Wölfersheim: Pfarrerin bei christlichem Schamanen im Dschungel von Peru

Pfarrerin Kerstin Tenholte hat acht Wochen bei einem christlichen Schamanen im peruanischen Dschungel verbracht. Sie erzählt, wie der Alltag im Camp aussah und was sie mitgenommen hat.
Schamanismus und Christentum - geht das zusammen? »Ja, das geht«, sagt Kerstin Tenholte, die evangelische Pfarrerin der Kirchengemeinde Berstadt. Im Oktober ist sie zu einer achtwöchigen Studienreise nach Peru aufgebrochen. Die Zeit hat sie in einem Camp des christlichen Shipibo-Schamanen Mokanranko verbracht - mitten im Dschungel des Amazonasgebiets. Zwei persönliche Schicksalsschläge hatten vor einigen Jahren an ihrem Glauben gerüttelt, sagt Tenholte. »Ich habe mich gefragt: ›Was kann mir in dieser schweren Zeit helfen?‹ «
2016 kam sie mit deutschen Schülern des Schamanen Mokanranko, bürgerlich Roger Bardales, in Kontakt. An Wochenenden nahm sie an Zeremonien und Gebetskreisen teil. »Ich habe gemerkt, dass die Kombination aus schamanischen Gesängen und christlichen Gebeten mir Kraft gibt.«
Studienreise nach Peru: Schamanismus und Christentum
Ihre Trauer habe sich körperlich geäußert, mit Schmerzen in Kopf und Rücken. In der Tradition der Schamanen gibt es Massagen mit gesungenen Gebeten. »Eine Glaubenspraxis mit Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist trägt mich seither«, sagt Tenholte. Durch ihre »eigenen Wunden« sei ihr bewusst geworden, dass es etwas gebe, was ihr helfe. Und was anderen Menschen vielleicht auch helfen kann.
Seitdem ist sie immer tiefer in das Thema eingestiegen, wollte mehr erfahren - auch, wo dessen Ursprung liegt. 2019 traf Tenholte den Maestro, wie der Schamane von den Schülern genannt wird, in Dresden. »Die mir vertrauten christlichen Inhalte und Gebete in den viel älteren schamanischen Ritualen neu zu entdecken, hat mein Interesse geweckt.« Trotzdem habe sie sich immer wieder gefragt, ob das als Christin - mehr noch als Pfarrerin - zusammenpasse. »Eines schließt das andere nicht so aus, wie man denkt«, sagt Tenholte. Der Schamanismus ist viel älter als das Christentum und in der Tradition der biblisch-alttestamentlichen Propheten sind diese schamanischen Wurzeln sichtbar, erklärt sie.
Studienreise nach Peru: Ausrichtung auf Jesus Christus sehr wichtig
Tenholte gehört zudem als Oblatin der Communität Casteller Ring an: Sie orientiert sich im Alltag an der Benediktregel, ohne im Kloster zu leben - und die Ausrichtung auf Jesus Christus ist sehr wichtig. Da auch Mokanranko zu Christus einen besonderen Bezug hat, wollte sie ihn und seine Arbeit näher kennenlernen.
Als die Einladung nach Peru kam, schlug ihr Chef, Dekan Volkhard Guth, eine dreimonatige Studienzeit vor. Tenholte war vom Dienst freigestellt, arbeitete zunächst vier Wochen an einer Studienarbeit zu psychologischen Diagnosen in der Seelsorge, die eine berufsbegleitende Langzeitfortbildung abschloss. Nach dem Kolloquium ging es mit dem neuen Titel »systemische Beraterin« im Flieger nach Peru.
Studienreise nach Peru: Fünf Tage Heildiät
Dort angekommen, zog Tenholte mit anderen Besuchern in ein kleines Camp am Rande eines Shipibo-Dorfes am Amazonas. Jeder Gast wohnte in einem Tambo, einer Holzhütte, mit einem Tuch als Tür und Moskitonetzen statt Fenstern. Und das mitten in der Natur. So konnte sie den Kreislauf von Gottes Schöpfung spüren und Tiere und Pflanzen bewusst wahrnehmen. »Gott ist überall da«, sagt Tenholte. Außerdem haben die zehn Gäste aus ganz Europa viel Zeit in Stille verbracht. Wer wollte, konnte die Bibel lesen.
Tagsüber gab es kein festes Programm, die Zeremonien fanden nachts in einer Art Tempel statt. »Alle Themen, die die Schüler beschäftigten, hatten dort Raum.« Stille, Gebet und Gesang in der Sprache der Shipibo wechselten sich ab. Zudem hielt Tenholte für fünf Tage eine Heildiät. Ein Mal am Tag aß sie, dazwischen gab es individuell auf die Gäste abgestimmte Pflanzensuds und Säfte.
Studienreise nach Peru: Glaubenserfahrung teilen
Interessant fand Tenholte, dass sie dort die Älteste war. Die anderen Schüler hatten ein Alter, das in der Kirche am wenigsten vorkomme: »Das sind Leute, die nicht an der Kirchentür klopfen würden.« Als sie erzählt habe, dass sie Pfarrerin ist, sei das für die anderen deshalb erst irritierend gewesen. Eine Frau aus Berlin hatte Tenholte dann gefragt, wie man betet und Bibel liest. »Das hat mich so direkt noch nie jemand gefragt. Dafür bin ich aber irgendwann einmal angetreten. Nicht, um zu missionieren, sondern um meine Glaubenserfahrungen zu teilen, wenn jemand fragt«, sagt sie über ihren Beruf.
In Peru hat Tenholte begonnen, die Gebetsmassagetechnik zu erlernen, die ihr selbst geholfen hat. Dabei wird mit Pflanzenparfums und Salben - wie Salbei und Lavendel - gearbeitet, die als Heilkräuter dienen. »Ich bin gespannt, wie sich das hier für mich weiterentwickelt«, sagt sie. »Der Einbezug des Körpers in die Seelsorgearbeit ist vielleicht durch Handauflegen beim Segen oder im Gebet bekannt, aber weiteres ein eher unbekanntes Gebiet.« Tenholte merkt, dass sich nach ihrer Rückkehr auch andere Arbeitsgebiete durch ihre Erfahrungen verändern. Sie berichtet von der ersten Beerdigung nach ihrer Reise: Die Verstorbene war eine Frau, die Pflanzen liebte. Mit denen ist Tenholte, die nicht an Zufälle glaubt, in Peru täglich in Berührung gekommen. In Absprache mit der Familie haben Trauernde Samen in das Grab geworfen und damit Worte der Dankbarkeit und der Hoffnung auf ein neues Leben verbunden.
Kerstin Tenholte hat für dieses Jahr eine zweite Reise nach Peru geplant. Sie möchte weiter achtsam mit dem Thema Schamanismus und Christentum umgehen, forschen, lernen und freut sich, wenn Menschen mit Interesse daran auf sie zukommen. »Für mich ist diese Auseinandersetzung eine Möglichkeit, meinen eigenen Glauben neu zu verankern.«
Info: Wolkenbruch und Vogelspinne
Die Erfahrungen, die Kerstin Tenholte in Peru gemacht hat, sind für sie »schwierig in Worte« zu fassen. Zu einer Zeit war es im Dschungel sehr heiß, der Gruppe war das Wasser ausgegangen. Durch das Eingebundensein in der Natur habe es ein nicht erklärbares Vertrauen gegeben, dass sich die Situation ändern werde und alle eine wesentliche Erfahrung machten: »Menschen können eben nicht alles beeinflussen.« Am nächsten Tag sei ein Wolkenbruch und die neue Erfahrung einer tiefen Dankbarkeit gekommen. Interessant sei auch gewesen, welche Tiere sie wann im Tambo besucht hätten. Als Tenholte ein persönlich schwieriges Thema zu verarbeiten hatte, sei eine Vogelspinne erschienen, in anderen Hütten Mücken oder eine Schlange. Leichte Tage hätten andere Tiere wie Kolibris, Faultiere, Äffchen, Schmetterlinge und bunte Vögel begleitet. Die Schamanen hätten gesagt, das sei Zufall. »Mein Motto war aber schon vorher: Es gibt keinen Zufall. Alles hängt miteinander zusammen.«
