund Süßkind Adler verlegt. Auf dem Grundstück befand sich damals auch die Altenstädter Synagoge. Die große Familie Siesel wird mit fünf Stolpersteinen vor dem Anwesen Quergasse 1 geehrt - hier lebten Julius und Sara Selma Siesel mit den drei im Holocaust umgekommen Kindern Sanna Stelle, Siegfried (Perez) und Karola. Einigen Söhnen und Töchtern der Familie gelang die Flucht in die USA und nach Südafrika.
Letzte Station war das heutige Hotel Mönchhof in der Mönchgasse 5. Dort gedachte man der bis 1938 in Altenstadt ansässigen Familie Bamberger mit den Eltern Sally und Ida sowie den Kindern Lothar und Ilse, die 1941 von Frankfurt aus deportiert und in Lodz ermordet wurden. Zur vertiefenden Information empfahlen Müller-Winter und Seum das Buch »Unsere jüdischen Nachbarn«, das man unter anderem im Rathaus einsehen kann.

