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Wucherndes Grün: Gericht lehnt Zwangshaft für Grundstückseigentümer ab

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Von: Rüdiger Geis

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Überhänge von Büschen und Bäumen in den öffentlichen Verkehrsraum sehen die Kommunen nicht gerne. Doch die Pflicht der Grundstückseigentümer zum Zurückschneiden ist nicht so leicht durchzusetzen, wie ein aktuelles Urteil des Gießener Verwaltungsgerichts bezüglich einer Gemeinde im Vogelsberg zeigt. SYMBOL © Rüdiger Geis

Von Privatgrundstücken auf Gehwege wucherndes Unkraut oder darauf ragende Äste muss der Eigentümer zurückschneiden. Doch ins Gefängnis muss man auch bei hartnäckiger Verweigerung trotzdem nicht.

Gehwege oder Bürgersteige sind - wie der Name schon sagt - für die zu Fuß gehenden Bürgerinnen und Bürger. Nicht selten ist die gedachte Nutzung allerdings nicht möglich, und Fußgänger müssen auf die Straße ausweichen, weil parkende Autos den Platz allzuweit einschränken und er zum Beispiel für Menschen mit Rollatoren, Rollstühlen oder Kinderwagen nicht ausreicht.

Eine Situation, die von Kommunen unterschiedlich gehandhabt wird - zwischen zahlungspflichtiger Sanktion und stiller Duldung reicht die Bandbreite.

Ein weiteres Hemmnis für Fußgänger, Gehwege zu benutzen, sind aber manchmal auch Büsche und Bäume auf Privatgrundstücken, deren Äste so auf den Bürgersteig ragen, dass die Nutzung schlichtweg nicht möglich ist.

Dann ist die jeweilige Stadt oder Gemeinde gefragt, den Eigentümer aufzufordern, Abhilfe zu schaffen. Was aber, wenn der sich hartnäckig weigert?

Vor Gericht nicht durchsetzbar

Ein solcher Fall hat sich in einer Vogelsbergkommune ereignet. Die ist in letzter Konsequenz bis vors Verwaltungsgericht Gießen gezogen, um ihr Recht durchzusetzen. Und scheiterte damit.

Die Richter sahen keinen Grund für eine Inhaftierung zur Durchsetzung künftiger Heckenschnitte. Das ergab ein in der vergangenen Woche bekannt gewordenes Urteil.

Wie Pressesprecherin Melina Hofmann mitteilte, lehnte das Verwaltungsgericht Gießen den Antrag einer Gemeinde im Vogelsbergkreis auf Anordnung von Ersatzzwangshaft gegenüber einem ihrer Einwohner, dem Antragsgegner, ab.

Dieser war seinen Verpflichtungen zur Straßenreinigung und zum Rückschnitt des von seinem Anwesen in den Verkehrsraum ragenden Bewuchses nicht nachgekommen.

Überhang ist zu beschneiden

Nach einer gemeindlichen Satzung über die Straßenreinigung sind im Gebiet der klagenden Kommune überhängende Äste und Zweige von Bäumen und Sträuchern über Gehwegen, sogenannter Überhang, bis zur Höhe von 2,40 Metern und über der Fahrbahn bis zur Höhe von 4,50 Metern zu entfernen.

Die Gemeinde stellte im Sommer 2021 fest, dass der Antragsgegner diesen Verpflichtungen nicht nachkam, und setzte zunächst mehrfach Zwangsgelder fest.

Das hatte aber keinen Erfolg, der Grundstückseigentümer zahlte einfach nicht. Daraufhin sorgte die Gemeinde im Januar vergangenen Jahres selbst für den Rückschnitt - auf ihre Kosten, auf denen sie aber nicht sitzen bleiben wollte.

Das Eintreiben dieser Kosten und der festgesetzten Zwangsgelder - insgesamt waren mittlerweile über 2000 Euro aufgelaufen - blieb aber auch nach mehreren Versuchen erfolglos. Der betroffene Einwohner ist vermögenslos und offenbar nicht in der Lage zu zahlen.

Eingriff in die Freiheit nicht verhältnismäßig

Was nun? Um zu ihrem Recht und Geld zu kommen, beantragte die Gemeinde beim Verwaltungsgericht Gießen die Anordnung von Ersatzzwangshaft, auch um den widerstrebenden Bürger zukünftig zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zu bewegen.

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen lehnte diesen Antrag allerdings ab. Nach Einschätzung des Gerichts »ist der mit einer Ersatzzwangshaft verbundene Eingriff in die Freiheit der Person zur Durchsetzung einer Verpflichtung, die bereits durch die Gemeinde selbst vorgenommen wurde, nicht verhältnismäßig«, begründet die Kammer ihr Urteil.

Auch eine Anordnung von Ersatzzwangshaft »auf Vorrat«, also für die Durchsetzung zukünftiger Verpflichtungen, war aus Sicht der Kammer rechtlich nicht zulässig.

Die Entscheidung (Beschluss vom 25. Januar 2023, Az.: 4 L 2623/22.GI) war bislang noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten konnten dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen. Diese Frist läuft jetzt ab. Wird das Urteil rechtskräftig, bleibt die klageführende Vogelsberger Gemeinde auf ihren Kosten sitzen.

Schotten: Nur wenig Fälle von Ersatzvornahme

Eine Anfrage dieser Zeitung, wie in Schotten die Handlungspraxis in solchen oder ähnlichen Füllen ist, beantworte Bürgermeistern Susanne Schaab: Einem Anschreiben an den Grundstückseigentümer folgt im Falle der Nichtbefolgung zunächst eine Erinnerung, dann die Androhung einer sogenannten Ersatzvornahme durch die Stadt.

Bleibt auch das ohne Erfolg, werden die erforderlichen Arbeiten durch die Kommune durchgeführt und dem Grundstückseigentümer entsprechend in Rechnung gestellt.

Eine Eskalation bis hin zu einer gerichtlichen Entscheidung habe es aber bisher in Schotten nicht gegeben: »Die Fälle, die bis zur Ersatzvornahme gehen, sind sehr gering. Maximal ein Fall im Jahr. Die Rechnungen wurden bisher auch in der Folge ausgeglichen«, berichtete Schaab.

Info: Ersatzzwangshaft

Ist jemand nicht Willens oder in der Lage, eine geforderte und berechtigte Zahlung zu leisten, sieht das Verwaltungsrecht die sogenannte Ersatzzwangshaft (Paragraf 334 der Abgabenordnung) vor. Sie muss allerdings gerichtlich festgestellt werden und beträgt mindestens einen Tag und maximal zwei Wochen. Wer also die geforderte Zahlung verweigert, läuft Gefahr, ins Gefängnis zu kommen. Auf diese Möglichkeit muss die beantragende Behörde, beispielsweise das Finanzamt, aber bereits bei der Zwangsgeldandrohung hingewiesen haben.

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