»Wir stehen für einen neuen Stil«

Die Verwaltungsspitze im Büdinger Rathaus ist wieder komplett. Ab April wird Katja Euler als neue Erste Stadträtin zusammen mit Bürgermeister Benjamin Harris die keineswegs einfache Aufgabe übernehmen, den gesellschaftlichen Wandel mit einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung in Einklang zu bringen. Es mögen zwei Novizen sein. Mit dem Duo sind jedoch eine Menge Hoffnungen verbunden.
Eine schwarz-rote Führung erlebten Verwaltung und Politik in Büdingen zuletzt Anfang 2004. Damals war die SPD das parlamentarische Maß aller Dinge, im Rathaus regierten mit Bernd Luft und Manfred Hix zwei Kumpels. 18 Jahre später mag die Konstellation auf dem Papier ähnlich sein. Allein die Rahmenbedingungen und die Protagonisten haben mit dem Beginn des neuen Jahrtausends gar nichts mehr gemein. Mit Benjamin Harris, dem Schwarzen, und Katja Euler, der Roten, stehen zwei Büdinger in der Verantwortung, die eine neue Generation verkörpern. Für sie sind Verantwortung, Zuständigkeiten und Entscheidungsgewalt nicht an Macht, Einfluss sowie an große Egos gekoppelt.
Zwei Neue, derselbe Kurs
Katja Euler (54) beschreibt es im Gespräch so: »Benjamin Harris und ich stehen für einen neuen Stil, für Versachlichung der Prozesse. Es ist nicht mehr die Zeit für Polemik, Parteipolitik und Show.« Streit dürfe es in der Demokratie gewiss geben. Aber nicht aus Partei- und Eigeninteresse, sondern der Sache wegen. Es ist nicht abgesprochen, aber dem Kurs der künftigen Ersten Stadträtin hat sich der neue Bürgermeister ebenfalls verschrieben. Auch Harris betont in seiner Erzählung gerne die Stilfrage, setzt auf Vertrauen, Transparenz, auf das Miteinander.
Klarheit herrscht darüber seit Freitagabend. In einem wahren Krimi setzte sich Katja Euler in der Stadtverordnetenversammlung im dritten Wahlgang mit 18 zu 16 Stimmen gegen ihren ärgsten Konkurrenten - Thomas Appel von der CDU - durch. Nach der zweiten Runde schien die Wahl für die Sozialdemokratin schon gelaufen. Da lag Appel mit 17 zu 16 (und einer Nein-Stimme) knapp in Front. Sabine Dönges (FWG), Arno Remmers (Bündnis 90/Die Grünen) und Wolfgang Faust (Pro Vernunft) fehlten, und obwohl sich die Freien Wähler im Vorfeld für Katja Euler ausgesprochen hatten, schien am Wahlabend in der Wolfgang-Konrad-Halle plötzlich alles möglich. Die übrigen zehn Kandidaten blieben ohne Chance. Zum Bewerberfeld gehörten etwa Regina Hofmann, die 2005 in Gedern die Bürgermeisterwahl hauchdünn gegen Stefan Betz verloren hatte, und Ralph Brodel, von 2015 bis 2020 Bürgermeister der Stadt Sundern im Sauerland.
Spürbar ergriffen
Büdingens Stadtverordnetenversammlung erlebte in Lorbach also erneut eine besondere Zusammenkunft. Katja Euler legte spürbar ergriffen den Diensteid ab, Erster Bürger Dieter Jentzsch (CDU) verpflichtete sie im Anschluss per Handschlag. Von Bürgermeister Benjamin Harris erhielt die Fachbereichsleiterin am Wolfgang-Ernst-Gymnasium, die auch zum Führungsteam der Schule zählt, die Ernennungsurkunde.
Am »WEG« wird Katja Euler mit Sicherheit fehlen. Identifikation, Einsatzfreude und die Gabe, mit ruhigem Ton und Sachverstand Projekte zu entwickeln, zählen dort zu ihren ganz großen Stärken. Dass das Gymnasium mit einem musikalischen Schwerpunkt werben darf, trägt ihre Handschrift. Den Wechsel zu G9 hat sie maßgeblich organisiert. Schulleiter Oliver Eissing attestiert Katja Euler Fähigkeiten, die auch jetzt, im neuen Job, besonders gefragt sein werden: Konflikte lösen, Meinungen bündeln, unterschiedliche Interessen zusammenführen, vertrauensvoll im Team agieren, entscheidungsfreudig vorangehen. Die ausgeprägte Empathiefähigkeit und das hohe Maß an Motivation, das sie durch ihre Persönlichkeit erzeugt, dürften künftig ebenfalls tragende Rollen spielen. Gerne wäre Katja Euler einmal Schulleiterin geworden. Doch mit der Bewerbung scheiterte sie vor einigen Jahren genauso wie 2021 mit ihrem Bestreben, wenigstens die stellvertretende Leitung zu übernehmen. Sie ist mit sich im Reinen, sagt sie. Ihr Umfeld spricht in diesem Zusammenhang jedoch von fragwürdiger Schulpolitik und einer verpassten Entwicklungschance fürs Büdinger Gymnasium.
Familienstadt als Leitbild
Jetzt kann Katja Euler, seit 1989 SPD-Mitglied und seit 2021 als Stadtverordnete aktiv, ihre Stärken für die Büdingerinnen und Büdinger einbringen. Ihr Anspruch: die »Familienstadt«, ein Begriff, der inzwischen fast zum Schimpfwort taugt, wieder salonfähig machen. Ihr sind die sozialen, nachhaltigen, lebenswerten und weltoffenen Aspekte der Stadtentwicklung wichtig. Als Lehrerin kennt sie Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, weiß um deren Entwicklung. Ihr sind Vereinsarbeit und Ehrenämter nicht fremd, sie kann aufgrund ihrer Tätigkeit im Hessischen Kultusministerium Entscheidungsprozesse, die auf höhere Ebene getroffen werden, einschätzen, war an vielen unmittelbar beteiligt.
Mit Blick auf das so wichtige Ressort JKS - Jugend, Kultur, Soziales - sagt Katja Euler: »Das ist meine Vita, das lebe ich.« Es dürfte der erste Belastungstest für Harris und Euler werden, denn der Bürgermeister hat durchblicken lassen, dass er bei der künftigen Dezernatsverteilung ebenfalls mit JKS liebäugelt. Darauf angesprochen, versichern beide, zu einer für Büdingen guten Lösung zu finden.
Spamer und Euler? Wohl eher nicht
Und so wird am 1. April Katja Euler am Schreibtisch im dritten Stock des Rathauses in der Eberhard-Bauner-Allee den Platz einnehmen, den Henrike Strauch nach nur einer Amtszeit Ende Januar in Richtung Glauburg verlassen hat. Auf die Frage, ob Euler sich auch für das Amt der Ersten Stadträtin mit Bürgermeister Erich Spamer beworben hätte, der ursprünglich ja eine vierte Amtszeit angestrebt hatte, sagt sie: »Nein, wahrscheinlich nicht. Einer mit 18 Jahren im Amt und eine blutige Anfängerin, das wäre für Büdingen keine glückliche Konstellation gewesen.«
Der Neuanfang hingegen sei eine Chance: für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, von denen viele bekanntlich nie einen anderen Chef hatten. Und für die Stadt, die sich am Ende einer Ära auf ein Duo freuen kann, das zeigen will, dass es mit seiner ruhigen und sachlichen Art in die Zeit passt.
