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Wohnen in Leichtbauhallen

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Die erste Leichtbauhalle des Wetteraukreises für die Unterbringung von Geflüchteten soll in der Kaserne in Friedberg entstehen. In der Außenstelle der Gießener Erstaufnahmeeinrichtung auf dem Gelände steht bereits eine. ARCHIV © Nicole Merz

Als »herbe Enttäuschung« bezeichnet Landrat Jan Weckler den Berliner »Flüchtlingsgipfel« in der vorigen Woche. »Beim ganz akuten Problem der Unterbringung helfen uns die Ergebnisse des Gipfels überhaupt nicht.«

Schon Ende Oktober 2022 warnten der Landrat und die Verwaltungschefs der 25 Wetterauer Städte und Gemeinden per offenem Brief, dass sie die vielen Geflohenen kaum noch menschenwürdig unterbringen können. Nötig seien mehr Geld und ein gerechter Verteilschlüssel auf europäischer Ebene. »Aus dem Bundeskanzleramt haben wir bis heute keine Reaktion erhalten«, sagt Landrat Jan Weckler (CDU) nun.

Beim »Flüchtlingsgipfel« kam heraus, dass vorerst kein zusätzliches Geld für die Unterbringung an die Kommunen fließt. Doch es kommt ein digitales »Dashboard«, das die Verteilung der Geflohenen transparenter machen soll. Das, so Weckler, bringt »kein einziges zusätzliches Bett für die Menschen, die uns Land und Bund wöchentlich zuweisen«. Für das erste Quartal 2023 müssen die Wetterauer jede Woche mit 61 weiteren Menschen aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien und anderen Krisenländern rechnen.

Flächen werden geprüft

Der Landrat befürchtet, dass im neuen Jahr noch mehr Geflohene kommen als 2022. Denn im Januar habe sich die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Dabei werde es immer schwieriger, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu beschaffen. Und: »Wir sehen, dass sich vor Ort immer mehr Widerstand in der Bevölkerung regt. Vor allem dann, wenn Geflüchtete in der Nachbarschaft untergebracht werden sollen.«

»Es gibt kaum noch Wohnungen zum Anmieten«, sagt auch die Ranstädter Bürgermeisterin Cäcilia Reichert-Dietzel (SPD). Sie hat aktuell 100 Geflüchtete aus der Ukraine und 25 »Weltflüchtlinge« in Obhut. Weitere werden erwartet. Auf Reichert-Dietzels Schreibtisch landete der Prospekt eines Mietcontainer-Händlers. Der würde den Ranstädtern Wohnraum für zwölf Menschen beschaffen. Kostenpunkt: 89 000 Euro pro Jahr. Ein anderer Anbieter würde ein dreistöckiges Wohnhaus mit sechs Appartements für insgesamt 24 Menschen auf die Wiese stellen. In Schlichtbauweise, für schlappe 730 000 Euro netto.

Das ist für die Gemeinde unbezahlbar. Für 2023 »wird es wohl auf Zelte hinauslaufen«, befürchtet die stellvertretende Sprecherin der Wetterauer Bürgermeister-Vereinigung. Der Landrat sieht das ähnlich. »Wir schaffen weiterhin unter Hochdruck neue Unterkünfte«, berichtet Jan Weckler. »Parallel prüfen wir für die Stellung von Leichtbauhallen verschiedene Flächen, die uns die Kommunen gemeldet haben. Die erste Halle soll in der Kaserne in Friedberg entstehen, eine zweite in Rosbach. Weitere sollen im Laufe des Jahres folgen.«

Die Ranstädter Bürgermeisterin wünscht sich eine Strategie, wie man vor Ort mehr Wohnraum schafft und die Geflüchteten besser integriert.

Die Kommunen brauchten mehr Geld - in Österreich könnten sie die gesamte Gewerbesteuer behalten. Und die arbeitsfähigen Geflüchteten bekämen dort schon nach wenigen Wochen Anreize, sich Arbeit zu suchen. Hierzulande erhielten Ukrainerinnen vom Jobcenter genug Geld, um nicht in der Gastronomie oder in den Kindertagesstätten arbeiten zu müssen.

Der auch für Einheimische tragische Wohnraummangel wird nach dem Geschmack Cäcilia Reichert-Dietzels nicht konsequent genug bekämpft. Klar, kurzfristig brauche es weitere Gemeinschaftsunterkünfte.

Sehr kurzfristige Lösungen

Doch gleichzeitig müsste endlich die Kreiswohnungsbaugesellschaft gegründet werden. Sie könnte gemeinsam die Eigentümer der vielen leerstehenden Häuser und Wohnungen in den Ortskernen ansprechen. Und die Wohnungen so renovieren, dass wieder Menschen einziehen können. »Aber davon will der Wetteraukreis ja nichts wissen«, sagt die SPD-Politikerin resignierend. »Ich weiß nicht, woran es hängt.«

Man habe doch schon intensiv bei der Bevölkerung um Bereitstellung von Wohnraum geworben, meint Landrat Weckler dazu. »Dennoch war der Erfolg überschaubar.« Und für den Bau einfacher Wohnungen brauche es Grundstücke, die der Kreis nicht habe. Aktuell »müssen wir die vorhandenen Ressourcen dafür nutzen, sehr kurzfristig Lösungen zu schaffen«. Also Leichtbauhallen und Containersiedlungen mit Etagenbetten.

2022 kamen laut Kreisverwaltung 4898 Geflohene in die Wetterau, davon mehr als 4000 aus der Ukraine. Anfang 2023 waren 3470 Menschen aus der Ukraine in der Wetterau gemeldet. Im Kreisgebiet gibt es mittlerweile 94 Gemeinschaftsunterkünfte - vom Container bis zur ehemaligen Gewerbehalle.

Darin waren am 13. Januar genau 3311 Menschen untergebracht. Die Belegungsquote lag bei 95 Prozent. In einer Gemeinschaftsunterkunft stehen jedem Menschen nicht mehr als sechs Quadratmeter zu.

Auch diese Enge verschärft die Lage in den multikulturellen Not-Wohngemeinschaften. Der Fachdienst Migration beklagte in einer Ausschusssitzung jüngst zunehmende Kindeswohlgefährdungen.

Schwierig sei auch die bedarfsgerechte Unterbringung teils schwerstkranker und traumatisierter Personen. Man registriere eine »teilweise sehr hohe Erwartungshaltung an Unterbringung (eigene Wohnung)« und bei manchen Geflohenen ein »inakzeptables Verhalten Behörden, Polizei, Feuerwehr und Sozialarbeit gegenüber«. Der Betreuungs- und Beratungsbedarf der Geflohenen sei enorm.

Der Einsatz weiterer ehrenamtlicher Helfer wird dabei immer wichtiger. Um sie zu aktivieren, planen der Landkreis und die Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe Wetterau für den 21. März eine ganztägige Flüchtlingskonferenz. VON KLAUS NISSEN

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