1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis
  4. Wölfersheim

Powerfrau mit Empathie: Diese Wölfersheimerin arbeitet neben ihrem Vollzeitjob als als freie Rednerin

Kommentare

wjs_CarinaBecker_200923_4c
Ihr Garten in Melbach wird zur Dichterstube: Hier findet Carina Becker die richtigen Worte. © Julian Simon Wessel

Carina Becker hat einen Vollzeitjob, eine Familie und einen Hund. Seit einem Jahr arbeitet die Wölfersheimerin auch als freie Rednerin. Sie spricht auf Hochzeiten, Trauerfeiern und Willkommensfesten für Kinder. An dieser Tätigkeit liebt sie die ungezügelte Kreativität. Und entdeckt für sich den Sinn des Lebens neu.

»Mein Garten ist meine Oase«, sagt Carina Becker. Hier kommt sie zur Ruhe, hier tankt sie Kraft. Als Lehrerin für Englisch und Religion an einer Gesamtschule hat die 37-Jährige einen fordernden Job. Zu Hause warten ihr Mann, ihr dreijähriger Sohn und Labrador Kobe auf sie.

Und doch hat sich die Wölfersheimerin vor einem Jahr einen Traum erfüllt und zur freien Rednerin ausbilden lassen. Seither nutzt sie ihren Garten als Inspirationsquelle, gilt es doch, für jeden Anlass die richtigen Worte, das passende Ritual zu finden.

Und so feilt Becker vor allem abends an ihren Reden. Ihr Angebot richtet sich an alle, die sich eine Zeremonie jenseits einer festgelegten Liturgie wünschen: Wenn Menschen den Bund fürs Leben schließen, Abschied von einer geliebten Person nehmen oder einen neuen Erdenbürger willkommen heißen möchten.

Schon immer habe sie das Organisatorische gereizt, sagt sie. Bei den Vorbereitungen zur eigenen Hochzeit sei sie zur Hochform aufgelaufen. Auch Feste von Freunden habe sie immer gerne organisiert. Was anderen ein notwendiges Übel ist, setzt bei Carina Becker zusätzliche Kräfte frei.

Dann die Initialzündung, als sie selbst bei einer freien Trauung zu Gast war: »So etwas Persönliches, wo wirklich das Paar im Vordergrund stand, hatte ich bisher nicht erlebt.« Sie erlebte aber auch, wie ein Paar im gebrochenen Englisch des Google-Übersetzers getraut wurde: »Das kann ich besser.« Also absolvierte sie eine sechswöchige Ausbildung bei einer Rednerin. Neben Rhetorik stand »Mental Coaching« auf dem Lehrplan. Immerhin gilt es, emotional fordernden Situationen zu begegnen.

Nach dem plötzlichen Tod des eigenen Vaters hatte Becker sich zunächst vorgenommen, das Thema Sterben auszuklammern. Doch dann wurde sie gebeten, den Abschied einer Frau aus dem Nachbardorf zu gestalten, die mit 92 Jahren verstorben war. »Die Offenheit und das mir entgegengebrachte Vertrauen der Angehörigen haben mich gerührt und gestärkt.«

So fühlte sie sich in der Lage, auf der Beerdigung eines Mannes zu sprechen, der mit 62 Jahren viel zu früh aus dem Leben gerissen worden war. Das zu meistern, erlebte sie als entscheidende Erfahrung für ihre persönliche Entwicklung.

Unabdingbare Eigenschaften einer Rednerin, Fingerspitzengefühl im zwischenmenschlichen Umgang und Empathie, bringt Becker von Haus aus mit. Wichtig ist ihr auch eine Offenheit in religiösen Fragen: »Glaube kann unabhängig von einer Institution stattfinden.«

Vor allem aber sind es die schier endlosen Gestaltungsmöglichkeiten einer freien Zeremonie, in denen sie aufgeht. Der Hund soll bei der Trauerfeier mit dabei sein? Kein Problem. Die Angehörigen möchten einen Schnaps auf den Verstorbenen trinken? Na klar! Das Brautpaar wünscht sich eine hawaiianische Zeremonie? Warum nicht?

Manche reagieren anfangs durchaus irritiert auf sie: Wie, da spricht keine Pfarrerin? Wenn diese Leute dann aber anschließend ihr Wohlgefallen mit einem »des war so schee« bekunden, dann fühlt sich Becker auf ihrem Weg bestätigt.

Gerade hat sie ein Willkommensfest, zwei Hochzeiten und zwei Beerdigungen innerhalb kurzer Zeit absolviert. Ein Logo und ihre Homepage hat sie selbst gestaltet. Ein anstrengendes Pensum. »Die Familie darf nicht darunter leiden«, sagt die junge Frau, die auch für einen Schulbuchverlag schreibt und sich als Ghostwriterin betätigt. All das kostet Energie. Doch Becker zehrt gleichermaßen von den Glücksmomenten, die sie mit ihrem »Herzensprojekt« erlebt. Zum Beispiel, als sie einem Paar das Eheversprechen abnehmen durfte, das einst als Schüler in ihrem Unterricht gesessen hatte.

Bei all der Teilnahme an menschlichen Schicksalen, schönen wie traurigen, stellt auch Becker sich immer wieder die Frage nach dem Sinn des Lebens. »Das Warum lässt sich vermutlich nie beantworten.« Aber für sich selbst hat sie im Rahmen ihrer Selbstverwirklichung eine neue Erkenntnis gewonnen, was ein sinnerfülltes Dasein ausmacht: »Leben zu einhundert Prozent im Hier und Jetzt.«

Was sagt sie denen, die mit der Verwirklichung eines Traumes zögern? »Macht es jetzt! Wartet nicht bis zur Rente.«

Dabei denkt sie an ihren eigenen Vater, dem nicht genug Zeit blieb, all seine Träume zu verwirklichen. »Wie oft sind wir in unserem Alltag gefangen. Wir sollten es uns schön machen, das Leben genießen, ohne Gefühle von Neid oder Ärger.«

Zusammen mit ihrer Familie freut sich Becker nun auf die nächste Reise in ihr Traumland USA. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten passt zu einer Frau, die sich selbst keine Grenzen auferlegt, wenn es darum geht, den richtigen Ton zu treffen.

Auch interessant

Kommentare