»Zweifel hat jeder Schauspieler«: Tim Bergmann liest aus Neuhaus-Krimi

Tim Bergmann ist einer der erfolgreichsten deutschen Schauspieler. Sehr bekannt wurde er als Kommissar Oliver von Bodenstein in den Taunuskrimis von Nele Neuhaus. Aus einem ihrer Krimis liest er in Friedberg und Büdingen.
Eine Kollegin von Ihnen hat kürzlich in einem Interview von der Schauspielerei als dem schönsten Beruf mit Schattenseiten gesprochen. Können Sie dieses Zitat unterschreiben?
Unbedingt. Um diesen Beruf erfolgreich auszuüben, bedarf es einer extremen Leidenschaft. Die bringt man auf, weil man ihn eben so liebt. Weil er einem alles abverlangt und weil man auch bereit ist, alles für ihn zu geben. Dafür braucht es aber eine immense Kraft. In dem Moment, in dem man den Beruf ausübt, aber auch, wenn man ihn nicht ausübt, wenn man zu Hause ist.
Auch, wenn man nicht unbedingt weiß, ob und welche Filmangebote als Nächstes eintreffen?
Genau. Im Gegensatz zu einem längeren Engagement am Theater oder bei einer langfristig geplanten Serie steht ja nicht immer fest, wie es weitergeht, was das nächste Projekt ist. Ich war bislang glücklicherweise noch nicht allzu oft in dieser Situation, toi, toi, toi. Ob dieser Unwägbarkeiten ist es wichtig, dass man als Schauspieler auf gutem Boden steht.
Wie sollte dieser gute Boden beschaffen sein?
Ich meine das im übertragenen Sinne, aber auch wortwörtlich. Wenn man beispielsweise intensiv und mit viel Freude an einem Film gearbeitet, sich voll eingebracht hat, eine gute Zeit mit dem Ensemble, dem Team, verbracht hat - wenn dann diese Zeit vorüber ist, besteht die Gefahr, dass man in eine Art Loch fällt.
Und was machen Sie dann?
Ich habe schnell gelernt, loszulassen, wenn die letzte Szene gedreht und der Koffer gepackt ist. Ich freue mich immer ungemein auf zu Hause, und bin schnell bereit, mich neuen Dingen zuwenden zu können, neuen Projekten offen gegenüberzustehen. Deshalb ist es meiner Meinung nach so wichtig, an einen Ort zurückkehren zu können, an dem man sich wohlfühlt, der einen auch jenseits des Berufes erfüllt.
Und wie sieht es bei Ihnen mit Zweifeln aus. Die müssten bei Ihnen doch bei derart vielen Rollen eher gering sein?
Nein, Zweifel hat jeder Schauspieler. Sie begleiten dich immer, grundsätzlich, egal wie berühmt oder unbekannt du bist. Egal wie beschäftigt du bist oder unbeschäftigt. Das sind einerseits Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, aber natürlich auch das Wissen um all die äußeren Einflüsse, gegen die man sozusagen machtlos ist. Je mehr Erfahrungen man im Laufe seines Berufslebens sammelt, umso mehr weiß man darum, was am Set schwierig werden, was schiefgehen kann. Oft sind es ja auch Kleinigkeiten, die einen blockieren können. Scheinbar einfachste Szenen werden auf einmal kompliziert.
Man verliert also nach und nach eine gewisse Unschuld?
Ja, natürlich. Andererseits gewinnt man aber auch an Erfahrungen. Ein Geschenk des Älterwerdens ist ja, dass man lernt, wie man mit bestimmten Dingen im Leben umgehen kann. Das man in allem, was einem passiert eine Chance, zu wachsen, erkennt.
Diese Erfahrungen kommt einem bei Problemen am Set sicherlich zugute.
Unbedingt. Ich erinnere mich da gerne an ein Interview mit dem französischen Schauspieler Vincent Cassel. Ihm ist es ungemein wichtig, wenn am Drehort das »Bitte!« des Regisseurs erklingt, alles abschütteln zu können, was seine Leistung beeinträchtigen kann. In diesem Moment gilt es, ganz frei, offen und bereit zu sein. Offen für die Partner und Partnerinnen, die Situation, den Moment zu sein, und Zugriff zu haben auf sein gesamtes kreatives Potenzial.
Der Durchbruch gelang Ihnen 1996 in der Filmkomödie »Echte Kerle«. Wäre das heute noch möglich: Ein heterosexueller Mann spielt einen schwulen Automechaniker?
Ich hoffe, dass es noch möglich ist (lacht). Ich finde es gut und richtig, dass bestimmte Themen in Bewegung gekommen sind, nicht nur beim Schauspiel. Es ist richtig und wichtig, dass Missstände und Benachteiligungen benannt und dagegen angegangen wird. Aber das Pendel schlägt nach meiner Meinung in einigen Diskursen zu extrem aus - verständlicher- und natürlicherweise. Bestimmte Forderungen verlassen inzwischen den Pfad des kulturellen Schaffens, den freien Raum für Fantasie, für das Erzählen von Geschichten, so wie ich es verstehe.
Konkret?
Na ja, um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen: Nach diesen Vorstellungen dürfte ja nur ein wirklicher Mörder einen Mörder spielen. Ich habe beispielsweise in der ZDF-Miniserie »Die zweite Welle« mitgespielt. Darin spiele ich einen Mann, der sich durch ein traumatisches Erlebnis erst spät in seinem Leben outet. Ich habe nicht eine Sekunde gezögert, diese Rolle anzunehmen. Alles verkörpern zu dürfen, das ist Schauspiel, das bedeutet Kunst. Unabhängig davon, wer oder was man privat ist.
Bei Kommissar Oliver von Bodenstein handelt es sich um eine literarische Vorlage. Welchen Spielraum haben Sie bei der Gestaltung dieser Rolle?
Neben dem Roman gibt es für mich natürlich vor allem das Drehbuch, mit ganz konkreten Vorgaben. Aber wenn ich Oliver verkörpere, wenn ich die Szenen zum Leben erwecke, bringe ich mich mit dem, was ich bin, was ich kann, was ich will, voll ein.
Haben Sie einen gewissen Einfluss?
Wenn Anmerkungen von mir, die ich in der Vorbereitungszeit durchaus anbringe, nicht berücksichtigt werden können, hat das auf meine Arbeit später am Set nicht den geringsten Einfluss. Da bin ich bereit, loszulassen. Im Übrigen bin ich wirklich immer auf die Drehbücher gespannt, wie es gelingt, 500 Buchseiten in zweimal 90 Minuten Film zu verarbeiten.
Wie ist Autorin Nele Neuhaus zufrieden mit der filmischen Umsetzung ihres Kommissars?
Das ist natürlich eigentlich eher eine Frage für Nele (lacht). Aber es gibt etwas, was sie in den letzten Jahren gerne, zum Beispiel bei gemeinsamen Lesungen, sagt: »Ich habe mich äußerlich, ihrer ursprünglichen Vorstellung von Oliver mittlerweile angenähert.« Ich selbst bin ja zehn Jahre jünger als der Roman-Oliver, habe aber endlich genug graue Haare im dunklen Haar (lacht). Inzwischen hat Nele sogar mich vor Augen, wenn sie an einem neuen Fall schreibt.
Hatten Sie nie Bedenken, dass Sie in der Öffentlichkeit zu sehr auf diese Rolle fixiert sind und keine anderen Filmangebote mehr bekommen?
Nein. Zwar verbinden mich viele Menschen mit den Taunus-Krimis, aber um ausschließlich auf diese Rolle reduziert zu werden, kommen die Folgen nicht häufig genug. Wir drehen ja nur einen Zweiteiler pro Jahr - wenn überhaupt.
»Dienstmüde« sind Sie noch nicht?
Auf keinen Fall. Nach jedem Drehende freue ich mich schon auf den nächsten Fall, den nächsten Roman. Ich bin immer gespannt, wie es weitergeht. Oliver ist mehr als lebendig und noch mitten im Leben.
Keine Angst, dass Nele Neuhaus irgendwann Oliver von Bodenstein von einem bösen Buben ermorden lässt?
Ich hoffe nicht (lacht). Viel eher bin ich gespannt, wie das mit der Umsetzung des Alters weitergeht. Denn irgendwann wird der Roman-Oliver in Rente gehen müssen. Zehn Jahre jünger, bin ich dann aber noch lange nicht so weit. Aber Bella Block hat ja nach ihrer Pensionierung als »Privatdetektivin« weitergemacht. Es gibt also durchaus Möglichkeiten.
Info: Zwei Lesungen aus »In ewiger Freundschaft«
Tim Bergmann verkörpert in den Verfilmungen der Bücher von Nele Neuhaus den Kripo-Chef Oliver von Bodenstein. In seiner Rolle als Vorleser präsentiert er am Mittwoch, 26. April, ab 20 Uhr in der Augustinerschule in Friedberg den Krimi »In ewiger Freundschaft«, Band 10 der Bodenstein-Kirchhoff-Reihe von Nele Neuhaus.
Am 28. April wird er um 20 Uhr in der Reihe »Büdingen belesen« in der Willi-Zinnkann-Halle zu erleben sein. Das Besondere: Es liest Kripo-Chef Oliver von Bodenstein persönlich, das heißt, der 1972 in Düsseldorf geborene Schauspieler Bergmann, der diese Figur in den Verfilmungen der Taunus-Krimis seit 2013 für das ZDF verkörpert.
Bergmann wurde an der Otto-Falckenberg-Schule München zum Schauspieler ausgebildet, trat in den Münchner Kammerspielen auf.
Karten gibt es unter anderem bei der Ovag, bei der Sparkasse Oberhessen, in der Buchhandlung Bindernagel in Friedberg oder Butzbach, im Bibliothekszentrum Klosterbau sowie im Internet unter www.adticket.de.
