Wohltuend für das Pferd und seinen Reiter

Die junge Frau hat Probleme mit dem Iliosakralgelenk, der Hannoveraner Wallach, den sie reitet, ebenfalls. Beide werden von Anna Kaiser therapiert. Sie ist Physiotherapeutin und Pferde-Osteopathin.
Als Sabine im Sattel von Frank auf dem Platz der Reitanlage Messerschmidt in Altenstadt die Richtung wechselt, merkt sie, dass das Pferd nicht rund läuft. Der Hannoveraner-Wallach kommt plötzlich aus dem Takt, sie muss mehr Körperspannung aufbringen, um das Gleichmaß der Bewegung zu halten. Sabine hat wie das Pferd ein Problem mit dem ISG. Die Abkürzung steht für Iliosakralgelenk, das Kreuzdarmbein. Ist es blockiert, kann der untere Beckenbereich schmerzen. Bei Sabine strahlen die Schmerzen manchmal bis ins Knie.
Auch das Pferd hat Rückenschmerzen
Der Wallach kann nicht reden, ist darauf angewiesen, dass seine Reiterin anhand seiner Bewegungen und Muskeln merkt, wenn etwas nicht stimmt. Und dass die Pferdehalter wissen, dass das Pferd von Natur aus eigentlich gar nicht dafür geschaffen ist, einen Reiter zu tragen: Denn die Verbindung zwischen den Vorder- und Hinterbeinen ist fragil. Die verbindende Rückenmuskulatur muss trainiert sein, um die Last des Reiters zu tragen. Um Pferd und Reiter gezielt zu helfen, dafür ist Anna Kaiser da.
Die Physiotherapeutin und Pferdeosteopathin aus Merkenfritz steht hinter dem Paar, beobachtet es beim Wegreiten. Sie gibt Tipps: Sabine soll ihre Gesäßknochen mal mehr links, dann rechts belasten, sich im unteren Rücken deutlicher aufrichten, auch das Brustbein etwas anheben. Seit 2021 betreut sie die beiden.
Beim ersten Termin prüft Anna Kaiser beim Pferd zunächst die Beweglichkeit der Gelenke, betrachtet die Muskeln, analysiert den Gang, guckt nach den Hufen, den Zähnen, dem Sattel und der Trense. »Also nach allem, was irgendwie Probleme bereiten könnte.« Folgetermine werden alle sechs bis acht Wochen gemacht, weil die Osteopathie-Behandlung nachwirkt und der Zustand beim Pferd sich nach einer ersten Verschlechterung in den nächsten Wochen Stück für Stück verbessert. Der Reiter bekommt Hausaufgaben auf. Anna Kaiser hat knapp 60 Übungen in petto und eine Übungs-DVD aufgenommen. Schwerpunkte sind die Mobilisation der Wirbelsäule, die Stabilisation der Körpermitte und Übungen auf dem Pferd.
Bevor es mit dem Pferd weitergeht, nimmt Sabine auf einer mobilen Liege im Reiterstübchen Platz. Anna Kaiser legt ihre Hand auf die linke Beckenschaufel, massiert den musculus piriformis, einen Muskel, der, wenn er verspannt ist, auf den Ischias-Nerv in der Nachbarschaft drücken kann. Das kann unter anderem durch zu häufiges Sitzen verursacht sein. Sabine hat einen Bürojob, versucht dies durch regelmäßiges Yoga zu kompensieren.
Anna Kaiser erklärt: »Wenn das ISG blockiert ist, kann der Reiter nicht gleichmäßig sitzen.« Diese Ungleichheit wirkt sich beim Reiten aus. Denn mit der Verlagerung des Gewichts wird das Pferd hauptsächlich gelenkt. Das Pferd spürt jede kleine Verlagerung. Bei einer einseitigen Druckverteilung läuft das Pferd, auch wenn es geradeaus geht, in sich schief.
Frank muss noch einmal auf den Platz, obwohl er sich schon auf das abendliche Fressen eingestellt hat. Nicht nur im Stehen, auch beim Reiten fühlt es sich für Sabine jetzt stabiler an. Sie sitzt gleichmäßiger.
Auch der Wallach wird nach ein paar Runden massiert: am Hals, dem Genick, dem Widerrist, der Rückenlinie, im Nierenbereich und an der Schweif-rübe. So richtig in den Chill-Modus will er nicht. Seine Ohren drehen sich wie Antennen. Wie zwei Trichter nehmen sie alle Geräusche rundrum auf und registrieren genau, dass sich Anna Kaiser mit ihren Händen seinen Schmerzzonen im Lendenwirbelbereich nähert. Als sie minutenlang ihre Hände in der etwas tiefer liegenden Nierengegend auflegt, lässt er ein Stück weit seinen Hals tiefer fallen, seine Unterlippe hängen. Langsam entspannt er.
Gymnastikeinheiten vor dem Reiten
Werden Anatomie und Bewegungsmuster von Reiter und Pferd berücksichtigt, klappt das beim Reiten deutlich besser. Einzelne Ausbilder werben für Aufwärmübungen oder Gymnastik für den Reiter. Auch Anna Kaiser findet das hilfreich. »Es muss jedoch in den Alltag integriert werden können.« Wenn man sein Pferd in der Aufwärmphase im Schritt führt, könne man problemlos mal die Schultern oder das Becken kreisen lassen. In der Praxis sei das allerdings noch nicht sehr verbreitet. Auch gebe es bei den Reitlehrern himmelweite Unterschiede. »Man darf es nicht generalisieren, aber es besteht noch Nachholbedarf.«
Frank hat Feierabend, Sabine ist zufrieden. In ein paar Wochen wird Anna Kaiser wiederkommen.

